zum Hauptinhalt
Cheng (Chu Pak Hong) zeigt Sirkka (Anna-Maija Tuokko) ein paar neue Kochrezepte.

© Marianna Films

Tragikomödie von Mika Kaurismäki: Was eine chinesische Reisegruppe nach Lappland verschlägt

Mika Kaurismäki liebt wie sein Bruder Aki die surreale Miniatur. "Master Cheng in Pohjanjoki" ist auch eine kulinarische Romanze.

Ein paar verlorene dunkelnde Akkorde, sich suchend über verlorenen dunkelnden Wäldern. Mika-Kaurismäki-Sound. Das hier könnte karg werden. Und wenn wir erst mal irgendwo eintreten! Warum sehen Kaurismäki-Innenräume immer wie Selbstmörderinterieurs aus, noch viel mehr sogar bei seinem ein Jahr jüngeren Bruder Aki? Schon bei Aki gilt: Je bunter, desto todtrauriger.

Dabei ist gegen Sirkkas Café irgendwo in Lappland eigentlich nichts einzuwenden. Große Fenster zur Straße, genug Licht. Liegt es am Schild vorm Eingang: „Heute ist Wursttag!“? Liegt es daran, dass die älteren Männer alle einzeln an ihren Tischen sitzen und aussehen, als wären sie schon immer hier – und hätten auch nicht viel mehr vor im Leben?

Der eigentliche Spaß an den Kaurismäki-Traurigkeiten in „Master Cheng in Pohjanjoki“ sind ihre Reduktionismen. Wie weit lässt sich ein Kopfnicken zurücknehmen, sodass man es immer noch als solches erkennt? So grüßen die Männer in Einzelhaft den merkwürdigen Fremden, der das Restaurant betritt. Ein Chinese in Lappland. Den grüßt man, indem man ihn eher nicht grüßt. Infinitesimal.

Und auch die Verbeugung des Eintretenden, er hat einen kleinen Jungen an der Hand, ist verwackelt. Niemand weiß, was er will. Er wiederholt immer nur einen Namen: Fongtron. Doch niemand hat je von Fongtron gehört.

Poetische Unschärfen im hohen Morden

Anderen Regisseuren würde man dieses Arrangement übel nehmen: Ein Mann fährt aus Shanghai nach Lappland, auf der Suche nach einem Mann, von dem er nur den Namen kennt, nicht mal eine Adresse?  Der deplatzierte Chinese in Sirkkas Restaurant hat den Allerweltsnamen Cheng, wahrscheinlich will Mika Kaurismäki das als poetische Unschärfe verstanden wissen.

Im Märchen ziehen Prinzen oder Schweinehirten fortwährend aus, um ihr Glück zu suchen. Auch sie haben niemals eine Adresse. Ja, dies ist ein Märchen. Ein lappländisch-chinesisches Mittsommernachtsmärchen, näherhin ein kulinarisches Märchen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In Pohjanjoki ist immer Wursttag. Schon am ersten Abend bleibt Cheng nichts übrig, als bei Sirkka zu essen: Wurst mit Kartoffelbrei. Finnisches Nationalgericht. Wurst ist unser Gemüse, erläutert die Köchin. Sirkka (Anna-Maija Tuokko) ist fürwahr keine verzauberte Köchin, obwohl sie fast aussieht wie eine Prinzessin.

Kann man das Essen?

Aber als eine chinesische Reisegruppe Sirkkas Restaurant stürmt und sich außerstande sieht, das Nationalgericht unter der Kategorie des Essbaren einzuordnen, übernimmt Cheng kurzerhand das Szepter. Denn Cheng war in Shanghai Koch. Pak Hon Chu spielt ihn mit einer wunderbar-sicheren Balance von Reserve und Bestimmtheit.

Wir werden Zeugen eines fortschreitenden erotisch-kulinarischen interkulturellen Austauschs, wobei das erotische Moment unendlich zurückhaltend und verzögert auftritt, was „Master Cheng in Pohjanjoki“ bald jene Handbreit überm Erdboden schweben lässt, die ein Märchen braucht.

Banausenhafte Fragen wie „Was zum Teufel macht eine chinesische Reisegruppe in Lappland?“ verbieten sich von selbst. Chinesen besichtigen vorzugsweise sechs europäische Hauptstädte an vier Tagen, also fallen Chinesen in Lappland unter die von Kaurismäki besonders geschätzte Kategorie des Surrealen.

Leben kehrt zurück in die knorrigen Körper

Pak Hon Chu und Anna-Maija Tuokku umspinnen einander mit Netzen aus eben diesem Stoff. Nicht zu vergessen den kleinen Sohn von Master Cheng: Anfangs hebt er nach Art aller Großstadtkinder kaum die Augen von den Computerspielen auf seinem Mobiltelefon. Vater und Sohn reden wenig miteinander, das wird sich später ändern. Genau wie das Publikum in Sirkkas Restaurant.

Die knorrigen Männer, die die Veränderungen auf Sirkkas Speiseplan anfangs kaum tolerieren, zeigen bald erstaunliche Symptome: Der Blutdruck fällt, Nierensteine lösen sich auf. Und es ist schön zuzuschauen, wie etwas höchst Merkwürdiges, fast Vergessenes zurückkehrt: Sollten sie es etwa „das Leben“ nennen?

Irgendwann erfahren wir sogar, warum Cheng aus Shanghai fortgegangen ist und wer „Fongtron“ ist. Die Kaurismäkis lieben wir nicht zuletzt als Virtuosen der Dissonanzen in Bild, Farbe und Ton. Wem diese in „Master Cheng in Pohjanjoki“  fehlen, der mag sich daran erinnern, wie Märchen gewöhnlich enden. Welches Recht hätte Mika Kaurismäki, das zu ändern?
In 12 Berliner Kinos (auch OmU)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false