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Das Theatertreffen, Party der Szene. Und Anlass, die Berliner Theaterszene kritisch zu betrachten.

© Annette Riedl/dpa

Theatertreffen 2018: Wie steht es um die Berliner Theater?

Was sind Profile, Ziele und Aufgaben der Berliner Theater? Wo bleiben die großen internationalen Werke? Eine Betrachtung zum Beginn des Theatertreffens.

Vor wenigen Tagen forderte ein Kollektiv, das sich seit dem vergangenen Herbst als die Vertretung der Volksbühnenbesetzer versteht, die Zukunft der Volksbühne müsse öffentlich ausgehandelt werden. Solche Stimmen von diversen Fraktionen aus der Stadt dürften sich in den nächsten Monaten häufen, während sich die eine oder andere Kandidatin, der eine und andere Kandidat, schon mal ins Gespräch bringt und Ansprüche anmeldet auf die Leitung der Volksbühne nach Dercon.

Man kann allerdings nicht wirklich sicher sein, dass der Mangel an kulturpolitischer Expertise und Einsicht, der die desaströse Fehlentscheidung mit Chris Dercon an der Volksbühne verursacht hat, wirklich nachhaltig beseitigt ist. In der gegenwärtigen Situation täte das Kultur-Berlin gut daran, innezuhalten und die künftige Volksbühnenintendanz mit einer Betrachtung der gesamten Berliner Theaterlandschaft zu verknüpfen.

Dafür gibt es einen legendären Vorläufer: Kultursenator Ulrich Roloff-Momin hatte 1991, allerdings in einer dramatischeren Situation, ein Team um Ivan Nagel beauftragt, eine solche Expertise anzufertigen. Damals war die Frage, wie für die potenziell von Abwicklung bedrohten Theater in Ost und West nach der Maueröffnung Profile, Ziele, Aufgaben formuliert werden könnten. Mit dem schlanken Titel „Zur Zukunft der Berliner Theater“ wurde dem Senat damals etwas an die Hand gegeben, das ihm half, die Theater zu retten. Nicht, dass die Vorschläge damals allesamt ins Schwarze getroffen hätten: Die Idee einer Fünferdirektion am Berliner Ensemble war ein grandioser Flop, während sich ihr Vorschlag, Frank Castorf an die Volksbühne zu berufen, historisch als genialer Gedanke erwies.

Die Schaubühne muss um zusätzliche Mittel bangen

Wie steht es heute um Profile, Ziele und Aufgaben der Berliner Theater? Dabei sollte man eindeutig auch darüber nachdenken, ob denn die Bundeskulturhäuser in Berlin ihre Aufgabe derzeit tatsächlich gut erfüllen. Das Haus der Berliner Festspiele steht übers Jahr zu oft leer, nachdem Intendant Thomas Oberender die traditionelle Rolle des Hauses als Gastspielort für die großen internationalen Bühnenformate zugunsten eher kleinformatiger Projekte aufgegeben hat.

Völlig diffus wird das Bild bei der Abbildung des internationalen Bühnengeschehens in Berlin. Das F.I.N.D.-Festival der Schaubühne ersetzt heute in Teilen die ehemaligen Festwochen, aber von Jahr zu Jahr muss das Haus am Lehniner Platz um die notwendigen zusätzlichen Mittel bangen. Einiges im Programm würde auch gut ins performativ ausgerichtete Hebbel am Ufer passen, während Großproduktionen nur in glücklichen Ausnahmenfällen überhaupt finanzierbar sind. Simon Stones „Ibsen Huis“ lag an der Belastungsgrenze eines ohnehin schon auf Hochtouren arbeitenden Hauses. Die Schaubühne stemmt also in Teilen eine Aufgabe, der sich die Festspiele nicht mehr stellen.

Ganze Segmente des Welttheaters sind weggebrochen

Während Berlins Festspielhaus verwaist, machen sich viel zu viele Akteure in viel zu vielen Kleinfestivals im kleinen und mittleren Bühnensegment, mit fast uniformer ästhetischer Ausrichtung und entlang von ein paar gerade herrschenden Diskursmoden Konkurrenz. Deshalb meint in Berlin jeder, mit internationalem Theater bestens versorgt zu sein, während doch ganze Segmente des Welttheaters weggebrochen sind.

Die späten Meisterwerke eines Krystian Lupa fehlen genauso wie das frühe Meisterwerk des jungen Julien Gosselin: Sein epochemachendes „2666“ nach Roberto Bolaño kam nur bis Köln. Seine gerade in Arbeit befindliche neue Mammutproduktion hat Hamburgs Thalia Theater blind gebucht; wird Berlin das Rendezvous mit der derzeit wohl größten europäischen Regiebegabung weiterhin verpassen? Eine schauspielerisch grandiose Phädra-Suite vom Mythos zur Postmoderne mit Isabelle Huppert in der Titelrolle, inszeniert von Krzysztof Warlikowski, war in New York, London und Athen zu sehen, nicht aber in Berlin. Die gewaltige Entstehens- und Vergehensmetapher „The great Tamer“ des Choreografen Dimitris Papaioannou hat viele europäische Länder bereist, nicht aber Deutschland und Berlin. Auch für Joël Pommerats gewaltiges Revolutionsepos „Ça ira (1) – Fin de Louis“ gab es in Brasilien, Kanada, und der Schweiz Gastspielstationen, nicht in Berlin.

Funktioniert das klassische Festspielmodell heute noch?

Alle diese Arbeiten – die Liste lässt sich leicht verlängern – sind für das HAU und für die andere Berliner Festivals viel zu groß und zu teuer. Die Festspiele konzentrieren sich derweil darauf, sich als Co-Produzent von kleinen Stücken sporadisch in diversen kleinen Räumen der Stadt ein eigenes Profil in der beliebten Mischzone zwischen Kunst und Theater zu erarbeiten. Das braucht viel Kuratorenprosa und interessiert trotzdem wenige.

Natürlich stellt sich für die Zukunft die Frage, ob denn das klassische Festspielmodell heute überhaupt noch funktioniert. Fast jedes der Berliner Sprechtheater hat sich mit einem eigenen kleinen Festival einen komplementären Außenposten zum eigenen Spielplan aufgebaut, vom F.I.N.D.-Festival der Schaubühne, über die Autorentheatertage des Deutschen Theaters zum Herbstsalon des Gorki-Theaters.

Anscheinend sind die den Ensembletheatern angegliederten Festivals durch die Anbindung an die jeweiligen Spiel- und Denkkulturen derzeit besser akkreditiert als die Programme der naturgemäß spartenübergreifenden und schwer zu definierenden Bundeskulturhäuser. Aber je besser das Haus der Berliner Festspiele in der ehemaligen Freien Volksbühne internationale Bühnenkunst abbildet, umso besser kann man die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz von solch irrigen Aufgabestellungen verschonen wie denen, die zu Chris Dercons Berufung und seinem Scheitern geführt haben. Wenn das Theatertreffen und mit ihm die Party der deutschsprachigen Theaterszene vorbei ist, kann man ja über ein besseres Zusammenspiel der staatlichen und städtischen Berliner Bühnen zwischen nationaler und internationaler Theaterwahrnehmung mal nachdenken, und warum nicht anhand eines Papiers, wie es das von Ivan Nagel damals war.

Eberhard Spreng

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