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Der Nievollendete. Tim Fischer.

© Doris Spiekermann-Klaas

Tim Fischer singt in Berlin: Mit Schellack bin ich durch

Tim Fischer ist 40 und steht seit 25 Jahren auf der Bühne. Das feiert er im Tipi mit neuem Programm. Ein Jubiläumsplausch.

Was wird seine alte Freundin, die strenge Brecht-Diseuse Gisela May bloß dazu sagen? Da will ihr Verehrer und Kollege Tim Fischer einfach so das jahrzehntelang hingebungsvoll gepflegte R-Gerolle eines klassischen Chansonniers runterfahren. Und auch die Worte nicht mehr so überklar prononcieren, sondern verschliffener, quasi wie ein Deutschpopper singen. Im neuen Programm „Geliebte Lieder“, das am heutigen Dienstag im Tipi Premiere hat, und auf dem parallel erscheinenden neuen Album übt er das, ja kann es fast schon.

„Schöner war’s mit dir“ heißt die von Peter Plate popschlagerig produzierte und gemeinsam mit Ulf-Leo Sommer komponierte Nummer, die Fischer weg- vom seinem sonstigen Kreisler-Knef-Leander-Brel-Repertoire katapultiert und nach der Fotoprobe ganz enthusiastisch plaudern lässt. „Das ist so heutig, so frisch!“ Noch viel mehr solcher Songs möchte er singen, das bewährte alte Liedgut natürlich trotzdem nicht in Bausch und Bogen verwerfen. „Aber mit den Schellackplatten bin ich jetzt durch.“

Das ist mal eine Ansage nach 40 Lebens- und 25 Bühnenjahren, in denen der Sänger und Schauspieler dem breiten Publikum hauptsächlich als Kulturpfleger in Sachen Georg Kreisler, Zarah Leander oder Hilde Knef bekannt geworden ist. Obwohl er auch immer andere Lieder interpretiert hat. Rudi Schurickes Hit „Die Capri-Fischer“ zum Beispiel. Mit dem Song hat der in Delmenhorst geborene Tim Fischer im Bistro Capitol in Oldenburg mit 15 seine erste Gage verdient – einen ganzen Zehner.

Dass er auf die Bühne gehört, hat der Sohn von Hippie-Eltern, dessen Bruder Denis ebenfalls Sänger geworden ist, immer gewusst. „Dieser Größenwahn war mir angeboren“, lächelt der zarte Herr, der sich auf die zähe Autodidakten-Tour nach oben gesungen hat. Mit 16 zieht er zu Hause aus, geht vom Gymnasium ab, fällt durch die Schauspielprüfung und geht trotzdem zum Singen und Feiern nach Hamburg auf die Reeperbahn. „Zarah ohne Kleid“ heißt das Programm, mit dem er als 17-Jähriger im Schmidt-Theater reüssiert. Der wunderbare Rainer Bielfeldt, der gemeinsam mit dem Saxofonisten und Akkordeonisten Thomas Keller auch das Jubiläumsprogramm am Piano auskleidet, schreibt seinem damaligen Liebhaber einen Hit auf den schmalen Leib – die „Rinnsteinprinzessin“. Das melancholische Prostituierten-Chanson sei nun mal bis heute sein Lied, sagt Tim Fischer und setzt nach: „Ich war ja selbst auch mal Stricher.“ Ach nee, Stricher? Das ist doch sicher ein Satz, der ins Reich halbseidener Künstlermythen gehört. Dass er in blutjungen Jahren geistigen Getränken und bewusstseinsfördernden Substanzen zugeneigt gewesen ist, munkelte nicht nur Fischer selbst über Fischer, aber Prostiutierter gewesen? Doch! Der Künstler besteht darauf und schaut wegen ganz was anderem ein bisschen nervös.

Zum 25. Bühnenjubiläum will der seit 1992 in Berlin lebende Sänger nämlich endlich mal ein paar Tanzschritte lernen. Zu der munteren Rainer-Bielfeldt-Komposition „Kauf dir eine Frau“. Den Tanzlehrer hat er nach Hause bestellt. Wie, noch eine Choreografie lernen, so knapp vor der Premiere? Er nickt und winkt ab. „Zwei, drei Schritte nur, das reicht, weniger ist manchmal mehr.“

Letzteres ist seit dem 40. Geburtstag im März sowieso Fischers neues Lebensmotto. Da hat er innen und außen so richtig Tabula rasa gemacht und in jeder Hinsicht Ballast abgeworfen. Wein und Zigaretten sind seitdem tabu. „Alkohol, Proben und Chansonabende sind keine Amigos“, weiß der gereifte Tim Fischer. „Mit 40 will ich für andere einstehen“. Schließlich habe er als sein eigener Produzent die Verantwortung für zwei Musiker, zwei Techniker und seinen Mann, der ihm das Büro führt. Auch beim Anhäufen von Dingen, dem „ganzen materiellen Müll, der diese Gesellschaft überschwemmt“, will er nicht mehr mitmachen. Diesem neuen Purismus sind seine Bücher- und Plattensammlungen zum Opfer gefallen. Die gerade vor zwei Jahren bezogene Wohnung am Innsbrucker Platz gibt Fischer mit der kommenden Tournee schon wieder auf. Sein Wunsch ist es, eine Weile ganz aus dem Koffer zu leben. „Mir tut es gut, klar zu sein“, sagt er, „ich habe die Schnauze vom Überflüssigen voll.“

Trotzdem weiß er musikalisch, was er seinen Fans an Ballast aus 25 Jahren schuldig ist, und hat in das neue Programm neben ironischen, wie immer perfekt gespielten Nummern wie Rainald Grebes „ICE“, Georgs Kreislers „Der Liebesbrief“ oder Thomas Pigors „Heiße Liebe“ auch seine Melancholie-Standards wie „Wo sind die Clowns“ von Stephen Sondheim oder „Komm, großer schwarzer Vogel“ von Ludwig Hirsch eingebaut. Und vier einst vom Lyriker Rainer Kirsch extra für Gisela May ins Deutsche übersetzte Jacques-Brel-Nummern.

Neu ist, dass Tim Fischer nicht nur als Peter Plate, sondern auch als Udo Lindenberg gut rüberkommt. Lindenbergs lakonische Vertonung von Erich Kästners Gedicht „Sachliche Romanze“ singt er bezwingender als der heute ebenfalls in Askese trockengelegte Udo.

Überhaupt. Sich in so einem windigen Berufszweig 25 Jahre zu behaupten, koste Blut, Schweiß und Tränen, attestiert sich Tim Fischer. „Da klopfe ich mir selbst auf die Schulter.“ Und wenn es nichts geworden wäre – mit dem deutschen Kleinkunstpreis, den internationalen Tourneen, den Schauspielhäusern? „Dann wäre ich Konditor geworden oder Altenpfleger, mit Alten konnte ich schon immer gut.“ Letzteres glaubt man dem Kulturpfleger des Werks der großen Alten glatt.

Wie es sich anfühlt, 70 zu sein, erlebt Tim Fischer übrigens täglich am eigenen Leib. Seit zehn Jahren trägt er in jedem Ohr ein Hörgerät. Nicht ganz einfach für einen Sänger. Wie es dazu gekommen ist? Er zuckt die Achseln. „Ich hab’ vollgedröhnt in der Disko stundenlang vor den Boxen gehangen und dann einen Hörsturz und Tinnitus bekommen.“ Danach waren die hohen Frequenzen im Gehör weg und der Ohrenarzt bescheinigte ihm die Hörkraft eines alten Mannes. „Taub bin ich nicht, ich höre nur dumpfer.“ Eine irre Umstellung sei das gewesen, sich an die Hörgeräte zu gewöhnen, erzählt er. Und dass sein Bühnensound immer eine besondere Herausforderung für den Tontechniker sei.

Tim Fischer steht auf. Ach ja, der Tanzunterricht. Eine Frage noch: Welche zwei, drei persönlichen Dinge kommen nach der Wohnungsauflösung in den verbleibenden Koffer? Er grübelt. „Weiß ich noch nicht. Aber es wird wieder was hängen bleiben, das tut es ja immer.“

Tipi am Kanzleramt, 8. bis 13. Oktober, Di–Sa 20 Uhr, So 19 Uhr

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