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Gemeinsam gegen die Gentrifizierungs-Tristesse. Bild aus dem Musical „Stadt unter Einfluss“.

© Dorothea Huch

Theaterfestival gegen Gentrifizierung: Wohnungslos durch die Nacht

Das Festival „Berlin bleibt!“ im HAU setzt ein Zeichen gegen steigende Mieten. Den Anfang macht ein Protest-Musical. Sein Happy-End dürfte nicht jedem gefallen.

Wenn man für jedes Gespräch über die steigenden Berliner Mieten, sagen wir, einen Euro bekäme – dann könnte man sich wahrscheinlich bald eine Eigentumswohnung mit Spreeblick leisten. Klar, der Immobilienmarkt mit seinen Mondpreisen und Verdrängungskämpfen um jeden Quadratmeter bleibt das bestimmende Thema in der Hauptstadt, zumindest für alle, die nicht rechtzeitig ihr Erbe in Waschbeton investiert haben.

Was vor ein paar Jahren noch undenkbar erschien – Pariser oder Londoner Verhältnisse mit Innenstädten als Geringverdiener-freie Zonen – ist auf einmal bloß noch ein paar Luxussanierungen entfernt.

Auch am HAU wird jetzt zum Saisonstart das Gespenst der Gentrifizierung beschworen. Mit einem Festival, das den faustreckenden Titel „Berlin bleibt!“ trägt und ausgehend von der eigenen Kreuzberger Nachbarschaft nach den sozialen Verwerfungen fragt, die mit dem Teurer-Wohnen-Trend einhergehen.

[Das Festival „Berlin bleibt! Stadt, Kunst, Zukunft“ läuft bis 5. Oktober im HAU]

„Immer höhere Verkaufsgewinne und ein boomender Grundstücksmarkt“ hätten Berlin in eine „Goldgrube für anlagesuchendes Kapital verwandelt“, bilanziert der Soziologe Andrej Holm mit Klondike-Kater und listet im Festival-Heft lauter Zahlen und Fakten des Grauens auf. Wie ätzender Hohn klingt heute der alte Werbespruch: „Wohnst du noch, oder lebst du schon?“

Fotosafari durchs Kiez

In der ehemaligen Postbankfiliale am Halleschen Ufer – auf jenem Areal also, auf dem bald die Degewo kommunale Wohnungen bauen will, während im angrenzenden Hochhaus vor allem Geschäftsräume entstehen – hat das HAU für die Dauer des Festivals einen „Projektraum urbaner Aktion“ errichtet, in dem Podeste verteilt sind und vor einer Bühne mit Leinwand ein Leihfahrrad und ein Elektroroller stehen. Jene Geißeln des urbanen Wandels also, die überall im Weg sind und nerven. Quasi die Tauben unter den Zweirädern.

An der Wand hat der Houseclub des HAU die Bilder einer Fotosafari durch den Kiez aufgehängt („L.A. Müller – It’s a Battlefield, Baby!“). In einem Doppelstock-Gerüst mit Bett performen Derya Ym, Tellavision und Raoul Doré „micro.apart.mental“, eine musikalisch-melancholische Reflexion über den Trend zum Neun-Quadratmeter-Apartment (die nächsten Aufführungen sind vom 1. bis 3. Oktober). Vielleicht ist es hier bald so weit wie in Hongkong, wo die Verzweifelten sich für hunderte Dollar im Monat Schlafkäfige mieten?

Damit es nicht so weit kommt, hat die großartige Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta) ein Protest-Musical geschrieben, das neun Musikerinnen und Musiker sowie eine Reihe echter Aktivistinnen des Berliner Häuserkampfes versammelt. Es heißt „Stadt unter Einfluss“, geht auf die Barrikaden gegen Spekulanten, Immobilienhaie und andere Unmenschen, und ehrlich, man möchte danach sofort losstürmen und sich eine günstige Wohnung suchen.

Das Singspiel von Mieten und Mythen springt im Teuerungs-Tempo aus den goldenen 90ern („Rock me in Crazy Berlin“!) in die Gentrifizierungs-Tristesse der Gegenwart, wo der passende Song den Titel „Depressiver Tag, ich sag hallo“ trägt. Und schon beginnt im Drehbühnenhaus mit Ledersessel und Zitronenbaum (entworfen von Marlene Lockemann und Sina Manthey) eine Nummernrevue aus der Beletage des Agit-Prop, die ein Makler-Trio das Lied vom Eigenbedarf jodeln lässt und den geballten Schlager-Kanon gegen die Verdrängung auffährt. Mit Helene Fischer geht es „wohnungslos durch die Nacht“, Wolfgang Petry beklagt den „Mietenwahnsinn“. Klare Feindbilder, schmissige Songs – noch nie war so viel Grips Theater im HAU!

Kunst gegen die Nettokälte der Herzen

Dazwischen wird’s dann allerdings auch mal ernst. Da überlässt Regisseurin und Texterin Christiane Rösinger, die ihr „Musical zur Wohnungsfrage“ gemeinsam mit Ja, Panik-Gründer Andreas Spechtl komponiert hat, die Bühne Menschen aus Berliner Mieterinitiativen, die etwa das Modell des „Community Land Trust“ erläutern (aka Stadtbodenstiftung) oder Tipps geben, wie man sich erfolgreich gegen unerwünschte Besichtigungen der eigenen Wohnung durch potenzielle Nachmieter wehrt.

Soll niemand behaupten, das Festival „Berlin bleibt!“ verharre nur in der Theorie. Hier marschieren Kunst und Aktion Hand in Hand gegen die Nettokälte der Herzen. Wie auch im Projekt „Haunted Landlord 2019“, das die Gruppe Peng! Collective fürs HAU upgedatet hat.

Die Aktion mit eigener Homepage (hauntedlandlord.de), dokumentiert im „Projektraum urbane Aktion“, rückt unter dem Horrorfilm-Slogan „Die Rückkehr der Entmieteten“ skrupellosen Immobilienfirmen und Hauseigentümern zu Leibe. Mittels eines Bots erhalten sie Anrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit und bekommen die Schicksalsberichte ihrer drangsalierten Ex-Mieter vorgespielt. „Weil Sie kein Heizöl gekauft haben, mussten wir im Winter sieben Wochen frieren“. Oder: „Sie haben Eigenbedarf für Ihre Eltern vorgetäuscht. Später haben wir die Wohnung auf Immobilienscout entdeckt, für mehr als den doppelten Preis“.

Da klaffen die Abgründe eines entseelten Marktes auf, den im weiteren Festivalverlauf auch Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura noch durchleuchten werden, mit der Collage-Lesung "Mietsachen – Vermischtes aus der Welt der Immobilien" (am 28. und 29. September). Das Panel „Wunschkonzert: Stadt und Lebensqualität“ (am 1. Oktober ) sucht dagegen nach Zukunftsvisionen für eine Stadt, in der nicht ausschließlich die Rendite regiert.

Immerhin, bei Christiane Rösinger gibt’s ein Happy End. Ist ja schließlich ein Musical. „Es ist vorbei mit der Mieterinnen-Mühsal“, schmettert der Chor, „denn ab heute gilt: Wohneigentum ist Diebstahl“.

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