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Zerbrechlich. „Bodies“ heißen die kleinen Tonfiguren in der Galerie PSM. Sie sind Speicher traumatischer Erlebnisse.

© Galerie PSM

Töpfern als Therapie: Wie Bundeswehrsoldaten ihr Leid verarbeiten

Die Galerie PSM zeigt erstmals Arbeiten der Künstlerin Almut Linde. Sie entstanden gemeinsam mit Soldaten. Und zeugen von Zerstörung und Trauma.

Ist das Kunst, oder kann das weg? Auf den ersten Blick scheinen die fleischfarbenen Tonfiguren jedes Vorurteil zu bestätigen, das Skeptiker gegenüber zeitgenössischer Kunst pflegen: „Das hätte mein siebenjähriger Großneffe aber besser hingekriegt.“

Auf den zweiten Blick sehen die Figuren nicht besser aus. Besser im Sinne von: kunstfertig oder schön im herkömmlichen Sinn.

Die komischen Knetfiguren in Puppengröße bestehen aus Rumpf, Kopf und Extremitäten. Nur in einem Fall sind Augen, Nase und Mund erkennbar.

Sie stehen, knien, liegen in bedenklichen Posen. Zwei haben die Hände – das heißt: die nicht näher ausgestalteten Enden ihrer Arme – vor den Augen. Reiben sie sich die Tränen weg? Oder wollen sie etwas nicht sehen? Eine Figur hat den Ellbogen auf das Knie, den Kopf auf die Hand gestützt.

Sollte es sich hier möglicherweise um eine, wenn auch arg ungelenke Referenz auf Rodins berühmten „Denker“ handeln? Oder darf man aus der Abwesenheit jeglicher kunsthandwerklichen Ausbildung auch gleich auf fehlende Kenntnisse der Kunstgeschichte schließen? Die Figur könnte, anstatt hehren Gedanken nachzuhängen, auch einfach nur verzweifelt sein, erschöpft, vielleicht sogar verletzt.

Vorgegeben war nur ein Zeitrahmen

Der Vergleich mit den anderen acht Figuren legt das nahe. Besonders lustig sehen sie alle nicht aus. Anders gesagt: Würde der Großneffe des Kunstskeptikers beim Töpfern in der Grundschule so eine Figur zum Brennen abgeben – die Chancen stünden nicht schlecht, dass die Klassenlehrerin die Eltern des Kleinen einbestellt, um zu erfahren, ob zu Hause wirklich alles in Ordnung ist.

Nichts ist in Ordnung. Die Figuren wurden tatsächlich von Laien gefertigt. Von Soldaten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), im Zentrum für seelische Gesundheit des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg und im Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin. Das Töpfern gehört dort zum therapeutischen Konzept.

Nur dass die Figuren oder: „Bodies“, wie sie in der Berliner Galerie PSM auf dem Dielenboden verteilt stehen und liegen, nicht unter der Anleitung eines Kunsttherapeuten entstanden sind, sondern zusammen mit der Künstlerin Almut Linde.

Sie hat den Soldaten nur einen Zeitrahmen vorgegeben, um die „Bodies“ in Form zu bringen. Sie hat ihnen nicht etwa gesagt, sie sollten sich vorstellen, die „Bodies“ seien sie selbst.

Für Action war gesorgt

Almut Linde arbeitet regelmäßig mit Menschen aus geschlossenen Systemen. Systemen wie Massentierhaltungsbetrieben oder Schlachthöfen. Oder der Bundeswehr, immer wieder. Als eine von sehr wenigen (in Kunst) promovierten Künstlerinnen ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Interdisziplinäre künstlerische Praxis an der Muthesius Kunsthochschule und hat einmal einen Kunstvortrag in einer Kaserne gehalten.

Die Teilnahme war den Soldaten befohlen worden. Zu den in der Folge entstandenen Kunstwerken gehören zwei Gruppen aus den Jahren 2005 und 2006, die mit je zwei Arbeiten ebenfalls bei PSM zu sehen sind. Für „Dirty Minimal#33.2.9 - Bullet Action-Painting / Machine Gun“ hat Linde Soldaten mit Maschinengewehren auf Glasscheiben schießen lassen; für eine andere Arbeit mit Maschinenkanonen auf Aluminiumplatten. Für Action war also gesorgt.

Die Arbeiten zeugen von der Zerstörungskraft militärischen Werkzeugs

Aber auch auf ästhetischer Ebene ist die Bezugnahme auf Jackson Pollock und seine Drip-Paintings plausibel. Die kraterartig durchlöcherten Platten zeugen von einer dynamischen Technik, die jenseits von bewusster Beeinflussung durch den Hersteller/Urheber ihre – künstlerische – Kraft entfaltet.

Sie zeugen auch von der gewaltigen Zerstörungskraft militärischen Werkzeugs. Man könnte sie zugleich als Absage an die Idee des von der Muse geküssten Großkünstlers mit seiner meisterhaften Hand lesen.

So eine Absage haben den Abstrakten Expressionisten bereits vor Jahrzehnten die Kollegen von der Minimal Art erteilt, mit ihren streng geometrischen Strukturen.

Eine radikale Schönheit wird sichtbar

„Dirty Minimal“: So heißen alle Arbeiten von Almut Linde. Bei ihr verunreinigt das wahre Leben, etwa in Gestalt der Soldaten und ihrer tödlichen Waffen, die heilige minimalistische Ordnung.

Auch wenn die Hersteller jener verschmutzten minimalistischen Arbeiten nicht ihre Urheber sind – das ist allein die Künstlerin. Auch diese Praxis kennt man von den Minimalisten, die die Ausführung ihrer Werke gerne (hoch qualifizierten) Handwerks- und Industriebetrieben überließen.

Um die radikale Schönheit der vermeintlich und tatsächlich ungelenken „Bodies“ zu erkennen, bedarf es über den zweiten Blick hinaus einer ganzen Menge Gehirnschmalz.

[Galerie PSM, Schöneberger Ufer 61, 7.–11.1., Di–Sa 12–18 Uhr]

„Bodies“ ist Almut Lindes erste Ausstellung bei PSM, der vor elf Jahren von Sabine Schmidt gegründeten Galerie. Es ist auch die erste Schau mit Schmidts neuem Partner in der Galerie: Gregor Hose, der zuvor neun Jahre Direktor bei Johann König war. König stand mehrfach auf der „Power 100“-Liste der „Art Review“ mit den einflussreichsten Kunstpersönlichkeiten der Welt und spielt, auch preislich, in einer anderen Liga.

Bei PSM bewegen sich die Arbeiten im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich, Linde ist dafür exemplarisch. 6000 Euro kosten die „Bodies“, 2200 Euro die „Bullet Action-Paintings“ auf Glas, 12 000 Euro auf Aluminium.

Jens Müller

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