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Im Stadtraum zu sehen. Gabi Jimenez’ „Futuroma“ gehört zur Plakat-Kampagne der Roma Biennale, die am Donnerstag beginnt.

© Roma Biennale 2021

Theater, Musik, Debatten: Die Roma Biennale startet mit einer Protestparade

„We are here!“ heißt das Motto der 2. Roma Biennale. Sie läuft bis Oktober 2021 im Netz und teilweise in Berlin, über 50 Künstler sind beteiligt.

Wenn man Hamze Bytyçi fragt, ob die Corona-Pandemie ein Brennglas war für die Diskriminierung, der Roma und Sinti schon in sogenannten normalen Zeiten ausgesetzt sind, antwortet er mit einem entschiedenen Nein. „Es war eher ein Mikroskop.“ Der Politiker, Aktivist und Co-Kurator der 2. Roma Biennale, die jetzt unter dem Motto „We are here!“ startet, verweist etwa auf die osteuropäischen Länder, in denen von Roma bewohnte Viertel rücksichtslos abgeriegelt wurden – was die Menschen dort von jeder Versorgung abschnitt.

Und er spricht von Deutschland, wo Arbeiter:innen aus Bulgarien oder Rumänien nicht nur unter katastrophalen Bedingungen hausen mussten, während sie darauf warteten, zur Spargelernte oder zur Fleischverarbeitung antreten zu dürfen. Sondern obendrein noch von einem potenziellen CDU-Kanzlerkandidaten beschuldigt wurden, fürs Einschleppen des Virus verantwortlich zu sein. „Ein Bild wie im Mittelalter“, so Bytyçi: Die Roma als Pestverursacher und Brunnenvergifter.

Vor fünfzig Jahren, am 8. April 1971, fand in Großbritannien der Erste Welt-Roma-Kongress statt, unter anderem initiiert vom Londoner Aktivisten Grattan Puxon. Die Veranstaltung war der Startschuss für eine weltweite Emanzipationsbewegung, ein Aufstand gegen die Unterdrückung und Ausgrenzung, der Roma und Sinti überall ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund gibt die 2. Roma Biennale, die bis Oktober 2021 unter Beteiligung von 50 Künstler:innen eine stattliche Reihe von Aktionen in Gang setzt, auch Gelegenheit, Zwischenbilanz zu ziehen, Fortschritte und Rückschritte zu beleuchten.

Ein Beispiel für den Backlash ist in Bytyçis Augen in Berlin zu finden. Die Debatte um das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas im Tiergarten nämlich. Es ist bedroht durch eine S-Bahn-Trasse, die dort gebaut werden soll.

Es könnte der gesamte Baumbestand Richtung Brandenburger Tor gefällt werden, den der israelische Künstler Dani Karavan in die Gestaltung des Denkmals einbezogen hat. Welches Signal sende das an die Überlebenden?, fragt Bytyçi. Und: wo bleibt der große Aufschrei? „Stattdessen wird im öffentlich-rechtlichen Fernsehen diskutiert, ob man noch ,Z-Schnitzel‘ sagen darf“.

Die Leute halten sich an Social Distancing

Die 2. Roma Biennale, die ursprünglich schon im vergangenen Jahr stattfinden sollte, Pandemie-bedingt aber verschoben werden musste, bringt nun die Romaday-Parade auf den Weg, die am Denkmal ihren Ausgang nimmt und zur Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz führen wird. Selbstverständlich unter Wahrung aller Sicherheitsgebote. „Wir sagen den Leuten: haltet Abstand, seid fair – aber vor allem: seid solidarisch, seid sichtbar“, so Bytyçi.

[8. April bis 24. Oktober, Programm: www.roma-biennale.com]

Im Stadtraum zu sehen sind Plakate, die Künstler:innen wie Gabi Jimenez oder Delaine Le Bas gestaltet haben und die online zum Download zur Verfügung stehen. Überhaupt wird zumindest in der ersten Phase der mehrmonatigen Biennale vieles im virtuellen Raum stattfinden.

Das Gorki Theater streamt am Eröffnungstag auf der Webseite romanistan.com (die mit der Utopie eines eigenen Staates spielt) ein internationales Programm, für das Grattan Puxon Roma-Aktivist:innen aus vielen Ländern zusammengebracht hat. Es gibt es Live-Musik, Diskussionen und Videointerviews mit Zeitzeug:innen des Ersten Welt-Roma-Kongresses. Am Abend wird die Produktion „Roma Armee“ von Yael Ronen gestreamt.

Ebenfalls im Netz zu finden sein wird die Ständige Vertretung der Roma, die „Romani Embassy“. Das Projekt hat die Britin Delaine Le Bas erfunden, inspiriert von der „Aboriginal Embassy“, die 1972 im australischen Canberra vor dem Parlament ihre Zelte aufschlug. Genauer: einen Sonnenschirm und ein handgemaltes Pappschild hinstellte.

Offen sein, Netzwerke stiften

Die Idee, Menschen ohne offizielle Repräsentanz eine Botschaft zu geben, überträgt Le Bas auf die Situation der Roma. Schilder mit der Schrift „Romani Embassy“ aus zusammengeklebten Zeitungsbuchstaben gibt es ebenfalls für alle online. „Jede und jeder kann die Botschaft sein“, sagt Le Bas, die das Projekt seit 2015 betreibt und wegen der Corona-Krise aus England nicht nach Berlin zum Eröffnungstag und zur Romaday-Parade reisen kann.

Offen sein, Netzwerke stiften – darum wird es auch in den kommenden Monaten gehen. Am Widerstandstag der Sinti und Roma im Mai, am „World Refugee Day“ im Juni, am „Internationalen Tag des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma im August“ und schließlich im Oktober, wenn der 9. Jahrestag der Einweihung des bedrohten Denkmals in Berlin gefeiert wird. Das Ziel sei, sagt Delaine Le Bas, möglichst viele Schulterschlüsse zu stiften: „Als Ausgegrenzte wollen wir selbst niemanden ausgrenzen.“

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