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Freisinnig. Virginia Woolf mit dem Schriftsteller Lytton Strachey, der wie sie Mitglied der Bloomsbury Gruppe war.

©  Mauritius/Paul Fearn

Theaterstück von Virginia Woolf: Facetten eines Genies

Virginia Woolf als Dramatikerin: Tobias Schwartz inszeniert das absurde Kammerspiel „Freshwater“ am Literarischen Colloquium in Wannsee.

Viele Legenden ranken sich um die Bloomsbury Group, die freisinnige Londoner Gruppe, deren prominentestes Mitglied Virginia Woolf war. Benannt ist sie nach einem Stadtteil von London, und das weitverzweigte Beziehungsgeflecht – dem nicht nur Künstler angehörten, sondern etwa auch der Ökonom John Maynard Keynes – praktizierte über drei Jahrzehnte lang ein offenes Miteinander Gleichgesinnter, eine Gemeinschaft, die sich, intellektuell und sexuell freizügig, gegen den Plüsch des Viktorianischen Zeitalters positionierte.

Am Montag erlebte Bloomsbury im Literarischen Colloquium Wannsee eine denkwürdige Wiederauferstehung. Auftritt hatte die Schriftstellerin Antje Rávic Strubel als kühl-ironische Virginia Woolf, die von einer BBC-Reporterin (Alina Herbing) kurz vor der Uraufführung ihres Stückes „Freshwater“ nach der Gruppe befragt wird. „Was uns miteinander verbunden hat?“, fragt Woolf. „Leonard hat einmal gesagt, dass wir keine Autorität unbefragt anerkennen sollen.“

Olymp des Absurden

Das ist sattsam bekannt, anders als das Stück „Freshwater“. Die Prosa-Ikone Woolf als Dramatikerin? Es ist Tobias Schwartz zu verdanken, dass nun auch diese Facette des Woolf’schen Genies der deutschen Rezeption zugänglich gemacht wird, auf ungewöhnliche Weise. Denn der selbst als Stückeschreiber tätige Autor und Übersetzer hat das ab 1923 entstandene, nicht abendfüllende Stück nicht nur übersetzt, sondern es eingerahmt in ein fiktives Setting, dessen erster Akt in den dreißiger Jahren, zur Zeit der Uraufführung, in Bloomsbury spielt und das in der Gegenwart auf einer Wolke endet. Die Besonderheit des nun „Bloomsbury & Freshwater“ titulierten und im Aviva-Verlag erschienenen Kammerspiels: Wie schon 1935 übernehmen nicht Schauspieler, sondern Schriftsteller die Rollen.

Und was Tobias Schwartz und sein Team am LCB auf die Lesebühne brachten, muss sich nicht verstecken. Die verrückte Geschichte um Woolfs exzentrische Tante Julia Margaret Cameron, die mit ihrem Mann auf ihrem Anwesen Freshwater auf der Isle of Wight residierte, hat das Zeug für den Olymp des Absurden. „Eine Farce“ nannte es Woolf, ein „ziemlicher Quatsch, aber ich werde mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie ich als Stückeschreiberin einen guten Eindruck machen kann.“ Dass sie „die alte Cameron“, die fünf Jahre vor ihrer Geburt starb und auch als Fotografin bekannt wurde, einmal in den Mittelpunkt einer Komödie stellen wollte, notierte Woolf schon 1919 in ihr Tagebuch.

Ein unbeschwertes Vergnügen

Doch es dauerte über 15 Jahre, bis das Stück dann im Atelier ihrer Schwester, der Malerin Vanessa Bell, seine Uraufführung erlebte – und dann erst wieder 1982 in der französischen Fassung, mit Ionesco, Natalie Sarraute und Alain Robbe- Grillet als Chargen. Ein „Dramolett“ nennt es Verlegerin Britta Jürgs, die im LCB die Cameron mimt, in dem es eigentlich um nichts gehe, das aber von solch sprühendem Witz ist, dass es selbst in der Lesefassung immer wieder spontanes Gelächter provozierte.

Insbesondere Jan Peter Bremer als griesgrämiger Maler Watts und Alina Herbing – nicht in der Rolle der Reporterin, sondern als naive Ellen Berry, Watts allzu junge und frustrierte Ehefrau – und natürlich Strubel, die sich im „Freshwater“-Teil mit lauten eseligen „Iahhs“ einmischt, machten den Abend zu einem unbeschwerten Vergnügen. Auch wenn die Rahmenhandlung von Tobias Schwartz die gewitzte Absurdität des Woolf’schen Stücks kaum erreicht: Alleine diese kleine dramatische Delikatesse dem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu haben, verdient höchste Anerkennung.

Tobias Schwartz/Virginia Woolf: Bloomsbury & Freshwater. Mit dem Essay „Julia Margaret Cameron“ von Virginia Woolf und einem Nachwort von Klaus Reichert. 141 Seiten. Aviva-Verlag, Berlin 2017

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