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Barbusiger Untergang. Aus Tadzios braven Schwestern werden am Ende der Inszenierung im Ascheregen tanzende Hetären. Foto: Jörg Carstensen / dpa

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Theater: Jahrhundertanfangsmelancholie

Thomas Mann beschreibt in seiner Novelle „Der Tod in Venedig“ den Untergang eines Schriftstellers. Thomas Ostermeier hat seinen Text in der Berliner Schaubühne nun mit Mahlers "Kindertotenliedern" verknüpft - und sich dabei gewaltig verhoben.

Wenn junge Tänzerinnen sich barbusig auf der Bühne räkeln, dann führt meist ein älterer Herr Regie. Thomas Ostermeier ist zwar erst Mitte vierzig, aber offenbar altert man im Theaterbetrieb schneller. Es regnet schwarze Plastikschnipsel von der Decke, als die Cholera Venedig heimsucht, und die drei Tänzerinnen, die bis vor kurzem noch in Mädchenkleidern durch das Hotel tollten, in dem von Aschenbach dem Knaben Tadzio verfällt, wälzen sich nun halbnackt durch die simulierte Asche, während der Pianist Timo Kreuser die Saiten seines Flügels bearbeitet und ihm elektronisch verstärkte apokalyptische Klänge entreißt. Schlimm, das mit Eros und Thanatos.

Ostermeier hat Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ mit den „Kindertotenliedern“ von Mahler angereichert und nachdem die siebzig Minuten kurze Inszenierung letztes Jahr in Rennes Premiere feierte, kommt sie nun auch an die Schaubühne nach Berlin. Ein Abend, über den man am liebsten den Mantel des Schweigens breitete, so gelangweilt geht Ostermeier an die Sache ran. Die naheliegenden Mittel, mit denen er die Geschichte des alternden Künstlers zu dramatisieren sucht, grenzen an Publikumsverachtung.

Es beginnt als pseudolässige Probe – Josef Bierbichler tauscht sich leise mit dem Pianisten aus, die Tänzerinnen hüpfen sich warm, Kay Bartholomäus Schulze, der Erzähler, nuschelt ins Mikrofon, während sich Leon Klose als Tadzio einem Computerspiel widmet. Dann kommen zwei Videomenschen auf die Bühne, schleichen um die anderen herum, zoomen Details heran, die im Großpixelschwarzweiß auf der Leinwand über dem Geschehen sehr ästhetisch ausschauen.

Es beginnt nicht auf der Bühne, sondern auf der Projektionsfläche. Vor der Handlung steht das Bild. Das ist ein eleganter Einstieg, doch nachdem sich das Spiel wie auf Zehenspitzen auf die Bühne begeben hat, macht es sich gleich wieder davon. Es passiert nichts mehr außer klischeehafter Illustration einer diffusen Jahrhundertanfangsmelancholie. Der Erzähler liest monoton aus einer gläsernen Sprecherbox Teile der Novelle, Josef Bierbichler löffelt melancholisch Suppe, blättert in der Zeitung. Erst als Tadzio im Matrosenanzug mit seinen Schwestern im Speisesaal Fangen spielt, lächelt er.

Bei Thomas Mann verwandelt sich der verwitwete Künstler im Rausch der Gefühle in einen würdelosen Narr, die Bedrohung steigt wie Nebel auf und lässt die Szenerie immer fratzenhafter werden. An diesem Abend entwickelt oder verwandelt oder nähert sich nichts, weil alles mit einem Fingerschnipp gleich da ist. Kaum hat von Aschenbach Tadzio erblickt, schminkt er sich sogleich Augen und Lippen geckenhaft rot. So gleitet die Handlung von einem Wendepunkt zum nächsten ohne den inneren Zustand der Hauptfigur plastisch werden zu lassen. Dafür sollten wohl Mahlers „Kindertotenlieder“ herhalten. Das sieht dann so aus: Bierbichler steht am Flügel und spricht mit zittriger Stimme mehr als dass er singt: „Ich bin der Welt abhanden gekommen.“ Ein Bild des Jammers. Der barbusige Untergang kommt dann sehr schnell. Andreas Schäfer

Wieder am 14. und 15. 1.

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