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Die Moderatorin und Schriftstellerin Thea Dorn, 50

© imago/VIADATA

Thea Dorns Corona-Buch: Auf bedenklicher Freiheitsmission

Die Moderatorin und Schriftstellerin Thea Dorn hat einen ihrer Essays neu abgemischt und mit „Trost. Briefe an Max“ eine Art Corona-Roman geschrieben.

Vor gut einem Jahr, mitten im ersten Lockdown, schrieb Thea Dorn für die „Zeit“ einen Essay über das Sterben in Pandemiezeiten; über den Tod, der plötzlich und so offensichtlich machtvoll Einzug hielt in unsere hochtechnologisierten Gesellschaften, die den Tod am liebsten negieren und versteckt halten.

Nicht zuletzt beklagte Dorn die Beschneidung der individuellen Freiheit durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und bezog dabei die „Freiheit zu sterben“ mit ein. Zu den Anti-Corona-Maßnahmen gehörten eben auch die Verbote, mit schwer an Covid-19 erkrankten Angehörigen in Kliniken Kontakt zu halten oder sich von Sterbenden zu verabschieden.

Dorn diagnostizierte ein Leid, „das möglicherweise noch bitterer ist als der Tod selbst: das Leid, Menschen einsam und ohne Aussicht auf Trost sterben zu lassen.“

Diesen Essay hat Dorn jetzt zu einem Buch mit dem Titel „Trost. Briefe an Max“ ausgearbeitet. (Penguin Verlag, München 2021 176 Seiten, 16 €.) Klugerweise haben die Autorin und ihr Verlag diesem keine Gattungsbezeichnung mitgegeben.

Als Fiktion soll es aber schon verstanden werden; als Corona-Literatur, die mehr als ein Schnellschuss ist, zumal von einer profilierten Autorin, die sich gern an Debatten beteiligt, zuletzt mit „Deutsch, nicht dumpf“ einen „Leitfaden für aufgeklärte Patrioten“ geschrieben und Begriffe wie „Heimat“, „Kultur“ oder „Nation“ neu zu definieren versucht hat und zudem Moderatorin des Literarischen Quartetts ist.

Hier die Wutrede, dort ganz ohne Trost

Dorns Ich-Erzählerin heißt Johanna und arbeitet als Kulturjournalistin mit fester Anstellung bei einer Zeitung in Berlin. In Briefen an einen Freund beklagt Johanna wütend und wortreich, dass ihre 84 Jahre alte Mutter nach einem Trip in das von der Pandemie schwer heimgesuchte Nord-Italien sich mit dem Virus infiziert hat und dann an Covid-19 gestorben ist.

Als wäre das nicht schlimm genug, durfte sie die Mutter im Krankenhaus nicht besuchen und deren Sterben begleiten.

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Der Freund Johannas, Max, war einst ihr Philosophie-Lehrer und hat sich auf eine griechische Insel zurückgezogen: Ihre Briefe beantwortet er stets nur mit Karten, auf denen die Gemälde alter Meister zu sehen sind und die er mit jeweils einer kurzen Frage oder einem Statement versieht: „Bist du bei Trost?“ Oder: „Meinst du nicht, Du nimmst mit deinem Evangelium der Trostlosigkeit das Leben etwas zu leicht?"

Jede dieser Fragen animiert Johanna zu neuerlichen Wutreden, und jeder ihrer Briefe liest sich wie ein Remix des „Zeit“-Essays von Dorn. „Trost“ ist gewissermaßen die Langversion davon, von einem dünnen literarischen Mäntelchen dürftig umhüllt.

Wieder geht es zentral um die Freiheit und wie sehr diese durch die Corona-Eindämmungspolitik bedroht wird, wieder um das Sterben und den Tod, aufgehangen an eben jenen Gemälden und einem philosophischen Diskurs mit Lesefrüchten von Sokrates bis Seneca.

Dorns Heldin macht philosophische Ausflüge

Johanna berichtet Max von der Beerdigung ihrer so freiheitssüchtigen, hedonistischen, selbstbewussten, eine Schauspieleragentur leitenden Mutter, einer Beerdigung, die unter strengen Corona-Auflagen stattfindet; sie erzählt ihm von einer Berlin-Lockdown-Reportage, die sie schreiben will, von einer Nacht, in der sie, ach, wie trotzig und wie wild!, mit zwei Männern im Bett war, oder von einem Corona-Test, dem sie sich unterzieht.

Ein übermäßig interessanter literarischer Stoff ist das nicht gerade; doch schlimmer und stilistisch fragwürdig ist der anbiedernde, salopp-lockere Ton, mit dem Dorn versucht, ihrer Johanna Kontur zu verleihen und ihre Fiktion aufrecht zu erhalten. Dazu gehören auch formale Spielereien.

Zum Beispiel die Worte, die hier in Versalien gesetzt sind, um Johannas Ärger und Lauthalsigkeit auszudrücken (am peinlichsten im übrigen ist ein im betrunkenen Zustand entstandenes Wort- und Satzgestotter, das wohl der Authentizität halber Einlass finden musste).

Oder die handschriftlichen Anreden und Enden der Briefe; zu schweigen von den holprigen Übergängen zu Johannas philosophischen Gedanken, wenn diese jedes Mal an ein Regal geht, um dort der „verstaubten Seneca-Ausgabe“ (oberstes Brett, zweite Reihe)" oder „meiner alten Platon-Ausgabe" habhaft zu werden.

Überzeugender wirkt es, wenn Dorn dann ihre philosophischen Ausflüge unternimmt und sich ihrem eigentlichen Thema widmet, dem Tod, der Trauer, dem Trost.

Wenn sie etwa Senecas Trostbriefe und den Stoizismus auf den Punkt zu bringen oder für sich gewinnbringend einzusetzen versucht; wenn sie Elias Canetti oder Simone de Beauvoir als erklärte Todfeinde anführt, die sich – wie de Beauvoir im Fall ihrer eigenen Mutter – dem Tod realiter doch nicht in aller Offenheit stellten wollten. Doch, ja, man kann sich den einen oder anderen Gedankengang, den Dornschen Freiheitsdiskurs gefallen lassen, Anregungen gibt es einige.

Nur fragt sich gerade in diesen Passagen stets aufs Neue: Wer spricht, wer argumentiert, wer packt seine Meinung hier in viele rhetorische Fragen? „Ich bin eine der wenigen, die finden, dass Begriffe aus dem Strafvollzug – Lockerungen gehört ja ebenfalls dazu – wenigstens ehrlich und deshalb völlig angemessen sind, um das zu beschreiben, was in unseren Gesellschaften seit März passiert.“

Oder: „Wozu aber braucht's in einer auf irdische Dauer angelegten Glücks-, Güter- und Versicherungsgesellschaft wie der unsrigen noch einen Himmel – außer als Kulisse für den Sonntagsausflug?"

Wozu aber braucht Dorn eine literarische Figur als Sprechpuppe? Die zum Beispiel „eigentlich gar keine Lust hat“, Ernst Jünger „ins Feld zu führen“ , das aber doch macht, so wie ihre Erfinderin in ihrem Essay zuvor auch.

Dorn lässt ihre Johanna durchaus Rede und Gegenrede halten. Diese wirft ihrer Mutter im Nachhinein schon auch mal vor, vielleicht doch etwas arg unverantwortlich sich selbst gegenüber gewesen zu sein, sich diese eine Freiheit zuviel genommen zu haben. Und natürlich distanziert sich Johanna auch von den Corona-Leugnern: „Spinnervolk“, „Verschwörungsdeppen“, „könnten einem Hieronymus-Bosch-Gemälde entsprungen sein“.

Es geht darum "ins Ideelle" aufzusteigen

Der Grundtenor dieses Buches ist trotz des liberalen Für und Widers deutlich: Die Corona-Politik stellt eine Gefahr für die Freiheit dar, sie sperrt freie Gesellschaften in Zwangsjacken. Die Angst vor dem Tod, der verdruckste Umgang damit, all das lässt uns zu lebenden Untoten werden. Ja, Hedonismus ist der wahre Heroismus „den wir heute bräuchten, um die Freiheit zu retten“. (Johanna fängt beispielsweise wieder an zu rauchen...)

Wie nebenher packt Thea Dorn ihren Unmut über andere, ihrer Meinung nach fehllaufende gesellschaftliche Entwicklungen in die Suada ihrer Briefschreiberin.

Das fängt an mit Joanne K. Rowling und ihrem Aussagen zu trans Personen geht über die vielen „Ökojakobiner“ in den Redaktionen (klar, wer gemeint ist), und endet unter anderem beim Zustand des clickgetriebenen, von der Digitalisierung gebeutelten Newsroom-Journalismus im allgemeinen und dem von der Rezension immer mehr abkommenden und sich allein auf den Diskurs und die richtige Haltung konzentrierenden Feuilleton im besonderen.

Selbstredend, das betont Dorn in Interviews, sei sie nicht Johanna, verweist sie auf das Fiktive, auf die Rollenprosa. Besser wird ihre Literatur, wenn man sie denn noch so nennen will, nicht, die Entwicklung der fiktiven Trostlosen zu einer Trostfinderin.

Ein Sachbuch hätte sich da zwingender angeboten, um die Fragen zu stellen, auf die Thea Dorn keine Antworten hat (und die doch nur verschleiern sollen, dass viele ihre Fragen oft Aussagen sind.)

Am Ende will Johanna aussteigen, aus der Zeitungsredaktion, hinaus aufs Land. Sie glaubt nun, die „Kunst des Tröstens“, des „Sich-trösten-lassens“ gelernt haben, glaubt, „ ins Ideelle aufgestiegen“ zu sein, und das Buch schließt mit einer knallbunten Capri-Postkarte. Das muss man dann doch als trostlos bezeichnen – oder wenigstens als handelsüblichen Eskapismus verstehen.

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