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Zerbrechlich. Die achtjährige Sasha wird von ihrer Umgebung angefeindet.

© Agat Films & Cie, Arte France, Final Cut for Real

Transgender-Filme im Panorama: Mein Körper, meine Wahl

Die Dokumentationen „Always Amber“ und „Petite Fille“ porträtieren junge Menschen, die nicht in die Gendernorm passen.

Amber ist etwa 17 Jahre alt und sitzt in einer ärztlichen Beratungsstunde zum Thema Geschlechtsidentitäten. Auf Nachfrage gibt Amber an nichtbinär zu sein und das genderneutrale Pronomen „hen“ zu benutzen, das seit 2015 auch im offiziellen Wörterbuch der Schwedischen Akademie steht.

Bei der Beratung geht es um eine Hormontherapie und eine mögliche Brustoperation. Dafür ist in Schweden die Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ nötig. „Der Begriff stammt übrigens nicht von mir“, sagt die sympathische Psychiaterin. Im Schuss-Gegenschuss sprechen beide im Film „Always Amber“ selbstbewusst in die Kamera.

Fast ein Spiegelszene dazu findet sich in „Petite Fille“, einem weiteren Panorama-Beitrag, der sich um ein Kind dreht, das nicht mit dem ihm zugewiesenen Geschlecht einverstanden ist. Sasha wird in der Beratungsstelle von der Seite gefilmt, mit einem Zoom fokussiert die Kamera ihr Gesicht.

Man merkt, dass sich Sébastien Lifshitz und sein Kameramann Paul Guilhaume hier zur sprichwörtlichen fly-on-the-wall machen wollen, um Sasha nicht noch mehr zu überfordern. Dicke Tränen rollen über ihr Gesicht, wenn sie erzählt, dass sie in der Schule nicht als Mädchen akzeptiert wird.

Wenn es nach den Lehrern geht, soll sich im Unterricht als Junge kleiden. Ein Herz wie eine Tiefkühltruhe muss haben, wen dieser Moment kaltlässt.

Eine offene Gesellschaft wird von offenen Menschen gemacht

Die Dokumentarfilme „Always Amber“ und „Petite Fille“ zeigen anhand individueller Beispiele, wie verschieden die Erfahrungen junger trans Personen oder nichtbinärer Menschen sein können, selbst in rechtlich sehr vergleichbaren europäischen Demokratien.

Frankreich hat die Pathologisierung von Transidentität 2009 als erstes Land der Welt abgeschafft, aber in der ländlichen, katholisch geprägten Provinz – die konkrete Region benennt „Petite Fille“ nicht – ist es mit der Akzeptanz für geschlechtliche Selbstbestimmung nicht weit her.

Kein Bild macht das so schmerzhaft deutlich wie das Kinderballett, in dem Sasha neben den Mädchen in türkisen Ballerinakleidern in einem roten Dress auflaufen muss. Als ob mit einer roten Flagge vor Sasha gewarnt werden müsste.

Schweden hatte noch bis 2013 ein Transgendergesetz, das die Zwangssterilisation nach einer Geschlechtsangleichung vorschrieb; mittlerweile können davon betroffene Menschen finanzielle Entschädigungen bekommen. „Always Amber“ beschreibt in intimen Bildern, oft von den Jugendlichen selbst mit dem Handy gefilmt, dass es am meisten auf ein tolerantes Umfeld ankommt.

Und weil Amber eine empathische Mutter und eine bunte, genderdiverse Peergroup hat, geht es vor allem um ganz normale Teenagerprobleme: erste Liebe, zerbrochene Freundschaft, Jugendkultur. Eine offene Gesellschaft wie die schwedische wird von offenen Menschen gemacht, und es ist schön zu sehen, dass in beiden Filmen gerade die Ärztinnen dazugehören.

Jan-Philipp Kohlmann

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