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Umcodierung. Auf der Transmediale gibt es wieder Rohrpost – als Persiflage auf soziale Netzwerke.

©  Sabine Kelka/Transmediale

Transmediale: Denkt das Alte neu!

Seit Donnerstag präsentiert sich im Haus der Kulturen der Welt die Transmediale 13. Sie plädiert für einen rebellischen Umgang mit digitalen Medien.

Wir schreiben das Jahr 2013 und leben auf dem Planeten Erde. Doch die Transmediale, das Festival für digitale Kultur, lässt diese räumlichen und zeitlichen Verortungen in seiner 26. Ausgabe bewusst außer Acht. In diesem Jahr lautet das Motto des Festivals „Back when Pluto was a Planet“, abgekürzt BWPWAP. Dieses Akronym wird in der Netzwelt verwendet, wenn man auf die jüngste Vergangenheit verweisen will, einen Zeitpunkt, der nur einen Wimpernschlag zurückliegt, in Bezug auf die technologischen Standards aber schon Lichtjahre entfernt zu sein scheint.

BWPWAP – das war, als Facebook nur von ein paar Studenten benutzt wurde, als Youtube noch ein Start-up war. Als Pluto noch ein Planet war. 2006 erkannte ihm die Internationale Astronomische Union den Planetenstatus ab. Er sei einfach zu klein, um im Sonnensystem als Planet zu gelten. Unsere technisierte Welt ändert sich schnell. Und wie Pluto sind wir in einer Identitätskrise. Die Transmediale lädt in diesem Jahr dazu ein, das vermeintlich Alte, nie Realisierte oder Ausgediente, neu zu denken und sich etablierten Wissensstandards nicht unterzuordnen. Bei der Eröffnungszeremonie des Festivals ließ der künstlerische Leiter Kristoffer Gansing im vollbesetzten Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) noch einmal darüber abstimmen, ob Pluto als Planet gelten soll oder nicht. Vorkenntnisse? Nicht notwendig. Jeder durfte mithilfe eines gelben Zettels seine Stimme abgeben. Das Ergebnis wurde ausgezählt und rauschte dann aus den gelben Rohren von „OCTO“, einem „System für Fehlkommunikation“, das in Anlehnung an das alte Berliner Rohrpostsystem eigens für die Transmediale im HKW installiert wurde, als Persiflage auf soziale Netzwerke. Das Ergebnis der Abstimmung ergab übrigens, dass Pluto auch weiterhin kein Planet sein soll. Die Angst vor Veränderung ist also doch nicht so groß wie gedacht.

Es gab Jahre, da war die Ausstellungshalle im HKW komplett abgedunkelt, Bildschirme blinkten unheilvoll. Bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals strömt Licht durch die Glasfront, die Exponate hängen an schlichten Stellwänden oder liegen in eleganten Vitrinen. Der Blick fällt zunächst auf ein Video. Eine Frau in roter Turnhose wirft einen Vorschlaghammer auf einen Riesenbildschirm und befreit so die Menschheit von der Technosklaverei. Es ist der erste Werbespot für den Apple-Macintosh-Computer von 1984. Apple als Erlöser? Das ist Unsinn, wie wir heute wissen. Die widerständische Athletin dient der Transmediale dieses Jahr trotzdem als Vorbild. „The Miseducation of Anya Major“ lautet der Titel der Ausstellung, die, ergänzend zum üppigen Transmediale Talk- und Performanceprogramm, vorschlägt, subversiv mit digitalen Werkzeugen umzugehen. Den Aufruf zu einem neuen Verständnis von Medienkompetenz darf man getrost als Trend in der digitalen Festivalszene bezeichnen. Auch bei anderen Veranstaltungen, wie dem Brighton Digital Festival oder dem Interactive Festival in Austin (Texas) wurde 2012 gemixt, gehackt und gespielt.

Das Berliner Festival präsentiert Kunst mit Excel-Tabellen, mit GPS-Daten oder Software, die auf menschliche Schreie reagiert. Weil die Transmediale-Macher der Computerkunst auch einen erzieherischen Aspekt zusprechen, ist alles in einer Art Klassenzimmer installiert. Auf Pulten stehen Computer, an denen die Besucher selbst recherchieren können. Es gibt Tafeln wie in der Schule und jeden Tag „Unterrichtsstunden“, in denen den Gästen die subversive, „falsche“ Nutzung von Software nähergebracht werden soll. Während der Ausstellungskurator Jacob Lillemose vor der Tafel steht, fällt ihm ein weiteres Vorbild für unangepassten Medienumgang ein: Jimi Hendrix. Wie der seine Gitarre beim Monterey Festival traktierte, wie er sie anzündete und zum Fiepen brachte, der geniale Teufel. Und jetzt alle. Mit dem iPhone!

Zwei Dinge liefert die Transmediale zuverlässig: tiefste Verwirrung und wunderbare Denkanstöße. An Anya Major hätte sicher niemand mehr gedacht, und auch Sonia Landy Sheridan kennen die wenigsten. Lillemose präsentiert die abgefahrenen Experimente, die die US-amerikanische Professorin und Künstlerin seit Ende der 1960er Jahre mit Farbkopierer und Thermofax unternahm, zum ersten Mal in Europa. Ein Film zeigt: Die Frau steht im weißen Kittel in einem 3M-Labor und macht einen auf Hendrix. Sie spielt mit den damals noch so neuen, fürs Büro gedachten Maschinen herum. Sie legt Hände, Arme, das eigene Gesicht oder Blumen auf den Kopierer. So unkonventionell ging sie auch mit ihren Studenten am Art Institute of Chicago um. Sheridans Verständnis der Lehre innerhalb von Bildungsinstitutionen ist visionär.

Es gibt noch einen dritten Ausstellungsteil, und zwar die raumfüllende Installation „Evil Media Distribution Centre“ von Graham Harwood und Matsuko Yokokoji. An Klemmbrettern und auf Europaletten wird ein Panoptikum unscheinbarer, „grauer“ Büromedien aufgereiht, wie Papierschredder, Algorithmen, Hardware-Dongle, mit denen wir im Alltag achtlos interagieren. Das Ganze ist eine künstlerische Interpretation des 2012 am MIT veröffentlichten Buches „Evil Media“ von Matthew Fuller und Andrew Goffey. Die Idee: Ein medientheoretischer Diskurs, der höchst komplex ist und kaum von Nichtfachleuten gelesen würde, wird zur praktischen Übung. Eines lehrt die Transmediale: Wenn Sie etwas nicht verstehen, dann spielen Sie damit!

Noch bis 3.2. im Haus der Kulturen der Welt, 10-22 Uhr.

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