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Szene aus Julian Hetzels Arbeit "The Automatic Sniper" in der Schaubude

© Schaubude

"Theater der Dinge" in der Schaubude: Bedrängende Gegenwart

"Kaputt" betitelt, aber sehr sehenswert: Das Festival "Theater der Dinge" unter der Leitung von Tim Sandweg in der Schaubude in Berlin-Prenzlauer Berg

Bloß nichts kaputt machen! Das hören Kinder ja unentwegt, und die Mahnung hat sicher ihre Berechtigung. Man will schließlich keine Vandalen großziehen. Aber könnte das Kaputtmachen auch dem Frieden dienen? Klar, findet eine Schülerin: „Damit man mal ein bisschen Dampf ablassen kann!“.

Eine andere, sehr lieb aussehende, entgegnet auf die Frage, ob sie bei Wutanfällen auch manchmal etwas zu Bruch gehen lässt: „Ja. Mein ganzes Zimmer“. Und ein weiterer Schüler berichtet mit der Euphorie des angehenden Baumeisters (oder Pyromanen) von der Sprengung eines Legohauses mittels Feuerwerkskörper, die in Zeitlupe gefilmt ihren ganz eigenen Zauber entfaltete.

Machen wir uns nichts vor: der Mensch ist ein destruktives Wesen.

Willkommen in der „Werkstatt der Zerstörung“. So hat das Fundus Theater seine Mitmach-Performance betitelt, die junge Besucher in die Kunst des Kaputtmachens einweist. Richtig, Kunst. Vor allem der jüdische Pionier Gustav Metzger, der unter anderem Leinwände mit Säure verätzte, hat vorgemacht, wieviel kreatives, auch heilsames Potenzial das Zerstören birgt. Viele andere sind ihm gefolgt.

Der Niedergang politisch wie ökologisch gerade Thema Nummer eins

Banksy natürlich. Aber zum Beispiel auch Dieter Roth, der geschredderte Bücher zu Wurst verarbeitet hat. Oder Eva Meyer-Keller, Erfinderin so schöner Performances wie „Kochen nach Katastrophen“ und „Bauen nach Katastrophen“. Von ihnen lernen die jungen Besucher hier im Crashkurs den Facettenreichtum der Transformation, die alles Kaputtmachen ja letztlich ist. Ein Ding verwandelt sich in etwas anderes. Die Kinder dürfen das in der „Werkstatt der Zerstörung“ auch anhand eigener mitgebrachter Objekte erproben. Schrottige CD-Player etwa. Oder ausgediente Taschenlampen. Wie heißt es so schön? Alles ist Material.

„Kaputt“ hat die Schaubude die diesjährige Ausgabe ihres verlässlich sehenswerten Festivals „Theater der Dinge“ betitelt. (bis 29.10., www.schaubude.berlin). Das Figuren- und Objekttheater an der Greifswalder Straße beweist in der Leitung von Tim Sandweg damit einmal mehr Gegenwartsgespür – schließlich ist der Niedergang politisch wie ökologisch gerade Thema Nummer eins – und auch Findungsreichtum. Die vierzehn eingeladenen Inszenierungen, die an verschiedenen Spielorten gezeigt werden, fächern ein wirklich beachtliches Spektrum des Kaputtseins auf. Und der Genres gleich mit.

Im Eröffnungsstück „Das Hirn ist ein Taubenschlag“ von monsun.theater und Cora Sachs begegnet uns ein Thomas Bernhardscher alter Gesell, in dessen Oberstübchen auch einiges zu Bruch gegangen sein muss.

Als galliger Taubenzüchter und -präparator verschanzt sich dieser Immenstein nach dem Tod seiner Mutter vor der Welt und vergrübelt sich in Theorien über die universelle Bedeutungslosigkeit des Menschen. Als Maskentheater mit Live-Musik entfaltet der Abend, der auf einem Text von Dita Zapfel und Finn-Ole Heinrich basiert, einen berückend düsteren Sog.

Eine Wucht ist die Arbeit „The Automated Sniper“ von Julian Hetzel

„Der Kandidat“ – ein Spieleabend der katalonischen Künstler Marc Villanueva Mir und Gerard Valverde – triggert dagegen die Mordlust. Die Idee geht zurück auf den linken Verlag L’Impensé Radical, der im Paris des Jahres 1969 Strategiespiele zur Enttarnung von Macht- und Herrschaftsmechanismen auf den Markt brachte. Mutmaßlich Michel Foucault, verbürgtermaßen aber der Revolutionär Guy Debord sollen da mit von der Partie gewesen sein.

„Der Kandidat“, mit eisernen Schraubenköpfen auf einem Feld aus Pflastersteinen gespielt, funktioniert wie eine Art tödliches Mensch-ärgere-dich-nicht. In Parteien aufgeteilt, geht es nach dem Jeder-gegen-jeden-Prinzip darum, aufstrebende Politiker abzumurksen. Eine Spielfigur heißt übrigens „Der Journalist“. Sie tötet lautlos, von der Seite. Klasse!

Eine Wucht ist auch die Arbeit „The Automated Sniper“ von Julian Hetzel. Im Setting eines Galerieraums werden zwei Performer von einer ferngesteuerten Waffe (Made in Germany!) mit Farbpatronen beschossen. Die Operatoren, die per Laserzielpunkt und Joystick die Kanone aus einem geschützten heraus Raum lenken, sind erst Zuschauer, dann ein zugeschalteter Profi-Gamer aus Bagdad, der schon Wettbewerbe mit dem Ego-Shooter „Call of Duty“ gewonnen hat.

Mit der Arbeit befragt Heztel zum einen den Paradigmenwechsel in der Kriegsführung: das vermeintlich saubere und sichere Töten per Drohne, das in tausenden Computerspielen nacherlebt werden kann. Aber genau so eine hermetische Kunstwelt, die sich die Gräuel der Welt ästhetisch konsumierbar macht. Auch da ist was kaputt gegangen.

In der „Werkstatt der Zerstörung“ wird unter anderem auch ein Video von einer früheren Verwüstungs-Session in London gezeigt, bei der erstaunlich philosophische Kinder zu Wort kommen. Klar, die Briten sind eben Spezialisten im Kaputtmachen. Ein Junge referiert zum Beispiel darüber, dass auch die Welt letztlich durch Zerstörung entstanden sei. Oder was sonst war der Big Bang?

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