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Armin Petras vor dem Maxim Gorki Theater

© dpa-bildfunk

Theaterkritik: Welt in der Westentasche

Der Abschied naht: Armin Petras zeigt am Maxim Gorki Theater Brechts „Leben des Galilei“.

Die Intendanz von Armin Petras am Gorki neigt sich dem Ende zu, und im Foyer werden alte Programmhefte verschenkt. Die Hefte sind klein und man blättert gerührt. Anja Schneider, Milan Peschel, Ronald Kukulies, Regine Zimmermann. Ein einziges „Ach!“ weht auch durch die vorletzte Inszenierung von Armin Petras, Brechts „Leben des Galilei“, erst am koproduzierenden Dresdner Theater herausgekommen und jetzt in Berlin zu sehen. Vor Ewigkeiten, Ende des letzten Jahrtausends, hat Petras das „Leben des Galilei“ schon einmal inszeniert, damals im Theater Nordhausen, und damals haben – passend zum wankenden ptolemäischen Weltbild – noch die Wände gewackelt. Es gab laute Musik, stampfende Stiefel, und wenn ein Kleriker die Bühne betrat, schwang der Boden, so dass alle Schauspieler herumhüpften. Wie leicht, verspielt und in welch’ gewissermaßen altmeisterlicher pointillistischer Manier ist dagegen dieser Abend in das elegante Bühnenbild des Künstlers Carsten Nicolai hingetupft!

Ein verspiegelter weißer Würfel, aus dessen Deckenloch eine riesige Kugel herunterhängt und als Weltpendel unablässig hin- und herschwingt. Natürlich ist es zugleich das mahnende Pendel der Uhr. Die Sekunden, sie verstreichen. Aber dann doch bitte mit ein wenig Spaß. Es ist, also wollte Petras zum Schluss noch einmal vorführen, worum es ihm in den letzten Jahren gegangen ist: große Stoffe, leicht runtererzählt. Die Vorteile: 1. Die Abende liegen nicht schwer im Magen. 2. Jeder Schauspieler bekommt mindestens einen großen Auftritt. 3. Die Aufmerksamkeitsanforderungen sind so gering, dass sich im Unterricht am nächsten Tag noch gut darüber reden lässt. Der große Nachteil: die Inszenierungen ähneln sich, und die Erzählweise hat mit dem Stoff eigentlich nicht mehr viel zu tun.

Brecht erzählt in fünfzehn Bildern vom Forschen und Leben des Galileo Galilei. Armes Professorenleben in Padua. Weiterentwicklung eines Fernrohrs, das er als eigene Erfindung ausgibt und dafür Geld von der Universität kassiert. Entdeckung der Jupitermonde. Propagierung des heliozentrischen Weltbildes, erst von der Kirche argwöhnisch beäugt, dann anerkannt, schließlich wird ihm doch der Prozess gemacht. Aus Angst vor Folter widerruft er 1633 seine Lehre von der „Bewegung der Erde“, lebt die letzten zehn Jahre als Gefangener der Inquisition in einem Landhaus und verachtet sich selbst, weil er die Wissenschaft verraten hat.

So etwas nennt man ein Stationendrama. Die Gefahr: Langeweile. Um die zu umgehen, ist immer etwas los. Kaum bettelt Peter Kurth als immer klammer Galilei den Kurator von Wolfgang Michalek um Gehaltserhöhung an, schon setzt Musik ein und das kleine Ensemble gockelt Faxen machend herum. Kaum schwingt sich Peter Kurth in einem Monolog zum Lob des Zweifels auf, schon zerhackt die Angstdramaturgie des schnellen Wechselns den erhabenen Ernst und die Schauspieler grimassieren, als wollten sie Gelehrte aus einem Kostümfilm imitieren.

So wird jede Szene mit ornamentalem Beigezappel aufgehübscht oder im Comicsprech zusammengezurrt oder durch Slapstickeinlagen und Improvisationen irgendwie hinter sich gebracht. Glaube oder Zweifel, Wahrheitsverpflichtung oder Selbstverrat – all diese Themen werden zwar angetippt, sind im nächsten Moment aber schon wieder ins Konturlose verwischt. So macht Petras aus großen Dramen kleine Momente für die Westentasche.

Wieder am 8. und 9.6.

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