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Donnie (Jonah Hill, rechts) nimmt sich John (Joaquin Phoenix) in seiner Therapiegruppe an.

© NFP

Tragikomödie „Don’t worry, weglaufen geht nicht“: Dem Leben einen Schritt voraus

Witze mit Handicap: Gus van Sants schräge Tragikomödie „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ über den querschnittsgelähmten Cartoonisten John Callahan.

Von Andreas Busche

Rassisten sind auch nur Menschen. Was denkt also ein Ku-Klux-Klan-Mitglied, wenn es sich seine weiße Kapuze über den Kopf streift? „Ich mag es am liebsten, wenn das Bettlaken frisch aus dem Trockner kommt.“ Starker Tobak, Witze über die Kapuzenmänner kamen auch in den siebziger Jahren nicht gut bei der Leserschaft an, als der Cartoonist John Callahan seine widerborstigen Alltagsbeobachtungen zu Miniaturen verdichtete. Callahan nahm sich das Privileg heraus, seine schnoddrigen Kommentare auf die Welt loszulassen, denn er ging mit sich selbst nicht minder hart ins Gericht.

Der 1951 geborene Callahan saß nach einem Autounfall in den frühen Siebzigern querschnittgelähmt im Rollstuhl. Die Jahre der kulturellen Gegenbewegung hatte er im Alkoholrausch verbracht, als die Party vorbei war, konnte er keinen Finger mehr rühren. Gus Van Sant hat Callahans Memoiren verfilmt, sein zweites Biopic nach „Milk“. Den Titel hat er sich ebenfalls von Callahans Autobiografie geliehen: „Don’t worry, he won’t get far by foot“. Der dazu gehörige Cartoon zeigt zwei Cowboys vor einem umgekippten Rollstuhl in der Prärie. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Van Sant schreckt vorm Wohlfühlkino nicht zurück

Van Sant könnte es sich leicht machen, „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ - so der deutsche Buch- und Filmtitel - als klassischen Therapiefilm inklusive Katharsis und Happy-end zu erzählen. Mit „Good Will Hunting“ hat er bereits bewiesen, dass er vor dieser Form des Wohlfühlkinos nicht zurückschreckt. Aber John Callahan, gespielt von Joaquin Phoenix mit einer Unfrisur im schmutzigen Pumucklrot, ist eine zu komplizierte Persönlichkeit für eine lineare Erzählung. Das Leben ist nicht einfach für den Arsch und wird dann besser, es ist ein täglicher Kampf. „Da schießt kein Blitz durch dich hindurch und heilt die ganze Scheiße“, meint Donnie (Jonah Hill), sein Mentor bei den Anonymen Alkoholikern. „Es gibt Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse und Momente der Klarheit. Aber ein Teil der Scham bleibt für immer. Du musst mit dem Schmerz jeden Tag kämpfen.“ Solche Motivationsfloskeln sind im Therapie-Setting wohl unvermeidlich, entscheidend aber ist die Rahmung, die van Sant vornimmt, um die Konvention des weepies immer wieder zu unterlaufen.

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„Don’t worry, weglaufen geht nicht“ weist formal Ähnlichkeiten auf mit van Sants experimentelleren Filmen wie „Elefant“ oder „Paranoid Park“: die elliptische Bildmontage, die fließenden Einstellungen von Christopher Blauvelt, die mäandernde Erzählung. Am Anfang sitzt Callahan in seiner AA-Gruppe, dann führt er im Rollstuhl ein Publikumsgespräch über seine Arbeit, kurz darauf streift er im verlotterten Hawaiihemd durch die Straßen auf der Suche nach Fusel – bevor der Kater einsetzt. Es liegt eine schöne Beiläufigkeit darin, wie van Sant die Szenen aneinanderreiht oder auch ausfransen lässt, man kennt das aus den Filmen Judd Apatows.

Sparringspartner im Schlagabtausch bizarrer Weltanschauungen

„Don’t worry“ hat mit Jonah Hill auch einen echten Apatow-Schützling an Bord, dessen ausladende, aufreizende Körperlichkeit einen irritierenden Gegensatz zur eingeschränkten Mobilität von Phoenix’ Figur darstellt. Donnie ist ein auf erratische Weise geerdeter Charakter, philosophisch und lakonisch: als wäre er direkt einem Callahan-Cartoon entsprungen. Ein christlich erzogenes Trustfund-Kid, das Laozi zitiert, mit der Warhol-Factory feiert und es sich zum Hobby gemacht hat, die Sünder auf den rechten Weg zu führen. Lasziv wie ein Schulmädchen räkelt er sich beim Telefonieren im Satin-Bademantel auf seinem Bett, bei den Gruppentreffen nuckelt er affektiert an einem Zigarettenhalter.

Hill ist ein Garant dafür, dass „Don’t worry“ nie ins Befindlichkeitskino überkippt, einen besseren Sparringspartner im Schlagabtausch bizarrer Weltanschauungen kann man sich für Phoenix nicht wünschen. Donnie ist der perfekte Sidekick für Callahans Absturz in die tristen Gefilde des Selbstmitleids. Von der biologischen Mutter verstoßen, mit 13 dem Alkohol verfallen, an den Rollstuhl gefesselt, bevor das Leben überhaupt angefangen hat, schleppt der Misanthrop jede Menge emotionalen Ballast mit sich herum, bis er in der illustren Therapiegruppe landet. Die Sitzungen gehören zu den Höhepunkten des Films, weil hier eine Ahnung vom Impromptu-Flow aufkommt, der dem bizarren Humor des Skripts freien Lauf lässt. Ein indignierter Udo Kier sitzt bei Donnie, Indie-Ikone Kim Gordon (ex-Sonic Youth) stört sich an den Schwanzgedichten des schwulen Slampoeten, und Gossip-Sängerin Beth Ditto gibt die „Redneck“-Rampensau, wenn Johnnie mal wieder über sein Schicksal lamentiert.

Weglaufen ist keine Option

Denn eigentlich wird Callahan vom Regisseur und seinen Mitmenschen gut aufgefangen. Die Sextherapeutin in der Reha-Klinik fühlt sich für seine Körperfunktionen zuständig: „Wir wollen, dass sie wieder eine Erektion kriegen.“ Und seine schwedische Pflegerin Annu (Rooney Mara) fungiert – aus diesen Rollenmustern scheint van Sant einfach nicht ausbrechen zu können – als ätherische Muse. Unterstützung erfährt Johnnie aber auch von unerwarteter Seite. Bei seinem Büßertrip, Schritt neun der Entziehungskur, sucht er nach Jahren wieder seinen Unfallfahrer (Jack Black) auf, den es seit dem Crash vollends aus der Kurve bugsiert hat. Callahan mustert aus dem Rollstuhl heraus das arme Würstchen und muss erkennen, dass das Leben es vielleicht doch nicht ganz schlecht mit ihm gemeint hat. Weglaufen ist keine Option, sich selbst vergeben immerhin ein Anfang.

Ab Donnerstag in 10 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, FT Friedrichshain, FSK, Kulturbrauerei, Odeon

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