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Valery Tscheplanowa mit Martin Wuttke in Castorfs „Faust“-Inszenierung.

© Thomas Aurin/Festspiele

Theatertreffen: Gespräch mit Valery Tscheplanowa: „Ich begebe mich gern in Gefahr“

Nie war Gretchen so stark: Ein Gespräch mit Valery Tscheplanowa über Lieblingsregisseure, Sexyness auf der Bühne und ihren schwierigen Start in Deutschland.

Frau Tscheplanowa, Frank Castorf hat Sie unlängst mit einem russischen Panzer verglichen. Er sagte, sie verfügen über die Kraft eines T34 – und über die Disziplin einer Bolschoi-Ballerina.

Tscheplanowa (lacht): Das Zitat geht noch weiter! Sie haben „die typische Verlogenheit einer Russin“ vergessen!

Stimmt, das hat er auch gesagt. Das müssen Sie erklären!

Es existiert tatsächlich etwas Unverschämtes in der russischen Mentalität. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass es so viele von uns gibt. Um sich da untereinander durchzusetzen, ist Unverschämtheit ein wichtiger Faktor: Man legt nie alle Karten auf den Tisch. Wenn man mit jemandem zusammensitzt, gibt man ihm das Gefühl, er sei der einzige auf der Welt, aber in Wahrheit köchelt links und rechts noch ein Süppchen.

Sie klingen gar nicht beleidigt!

Meine Mutter war total sauer, als sie das las. Aber ich habe mich über Castorfs Sätze sehr gefreut. Ich glaube, sie beschreiben wirklich ziemlich treffend meine guten und meine schlechten Eigenschaften. Ich habe ja auch eine Menge schlechte!

Welche denn?

Ich bin wirklich kein schöner Charakter und auch nicht sehr beliebt.

Dafür sind Sie ehrlich!

(lacht) Fakt ist: Ich langweile mich ungern, bin ein ziemlich ungeduldiger Mensch, und ich begebe mich gern in Gefahr. Als Panzer will man ja auch rausgeschickt werden. Und wenn ich das Gefühl habe, der Weg ist nicht weit genug, sträube ich mich, überhaupt loszufahren. Castorf ist natürlich jemand, der einen richtig weit schickt.

Es heißt, Sie hätten einander bei den „Faust“-Proben nichts geschenkt.

Castorf hat eine großartige Form von geistiger Inkontinenz. Er ist in der Lage, wirklich alles zu sagen, was ihm so in sein Hirn kommt, denn er sieht sehr viel und kann das alles genau benennen: jede Verkrampfung, jede Ängstlichkeit, aber auch jede Möglichkeit, also im Positiven wie im Negativen. Bevor ich zum ersten Mal mit ihm arbeitete...

... in „Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg“ vor zwei Jahren am Münchner Residenztheater ....

... war ich wirklich an einem Punkt, wo ich dachte, jetzt drehe ich durch. Dimiter Gotscheff war gestorben, ich arbeitete vor mich hin und fand: Alles, was ich mache, ist klebrig und dumm, ich bin nicht ausgelastet, ich stagniere komplett, und wenn jetzt nicht irgendetwas passiert, implodiere ich einfach.

Worin bestand das Problem?

Ich war einfach nicht am richtigen Ort für mich. Und wenn man zu lange in Konstellationen arbeitet, wo man zu viel ausgleicht, deformiert man sich. Ich fühlte das, wusste aber nicht, wohin.

Und „Svejk“ war die Lösung?

Castorf scannt einen. Er sieht diese Verkrüppelungen und benennt sie. Und bei mir hatte sich wirklich viel angestaut. Ich war sehr aggressiv und habe das an ihm ausgelassen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Man guckt, was die Schwächen des anderen sind – Alter, Todesangst, was man halt so findet und reitet darauf herum. Er hat damit gespielt. Das ist tatsächlich eine ungeheure Qualität, dass man ihm alles Mögliche zeigen kann. Er bringt einen dadurch zum Wachsen.

Am Resi haben Sie gekündigt.

Ja, seit „Faust“ bin ich freischaffend und lebe so, wie ich es schon die ganze Zeit hätte tun sollen. Ich glaube, dann wäre ich auch nicht so ein Stinkstiefel gewesen. Vielleicht habe ich aus Unsicherheit die falschen Entscheidungen getroffen.

Inwiefern?

Wenn man wie ich als Kind mitgenommen wird in ein anderes Land, ist das eine ganz komische Sache. Ich habe Russland ja geliebt. Ich wollte da nicht weg und habe richtig gegen meine Mutter gekämpft. Dann lernt man die neue Sprache und empfindet erst mal eine Distanz zu dem Land. So ein Gefühl von: Jetzt bin ich halt hier, dann muss ich auch machen, was mir vorgesetzt wird. Darin lag so eine Art Minderwertigkeitskomplex, dass ich hier nicht sein darf, wie ich will. Ich dachte: Okay, so funktioniert Theater, daran muss ich mich gewöhnen. Und deswegen waren viele Jahre so verquer.

Sie wurden direkt nach dem Studium ans Deutsche Theater engagiert und spielten bei Dimiter Gotscheff. Aus Zuschauersicht wirkte das eigentlich recht unverquer.

Das war es auch! Gotscheff habe ich am ersten Tag nach der Schauspielschule kennengelernt. Nach dem Vorsprechen habe ich meine Mutter angerufen und gesagt: Mama, das ist es! Ich will gar nicht zum Theater, ich will einfach mit Gotscheff arbeiten!

Was war an ihm so besonders?

Bei Gotscheff konnte ich wirklich alles, was ich habe, auf den Tisch legen. Und bei Castorf war das wieder so. Viele andere Regisseure haben ja eine wahnsinnig schmale Aufgabenstellung an einen. Ich sehe sofort, wenn ich auf eine Probe komme, ob es mich interessiert oder nicht. Und oft interessiert es mich nicht.

Interessiert Sie die auch am Theater aufgeflammte Sexismus-Diskussion?

Ich fühle mich hier privilegiert. Für mich ist das kein Thema. Wenn es um equal pay geht, halte ich es für meine Aufgabe, das zu erkämpfen. Mich muss kein Mann von irgendwas erlösen, mir muss keiner sagen: Du musst aber mehr verdienen. Ich mache das schon selbst! Wenn mein Arbeitgeber sich um meine Gage sorgt, kann ich ja gleich kündigen. Aus so einer väterlichen Haltung heraus wird der mich doch auch nicht spannend besetzen, da ist doch schon jedwede Sexyness den Bach runtergegangen!

Kein Problem mit männlichen Führungs- Seilschaften?

Nein. Es gibt doch auch Karin Beier und Karin Henkel.

Die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses und die vielfach zum Theatertreffen eingeladene Regisseurin, die mit der Zürcher Arbeit „Beute Frauen Krieg“ auch dieses Jahr wieder dabei ist.

Genau, die haben doch auch eine schöne Seilschaft! Wir leben ja jetzt in einer Zeit, wo das geht, alle Türen stehen offen. Und wenn Frauen untereinander zu viel konkurrieren – selbst schuld! Verbündet euch doch gegen XY, niemand steht euch im Weg! Ich sehe eher eine andere Art von Sexismus.

Welche denn?

Ich finde es zum Beispiel sexistisch, wenn mir als Schauspielerin die männlichen Partner weggenommen werden, wenn meine Frauenrolle sozusagen idealisiert und zu stark exponiert wird.

Also eine Art falsch verstandener, positiver Sexismus?

Ja. Und sexistisch finde ich auch, wenn mir die Sexyness abgeschnitten wird.

Aber es gibt schon sexistische Inszenierungen im Theater?

Natürlich! Absolut! Ich habe selbst mal in so einem Höllenritt gespielt, wo ich zur ersten Probe kam und der Regisseur sagte: Ich hätte gerne, dass Sie nackt sind. Auf der ersten Probe! Ich habe dann kein Wort mehr mit dem gesprochen. Woraufhin er jeden Morgen meinen Text kürzte und meinte: Nicht wahr, Frau Tscheplanowa, Sie sagen nur das Allernötigste?!

Was ist daraus geworden?

Eine sehr mittelmäßige Aufführung, wie ich finde. Ich habe es ja letztlich gespielt und war dann auch nackt. Das ist mir wurscht, aber es ist einfach keine Art.

In Milo Raus Abend „Dark Ages“ vor drei Jahren am Resi haben Sie viel aus Ihrer bewegten Kindheit erzählt

Ja, die war teilweise wie ein Groschenroman. Meine Mutter ist Dolmetscherin und lernte eines Tages bei der Arbeit einen Alleinunterhalter namens Horst Karl Johnny Lubitz kennen. Und Horst Karl Johnny Lubitz trug einen himmelblauen Smoking, spielte „Hier kommt der Eiermann“, hatte mal eine große Karriere in New York und viel Geld, konnte dann aber nicht damit umgehen und landete als Alleinunterhalter auf der Wolga, mit sehr großen Ambitionen und sehr kleinen Möglichkeiten. Er lebte in Deutschland und sagte, er habe dort ein Haus.

Mit ihm kamen sie nach Deutschland?

Ich war als Kind sehr krank, weil in dem Stadtteil, in dem wir in Kasan lebten, das Trinkwasser schlecht war. Und in der Sowjetunion konnte man ja nicht einfach umziehen. Deshalb wollte meine Mutter mit mir da weg. Also heiratete sie ihn, wir gingen nach Deutschland und landeten in einem, naja, stark renovierungsbedürftigen Haus in einem norddeutschen Kaff am Ende der B77, direkt neben einer Schweinemast mit einem riesigen Müllhaufen. Nach fünf Jahren haben meine Mutter und ich Horst Karl Johnny Lubitz dann verlassen und unser eigenes Leben aufgebaut.

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