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Anna Bergmann, geboren 1978 in Stendal

© Mike Wolff

Theater-Regisseurin Anna Bergmann: Das patriarchale System erschüttern

100 Prozent Frauenquote: Die Regisseurin Anna Bergmann vor der Berliner Premiere von „Persona“ am Deutschen Theater.

Von Sandra Luzina

Man kann mit ihr genauso gut über Pippi Langstrumpf wie über die Seelenlabyrinthe von Ingmar Bergman reden. „Schweden ist mein Lieblingsland“, sagt Regisseurin Anna Bergmann beim Gespräch im Deutschen Theater. Sie hat schon mehrmals in Norden inszeniert und schwärmt von der dortigen Bühnenkultur. „Es gibt so tolle Umgangsformen am Theater – eine große Herzlichkeit und Innigkeit, jeder übernimmt Verantwortung bei einer Theaterproduktion.“ Aus Malmö hat sie nun die Produktion „Persona“ mitgebracht, eine Bühnenadaption von Ingmar Bergmans Filmklassiker von 1966. Das Besondere bei dieser Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin und des Malmö Stadsteater ist, dass die beiden Darstellerinnen ihre Rollen tauschen. Corinna Harfouch spielte bei der Premiere in Malmö die stumme Rolle der unter einer Depression leidenden Bühnenschauspielerin Elisabeth Vogler, ihre schwedische Kollegin Karin Lithman die Krankenschwester Alma. In Berlin ist es umgekehrt. „Persona“ ist das Psychogramm zweier Frauen, deren Identitäten allmählich verschmelzen. Wenn Corinna Harfouch zu ihrem Gegenüber sagt: „Wir sehen uns ziemlich ähnlich; ich könnte mich in dich verwandeln“, klingt das durchaus bedrohlich. Doch der Rollentausch ist nicht so einfach zu bewerkstelligen, wie alle dachten, deswegen wird kurz vor der Berliner Premiere am 30. November noch intensiv geprobt.

Anna Bergmann, die 1978 in Stendal geboren wurde, hat Schauspielregie an der Berliner Hochschule „Ernst Busch“ studiert. Sie gehörte dem letzten Jahrgang an, der noch von Manfred Karge unterrichtet wurde. „Das war toll, da wir diese klassisch Brecht’sche Ausbildung bekamen – mit Vorgangsanalyse.“ Was ihr später sehr genützt hat. Ein wichtiger Lehrer sei für sie auch Peter Zadek gewesen, erzählt sie und zitiert gleich mal dessen Maxime „Humor ist, wenn man sich nicht jeden Tag aus dem Fenster stürzt“.

Inszenierende Frauen in den Fokus rücken

Schon als freie Regisseurin machte sie rasch auf sich aufmerksam, wurde sogar als Wunderfrau gefeiert. Großes Aufsehen erregte sie, als sie zu Beginn dieser Spielzeit zur Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe ernannt wurde. Mit ihrer Ankündigung, in ihrer ersten Saison nur Regiearbeiten von Frauen zu zeigen, löste sie eine heftige Debatte über Kunst und Quote aus. Nachlesen kann man das auf dem Theaterportal „Nachtkritik“. Der Generalintendant Peter Spuhler habe sie darin unterstützt, in der Quotendiskussion vorzupreschen, erzählt Bergmann: „Mein Vorschlag war von Anfang an: 80 Prozent Frauen. Woraufhin er sagte: Warum nicht 100 Prozent?“ Manche argwöhnten schon, dass es sich bei dieser Entscheidung um den PR-Stunt eines gewieften Intendanten handelt. Doch Anna Bergmann macht nicht den Eindruck, als ob sie sich von jemandem vor den Karren spannen ließe, erst recht nicht von einem Mann. „Was ich möchte: dass das Thema Gleichberechtigung von Frauen in künstlerischen Berufen, das Thema Frauen in Leitungsfunktionen, inszenierende Frauen – dass das mehr in den Fokus gerückt wird.“

Es ist natürlich eine radikale Setzung, die sie macht. Zum Vergleich: Der Verein „Pro Quote Bühne“, der sich im Oktober 2017 gegründet hat, hat die Theater aufgefordert, 50 Prozent Frauen zu engagieren. Ein paritätisches Verhältnis von Frauen und Männern hält auch Bergmann langfristig für erstrebenswert. Aber erst einmal will sie ein Zeichen setzen – und das patriarchale System ein bisschen erschüttern. „Man kann nur über politisches Handeln etwas bewegen“, erklärt sie, und manchmal seien extreme Maßnahmen notwendig, um wirklich etwas zu erreichen. Doch die Resonanz sei bislang überwiegend positiv, versichert Bergmann. Anfeindungen in den sozialen Medien hat sie noch nicht erlebt. Auch im Haus schlägt ihr kein Widerstand entgegen. Und das Publikum scheint dem neuen Kurs zu folgen.

Signalwirkung des "Feminats" in Karlsruhe

Zu den strukturellen Veränderungen, die Anna Bergmann durchgesetzt hat, gehört auch, dass sie ein rein weibliches Leitungsteam installiert hat: Anna Haas, zuvor Dramaturgin in Stuttgart, ist ihre Stellvertreterin; Marlies Kink war schon vorher Dramaturgin in Karlsruhe, Sonja Winkel, vorher in Heidelberg, ist Geschäftsführende Dramaturgin und für Verwaltungsangelegenheiten, Verträge und Gagen zuständig. Die Regisseurinnen wählt sie zusammen mit ihrem Team aus. Klar, da wird viel diskutiert und auch gestritten. So ein demokratischer Entscheidungsprozess sei anstrengender und zeitaufwendiger. „Aber die Dinge sind dann auch durch mehrere Köpfe gegangen und durchdachter.“

Den Einwand, dass eine Quotenregelung zu einer Einbuße an Qualität führe und die Künstlerinnen stigmatisiere, ist Anna Bergmann geläufig. Gibt es denn derzeit genügend spannende Regisseurinnen auf dem Markt? „Auf jeden Fall“, sagt sie. „Ich gucke auch international, welche Kolleginnen ich interessant finde. Ich bin total neugierig und lade die Künstlerinnen zu uns nach Karlsruhe ein, um sie kennenzulernen.“

Das „Feminat“ in Karlsruhe wird genau beobachtet – das Modell hat aber auch eine Signalwirkung in die Theaterszene hinein. Anna Bergmann ist jedenfalls optimistisch, dass sich mit einer neuen Generation von Theatermacherinnen grundlegend etwas ändern wird – und dass sich nun endlich auch die Bühnen mit den Forderungen der Frauen auseinandersetzen. „Ich habe das Gefühl, dass die Nachfrage nach Regisseurinnen rasant gestiegen ist“, erklärt sie.

Sie muss noch viele Schlachten schlagen

Es wird aber auch Zeit. Laut der Studie „Frauen in Kultur und Medien“, die der Deutsche Kulturrat im Sommer 2016 vorstellte, stammen nur 30 Prozent der Inszenierungen an deutschen Theater von Frauen. Das sagt viel aus über die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen und Männern.

Wenn man Anna Bergmann fragt, warum sie sich nicht auf ihre eigene Karriere konzentriert, sondern sich für die gezielte Förderung von Frauen im Theater engagiert, entgegnet sie: „Weil ich in der DDR geboren wurde und Frauen da total supported wurden und sich auch gegenseitig unterstützt haben.“ Ihren Kurs will sie konsequent weiterverfolgen. In der kommenden Spielzeit wird ein Mann Regie führen – ansonsten ausschließlich Frauen. „Der Herr, der kommt, wird das Musical inszenieren – der hat auch große Lust darauf“, sagt sie und lächelt verschmitzt. „Von Macht und Verführung“ lautet der thematische Schwerpunkt.

Anna Bergmann hat drei Jahre Zeit für ihr ästhetisch-gesellschaftspolitisches Experiment. Sie weiß, dass sie noch viele Schlachten schlagen muss, doch sie zieht frohgemut in den Kampf und hat sich mit Humor gewappnet. „Natürlich wird es Rückschläge geben“, erklärt sie. „Natürlich wird mal eine Inszenierung nicht so der Hit werden. Aber das ist ein Wagnis, das man eingehen muss.“ Die Debatte um Geschlechterungleichheit im Theater hat sie schon befeuert.

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