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In Berlin bleiben die Theatervorhänge mindestens zum zum 1. August geschlossen.

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Theater in der Coronakrise: Das Publikum soll selbst entscheiden

Normalerweise vermitteln die Besucherorganisationen vergünstigte Kulturtickets - jetzt stecken sie in der Existenzkrise.

Für gewöhnlich streiten sie getrennt, doch außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Und so haben die drei großen Berliner Besucherorganisationen – Freie Volksbühne, Theatergemeinde und Theaterclub – gemeinsam zu einem Gespräch geladen, um auf die prekäre Situation der hauptstädtischen Bühnen in der Coronakrise aufmerksam zu machen.

Und damit auch auf ihre eigene. Denn wird nicht gespielt, können die drei Vereine keine rabattierten Karten an ihre 40 000 Mitglieder verkaufen. „Seit 10. März sind unsere Umsätze auf Null, wir haben 160 000 Euro an bezahlten Tickets rückerstattet“, berichtet Alice Ströver, Geschäftsführerin der Freien Volksbühne. Und Martin Holländer von der Theatergemeinde ergänzt: „Unsere Angestellten sind fast alle in 100 Prozent Kurzarbeit.“

Während Autokonzerne und Airlines lautstark Rückkehr zur Normalität fordern, kämpfen Besucherorganisationen – wie die Kultur insgesamt – darum, überhaupt wahrgenommen zu werden. Lange Zeit wurden die Bühnen in der Krise ja nicht mal als solche benannt, sondern unter „Großveranstaltungen“ subsumiert. „Wer am lautesten trommelt, findet Gehör“, bringt es Wintergarten-Geschäftsführer Georg Strecker auf den Punkt.

Ihn stört enorm, mit welch unterschiedlichem Maß gemessen wird: In die BVG darf jeder rein, Demos finden ohne jede Beschränkung der Teilnehmerzahl statt, Airlines weigern sich schlicht, den Mittelsitz frei zu lassen – aber die Theater sollen sich mit kompliziertesten Abstandsregeln auseinandersetzen.

Für das Kleine Theater am Südwestkorso, nomen es omen, bedeuten die Auflagen: eine Person im Foyer, zwei auf der Bühne. „Wir arbeiten wie irre für fast nichts, bilden Sicherheits-AGs – und am Ende steht ein Monolog“, so Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters. „Wenn wir jetzt ein Jahr Abstandsinszenierungen spielen, wird das Publikum wahnsinnig.“

In Berlin gehen nur Freiluftaufführungen

Trotzdem hält Khuon, der auch Präsident des Deutschen Bühnenvereins ist, wildes Um-Sich-Schlagen für die falsche Strategie, er plädiert sowohl für vorsichtiges wie kämpferisches Verhalten. „Es gibt kein Recht auf Unglücklichsein. Jeder kann selbst entscheiden, ob er den Kampf aufnimmt oder sich in seine Depressionen hineinwühlt.“

Seit Mittwoch spielt sein Haus im Freien Camus’ „Die Pest“, die Deutsche Oper bietet ab Freitag eine minimierte Fassung von „Rheingold“ auf ihrem Parkdeck an. Intendant Dietmar Schwarz steht noch vor ganz anderen Herausforderungen als sein Kollege vom Sprechtheater. „Oper ist Dichte und Emotionalität, das suchen die Leute.“

Wie wäre es im Saal mit der Rauten-Technik?

Immerhin, die Kommunikationen zwischen den Bühnen und Kultursenator Klaus Lederer scheint zu funktionieren, anders als in Nordrhein-Westfalen, „wo viele Häuser verzweifelt sind über ihre Landesregierung“, wie Karin Bares vom Kleinen Theater berichtet. Lederer fährt in der Coronakrise einen der striktesten Kurse in Deutschland, bis 31. Juli sind Aufführungen in Berlin in Innenräumen untersagt. Lederer begründet das unter anderem damit, dass das Publikum größtenteils zur Risikogruppe zählt.

Was Alice Ströver anders sieht: „Wir haben ein sehr mündiges, selbständiges Publikum, dass selbst entscheiden kann.“ Es seien Kulturjunkies, die würden auch bei ihr anrufen: „Wann wird wieder gespielt? Dafür nehme ich jede Maske in Kauf.“ Mund- und Nasenschutz scheint sowieso der Schlüssel für mehr Lockerungen zu sein – für die „Raute“, wie Ulrich Khuon das Ziel nennt: versetzt sitzen anstatt nur jeden dritten Platz besetzen und dann auch noch jede zweite Reihe freilassen.

Was die Besucherorganisationen also fordern, ist eine vernünftige, klare Perspektive. Dabei wissen sie ein einzigartiges Publikums hinter sich. Eines, das nicht nur in Premieren rennt, sondern eben auch in die 20. Vorstellung geht oder Aufführungen zwei Mal besucht. Viele Fans haben ihr Geld nicht zurückgefordert, sondern gespendet.

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