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Im Bedeutungsnebel. Szene aus Philippe Quesnes „Swamp Club“.

© Martin Argyroglo

Theaterfestival "Foreign Affairs": Maulwürfe in Plüsch

„Foreign Affairs“: Philippe Quesne und das Nature Theater of Oklahoma.

Da sitzen sie in ihrem Sumpf, die Künstler. Ein Plexiglasbungalow auf Stelzen dient ihnen als Refugium, drinnen und draußen zischen Nebelschwaden aus dem Boden. Am Teich leuchten die Plastikreiher still vor sich hin, im Haus fiedelt ein Streichquartett Schostakowitschs Achte und Schuberts „Der Tod und das Mädchen“. Ganz idyllisch also, dieses Feuchtgebiet für Feingeister im Niemandsland. Es wartet zudem mit dem verheißungsvoll illuminierten Eingang zu einer Grotte auf. Wenngleich vor deren Betreten gewarnt wird: „Einige Künstler schlafen noch!“

Ach ja, der selige Schlummer. Ein gutes Stichwort für diese Performance namens „Swamp Club“. Der französische Regisseur Philippe Quesne und seine internationale Gruppe Vivarium Studio haben hier eine seltsam somnambule Installation errichtet, mehr bildende Kunst als Theater. Ein Spiel hinter der Scheibe, schön anzusehen. Schwer zu verstehen. Schon akustisch, weil die Darsteller meist in ihre Mikroports nuscheln. Premiere feierte die gepflegte Sumpfelegie bei den Wiener Festwochen, nun hat das Tableau vivant seinen Weg nach Berlin gefunden. Der Sommer, hatte „Foreign Affairs“-Leiter Matthias von Hartz mit Blick aufs Julidatum prognostiziert, setze ganz eigene Energien frei. Quesne beweist: auch ein spezielles Ruhebedürfnis.

Die Bezüge und Verweise blühen reichlich in diesem hochartifiziellen Kunstzentrum für Rückzügler. Es kollidieren Natur und Zivilisation, schließlich gibt es im „Swamp Club“ Wi-Fi, 3-D-Animationen und LCD-Laufbänder, über die unter anderem ein Märchen vom Zwergenkönig flimmert. Auch eine Gruppe von überdrüssigen Städtern findet den Weg ins gelobte Biotop, wo ihnen zur Begrüßung gleich mal der Bogen in die Hand gedrückt wird. Romantik trifft Öko-Aktivismus, Mythen crashen mit Moderne. Ein großer Maulwurf im Plüschkostüm wühlt sich aus der Grotte, die sich als Goldgrube erweist und warnt vor der Bedrohung des Paradieses. Die Bagger kommen! Was genau will uns das sagen? Verbreiteter Foyer-Tenor nach der Vorstellung: keine Ahnung, Prost!

Philippe Quesne, zu Lilienthal-Zeiten mehrfach am HAU vertreten, ist ein internationaler Festivalliebling. Ein sanfter Bilderschöpfer, der die Bühne als Traumspielwiese begreift. Und in seinen besten Momenten komisch-surreale Sternstunden zeitigt. Wie im Fall seines Erfolgsstücks „La Mélancolie des Dragons“, das eine Gruppe von Schnee-Gestrandeten über utopische Vergnügungsparks fabulieren ließ. Im „Swamp Club“ allerdings versinkt die Ironie des Edel-Regisseurs im Bedeutungsmorast. Matter Applaus.

Weit munterer war das Publikum beim Ausflug nach Absurdistan. Ein Land nahe Verona, wo die größte Liebesgeschichte aller Zeiten spielt. „Romeo and Juliet“ hat das Nature Theater of Oklahoma klassikerbewusst seine Shakespeare-Performance betitelt. Der amerikanischen Gruppe mit dem Kafka-Namen ist in diesem Jahr ein Werkschau-Schwerpunkt gewidmet, aufgezogen als Kooperation zwischen „Foreign Affairs“ und HAU. Die große „Romeo and Juliet“-Show hat bereits einige Jahre auf dem Buckel und den Ruhm des Nature Theater begründet. Rätselhafterweise, muss man feststellen. Die Gruppengründer Pavol Liska und Kelly Copper haben 30 Freunde angerufen und sich von ihnen den Plot der Tragödie schildern lassen, die so weltbekannt eben doch nicht ist. Anne Gridley und Robert M. Johanson tragen den zusammengestückelten Nonsens vor.

Im stilechten Globe-Kostüm parodieren die beiden ausladende Gestik und hohen Ton, reihen vor gemaltem Vorhang Missverständnis an Gedächtnislücke. Da flattern Tauben und Spatzen statt Nachtigall und Lerche durch die wirren Nacherzählungen, der Schauplatz wird nach Mercutio verlegt, und wer am Ende wen erdolcht und welches Gift schluckt, kriegt eh keiner auf die Reihe. Klingt lustig, klar. Hat aber Potenzial für höchstens eine halbe Stunde und beginnt dann, sich elend zu wiederholen. Endgültig überflüssig ist der angepappte Diskurs über Geltungsbedürfnis und Liebessehnsucht des Schauspielers und andere fehlgehende romantische Vorstellungen.

Interessant allerdings: Aus der Souffleursbox krabbelt gelegentlich die Schauspielerin Elisabeth Conner im Kostüm eines großen Huhns. Hier scheint ein Link zum Maulwurf des Philippe Quesne auf. Lauter tierische Verwandlungen, und das Theater – ein Sommernachtstraum.

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