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Kultur: Traumflucht

Astrid Rosenfelds Romandebüt „Adams Erbe“

Edward Moss-Cohen, Besitzer einer Berliner Modeboutique, weiß nicht so recht, wer er ist. Und dann sagt man ihm ständig, dass er seinem Großonkel so ähnlich sehe. Er habe, sagen die Verwandten, Adams Augen, Adams Mund, Adams Stimme. Genaueres will man nicht verraten. Nur, dass Adam bei der Flucht der Familie aus Nazi-Deutschland seine Großmutter und Mutter „kaputtgemacht“ habe. Edward lässt das kalt. Er hat Liebeskummer und findet vor lauter Lebensmöglichkeiten seine Rolle nicht.

Astrid Rosenfeld wusste selbst lange nicht, wohin mit ihrem Leben. Nach dem Abitur ging die heute 34-Jährige für zwei Jahre nach Kalifornien, wo sie Theater spielte. Ihr anschließendes Schauspielstudium in Berlin brach sie ab und jobbte unter anderem als Casterin für Filmproduktionen. Ihr Romandebüt „Adams Erbe“ beginnt als Brief. Edward berichtet seiner unglücklichen Liebe, der Schauspielerin Ay, von seiner turbulenten Kindheit und der Krise als Erwachsener. Das dient als Rahmen für die Geschichte von Adam, der kurz vor seiner Deportation ins Konzentrationslager ein letztes Lebenszeichen an seine Geliebte Anna sendet: Edward findet diesen Brief auf dem Dachboden.

Scheinen seine Probleme anfangs kaum vergleichbar mit Adams Schicksal, erschließt sich bei den Kindheitserinnerungen des 60 Jahre älteren Großonkels, dass es nicht nur physiognomische Ähnlichkeiten gibt. Die Schilderung der schwachen Mutter, des abwesenden Vaters, der dominanten Großmutter geben Edward das Gefühl, jemanden mit ähnlichem Schicksal entdeckt zu haben. Rosenfeld schafft eine leise Komik, indem ihre Erzähler tragische Ereignisse naiv kommentieren. Als der Familienfreund Hussler zum SS-Sturmbannführer befördert wird, fragt Adam, was ein Sturmbannführer eigentlich so mache: „Führt er einen Sturm? Bannt er einen Sturm?“ Von Hussler protegiert, züchtet er als Gärtnergehilfe die Rosensorte „Annas Träume“, die seine große Liebe bei ihrer Abschiebung nach Polen mitnimmt. Adam folgt ihr und geht für sie ins Warschauer Ghetto.

Rosen, Tod und eine verspätete Liebeserklärung – am Schluss überschreitet die Autorin die Grenze zum Kitsch. Das Pathos der Schlussworte „... dann, Amy, denk an mich. Mehr nicht“ ist zu viel des Honigs für die bittersüße Mischung aus gebrochenen Charakteren, surrealen Anekdoten und unprätentiös erzählter Zeitgeschichte. Denn Rosenfeld ist mit dem Kunstgriff, Adams Geschichte im Kontext der jetztfixierten Patchworkgeneration zu erzählen, etwas gelungen. Noch keine Generation musste sich aus dem Nichts erschaffen. Jeder erbt von seiner Familie den Faden, mit dem er den Flickenteppich seiner persönlichen Erfahrungen zusammennähen kann. Nantke Garrelts

Astrid Rosenfeld: Adams Erbe. Roman. Diogenes Verlag,

Zürich 2011.

400 Seiten, 21,90 €.

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