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Thomas Scheibitz in der Kindl-Brauerei: Zu groß, um wahr zu sein

Acht Meter hoch, eine Riesenskulptur, ein Anti-Denkmal. Bildhauer Thomas Scheibitz denkt in der Kindl-Brauerei über Skulptur und Architektur nach, Kathrin Sonntag zeigt rätselhafte Fotos.

Thomas Scheibitz spricht von Risiko, wenn er über seine neue Skulptur im Kindl redet. Schließlich will sich der Mensch maßstäblich fühlen. Und in einem Raum wie dem Kesselhaus mit seinen etwa 20 Meter Höhe ist der Mensch nur ein Strich. Eine Skulptur, die sich in so einer Industriekathedrale behaupten soll, läuft Gefahr, in erster Linie riesig zu sein: ein überwältigendes Objekt in einem monumentalen Raum. „Maß mit Denkmalverdacht“, nennt Scheibitz das. Genau diesen Effekt wollte er vermeiden. Sein Anti-Denkmal ist nun im Kindl in Neukölln zu bewundern.

Es ist die größte Skulptur, die der Berliner Bildhauer und Maler jemals realisiert hat. Acht Meter misst sie an der höchsten Stelle. In diesen Dimensionen hat Scheibitz bisher nicht gedacht. Ein Statiker musste mitplanen, um den sicheren Stand des Bauwerks zu gewährleisten. Damit streift man bereits eines von Scheibitz’ bildhauerischen Dauerthemen: die Frage nach Skulptur und Gebäude. Was ist das eine, was ist das andere. Und: Wo kippt die Gewissheit?

Ein Vokabular der Begriffe und Formen

„Plateau mit Halbfigur“ nennt der 50-Jährige seine Skulptur. Auf einem viereckigen, rot gefärbten Podest sind sieben Figurinen platziert, denen man im Scheibitzschen Kosmos schon öfter begegnet ist: ein Tropfen, ein Tor, ein Stiefel, ein Haus, eine Brücke, eine Art Wappen oder Puzzleteil und in der Mitte ein Buchstabe, der aussieht wie ein spitzes A.

Scheibitz hat sich in den vergangenen 20 Jahren ein eigenes Vokabular erarbeitet, das sich aus seiner umfangreichen Materialsammlung speist. Er sammelt, filtert und archiviert Objekte, Zeitungsausschnitte, Seiten aus Bildbänden, Skizzen, Filmszenen, Comics und eigene Fotografien. Sein Vokabular umfasst an die 60 Begriffe und Formen, aus denen er sich immer wieder bedient. Wie auch jetzt.

Im Kindl sind diese Körper nun aus einfachem Material gebaut, meist aus Holz oder Pappe, wenngleich sehr ordentlich, so dass auch ihr Innenleben präsentabel aussieht. Noch so eines von Scheibitz’ Themen: innen und außen. Doch nicht das Material ist zentral, sondern die Farbe. Aus dem Gebäude leuchtet eine gelbe Wand, das „A“ ist mit einem Schatten in Rot beschlagen, der Tropfen hat eine gelbe Flanke, ansonsten zwei Weißtöne und ein glänzendes Braun. Scheibitzsche Farben.

Kurator Andreas Fiedler kreiert im Kesselhaus eine vierjährige Ausstellungsreihe

Wie selbstverständlich steht die Figurengruppe im Kesselhaus. Das rote Podest sorgt für Klarheit. In einem Arbeitsbuch zur Ausstellung, in dem es um Ähnlichkeiten und Herleitungen geht, verrät er: Gedanklich stand sein Bildhauer-Atelier Pate. Auch in seinem weitläufigen Tegeler Arbeitsraum stehen von ihm erfundene Formen nebeneinander, nicht als Erzählung kombiniert, sondern rein pragmatisch, eine ist neben der anderen zum Stehen gekommen. Das verdeutlich, was der gebürtige Radeberger erschaffen will. Abstrakte Formen ohne Sinn und Funktion, die man um ihrer selbst willen akzeptiert. Dabei fährt er schon lange zweigleisig. Die Hälfte der Zeit arbeitet Scheibitz malerisch, die andere Hälfte in seinem Bildhaueratelier.

Dass etablierte Künstler wie er im Kindl Gelegenheit bekommen, eine große neue Arbeit zu realisieren, die dazu acht Monate lang zu sehen sein wird, ist dem Kurator des Hauses, Andreas Fiedler, zu verdanken. Fiedler sieht das, was er im Kesselhaus seit vier Jahren initiiert, als Ausstellungsreihe. Roman Signer hängte dort ein Propellerflugzeug an die Decke, der Videokünstler David Claerbout nutzte das Kesselhaus für eine Echtzeitprojektion, Haegue Young spielte mit dem Licht, und Scheibitz stellt nun erstmals eine Skulptur auf dem Boden ab. Das war Fiedlers Bedingung. Etwas sollte auf dem Boden stehen.

Echo zwischen Realität und Abbildung

Viele Monate hat Scheibitz getüftelt. Und nachdem er sich für die Form entschieden hatte, brauchte er noch mal drei Monate mit einem Architekten- und Bauteam für die Realisierung, eine Phase, in der viele Entscheidungen getroffen werden mussten. Jede Schraube, Kante, erst recht die Ausrichtung des Ensembles. Nun ist das Gebilde samt Sockel so gedreht, dass es von zwei Seiten im Blick hat, wer den Raum betritt. Allerdings blickt man auf jede Menge Kanten. Der Besucher muss erst ein paar Schritte um die Skulpturengruppe herumlaufen, bevor er das Gefühl hat, ihre Vorderseite zu sehen. Beim Anblick der Formen soll er sich an Vertrautes erinnern und doch Neuland betreten.

Mit diesem Gedanken im Kopf lässt sich leicht in Kathrin Sonntags Ausstellung „Things Doing Their Thing“ im Maschinenhaus des Kindl hinüberwechseln. Die Berliner Fotografin zeigt ebenfalls vertraute Gegenstände. Allerdings in rätselhafter Form. Ihre Fotografien provisorischer Lösungen – ein mit einer Holzlatte abgestützter Baum oder ein Wischmopp, der zum Trocknen auf eine Mauer gehängt ist – sind auf einer Fototapete zu sehen. Diese wiederum bildet außer Sonntags gerahmten Fotografien architektonische Details und Objekte des Ausstellungsraumes ab. Die fotografierten Kabel, Leitungen und Farbeimer befinden sich tatsächlich im Raum. Dieses Echo zwischen Realität und fotografischer Abbildung stört den Betrachter beim routinierten Schauen. Ein Schubs, ein Stolpern – dann Aufmerksamkeit.

Kindl, Zentrum für zeitgenössische Kunst, Mi bis So 12-18 Uhr, Thomas Scheibitz bis 12.5. 2019; Kathrin Sonntag bis 27. 1.

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