zum Hauptinhalt
Eine Szene aus dem Musical "Aus Tradition anders" über den SV Darmstadt.

© picture alliance / Wolfgang Runk/Theater Darmstadt

Theater und Fußball: Was fangen Berlins Bühnen mit der WM an?

Die Theatralisierung des Fußballs ist weit vorangeschritten, doch mit der Fußballerisierung des Theaters hapert es in Berlin noch.

Theater ist Drama! Fußball ist Drama! Aber halt, man sollte sich hüten. Eine Fußballweltmeisterschaft ist die Zeit, in der wieder die Phrasenschweine hervorgeholt werden, weil all die runden oder eben auch eckigen Metaphern überschießen im Begeisterungstaumel zwischen Public Viewing und Autokorso. Außerdem wird zwar gern über die positiven Gemeinsamkeiten von Bühne und Ballsport gefachsimpelt, doch selten über die Verwandtschaft im Negativen. Die verpassten Chancen, der vergeigte Auftakt, die klangvollen Paarungen, die am Ende dann doch hinter den Erwartungen zurückbleiben ...

Klar gibt es Highlights. Etwa Portugal gegen Spanien, beim iberischen El Clásico kann nichts schiefgehen. Und kurz vor der Premiere wird auch noch der Regisseur, der spanische Coach Julen Lopetegui, gefeuert. Komödie und Tragödie! Verkörpert auf der einen Seite von Cristiano Ronaldo, der so verbissen wie erfolgreich an seiner Verwandlung zur Molière-Figur arbeitet, auf der anderen Seite seine (Noch-)Mannschaftskollegen von Real Madrid, Sergio Ramos, der zu Recht einen Ruf als Richard III. der Abwehrreihen genießt, „gewillt, ein Bösewicht zu werden, und Feind den eitlen Freuden dieser Tage“. Aber der Alltag auf dem Rasen und erst recht im Theater ist dann eben doch eher etwas so Tristes wie Deutschland gegen Mexiko.

Die Theatralisierung des Fußballs ist weit vorangeschritten. Die Fußballerisierung des Theaters holpert noch ziemlich. Ein Blick auf die WM-Angebote der großen Berliner Bühnen beweist das. Okay, erwartbar solide, also überraschungsfrei wie auf der Taktiktafel von Jogi Löw geht es beim Deutschen Theater zu, wo ausgewählte Spiele in der Bar und auf der Terrasse gezeigt werden, zumindest bis zum Beginn der Sommerpause am 5. Juli. Ulrich Khuon setzt in der Tippgemeinschaft mit der DT-Bühnentechnik auf Spanien als Weltmeister: „Sie spielen den schöneren Fußball.“

Thomas Ostermeier hat sich rechtzeitig zur WM abgesetzt

Wenige Meter Luftlinie entfernt schlägt einem die geballte WM-Ignoranz am Berliner Ensemble entgegen. Dessen „herrlicher Garten“ verspreche „Ruhe vorm Fußballtrubel“, lässt Oliver Reese verlauten – obwohl der Schiffbauerdamm eine einzige Public-Viewing-Meile ist. Er könne eine WM ohnehin nicht von einer EM unterscheiden. Um die Provokation auf die Spitze zu treiben, fügt er noch hinzu, dass die „Dreigroschenoper“, die am Sonntag zeitgleich mit dem Deutschlandspiel gegen Mexiko stattfand, schon Wochen vorher ausverkauft gewesen sei. Zur Partie gegen Schweden am 23. Juni hat das BE ausgerechnet die extended version von „Les Misérables“ angesetzt. Hoffentlich kein böses Omen für die Nationalmannschaft, für die es da schon ums Weiterkommen geht.

An der Schaubühne sieht es nicht besser aus. Intendant Thomas Ostermeier hat sich noch rechtzeitig vor der WM ins Ausland abgesetzt, um an der Pariser Comédie Française „Was ihr wollt“ zu inszenieren. „Vielleicht“, heißt es am Lehniner Platz, „schiebt jemand spontan einen Fernseher raus.“ Ja, leben wir denn in Sepp Herbergers Zeiten, als man sich in Trauben vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher des Nachbarn versammelte? Und an der Volksbühne – ach, vergessen wir’s. Die war ja zuletzt so etwas wie der Retortenclub unter den Berliner Theatern.

Immerhin, im Gorki mit seinem ebenfalls herrlichen Garten stehen gleich zwei Großbildfernseher für den Common Ground bereit, der so ein Fußballspiel ja sein kann. Obendrein hat Intendantin Shermin Langhoff noch einen interessanten Nachtrag zur Affäre um Ilkay Gündozan und Mesut Özil. Dass die Theaterleiterin keine Sympathien für Autokraten-PR hegt, muss man nicht betonen. Aber sie fragt doch zu Recht, weshalb sich an dem Fall eine Debatte darüber entzünden konnte, ob die beiden Nationalspieler wirklich Deutsche seien. Bedenkenswerter Punkt. Ist Oliver Reese Deutscher? Fußball interessiert ihn nicht, Bier lässt ihn kalt. In Bayern würde der Mann jetzt zum Integrationstest mit doppelter Portion Weißwurst bestellt.

Rinke weiß, wie heikel das Terrain zwischen Sport und Politik ist

Dabei hatte Angela Merkel höchstpersönlich nach der WM 2010 noch diesen warmherzigen Brief an Mesut Özil geschrieben, in dem sie schwärmte, dass „Dein Tor eine befreiende Wirkung auf das ganze Land ausgeübt hat, von der Maas bis an die Memel und bis zur Meerenge des Bosporus“. Zumindest steht das so im Buch „Also sprach Metzelder zu Mertesacker“ von Moritz Rinke, dem Goalgetter der deutschen Autorennationalmannschaft, der jüngst aufgrund „unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen“ das Leitungsteam des Berliner Ensembles verlassen hat. Ob das nicht doch eher unterschiedliche sportliche Auffassungen waren?

Rinke jedenfalls weiß, wie heikel das Terrain zwischen Sport und Politik ist. Er beschreibt das am Beispiel eines Freundschaftsspiels in SaudiArabien: „Unsere wichtigste Frage: ,Was ist die Funktion von Schriftstellerei und Journalismus in einem Land, in dem man im Prinzip kein wahres Wort schreiben darf?‘ überlegen wir abzuändern in: ,Wie sehen Sie die Entwicklungen in Russland?‘“

Von Saudi-Arabien aus ist es nicht weit nach Russland. Und natürlich war es kein schöner Anblick, als Wladimir Putin bei der Eröffnungsfeier mit nacktem Oberkörper ins Stadion einritt und die Feierlichkeiten mit einer Rede voller Zitate aus dem „Oidipus tyrannos“ trübte. Oder kommt die Szene erst in der nächsten Inszenierung von Karin Henkel vor?

Drama ist am Ende nicht gleich Drama

Jedenfalls muss dieses moralische Konfliktfeld ein Grund dafür sein, dass die WM-Ignoranz bis tief in die Berliner freie Szene reicht. Das Theater unterm Dach zum Beispiel hat nicht noch einmal seinen begeisternden Abend über Sexualität und Fußball angesetzt, mit dem Titel „Eier! Wir brauchen Eier!“ – nach dem großen Philosophen Oliver Kahn. Und der Heimathafen verweigert die Wiederaufführung seiner Wedding-Saga „Peng! Peng! Boateng!“. Auch ist kein Theater auf die Idee gekommen, aus aktuellem Anlass Patrick Marbers jüngstes Stück „Red Lion“ zu inszenieren. Das spielt in der Umkleidekabine eines unterklassigen Fußballclubs, der auf einem ehemaligen Friedhofsacker kickt.

Im Ruhrpott wäre das alles undenkbar. Da könnte es sich garantiert kein Intendant leisten, nicht das BVB-Projekt, ein Schalke-Musical oder wenigstens die Rot-Weiß-Essen-Revue auf den Spielplan zu setzen. Vielleicht hat sich in Berlin ja auch nur die nüchterne Erkenntnis durchgesetzt, dass Drama am Ende eben doch nicht gleich Drama ist. Die Forderung von Bertolt Brecht, man müsse „ins Theater gehen wie zu einem Sportfest“, bezog sich ja auch nur auf die Geisteshaltung des Publikums. Und nicht auf einen Bratwurststand im Foyer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false