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Julie (Honor Swinton Byrne) kann sich nicht aus der emotionalen Abhängigkeit von Anthony (Tom Burke) lösen.

© A24

"The Souvenir" im Kino: Honor Swinton Byrne ist fast schon so gut wie ihre Mutter Tilda

Wie lassen sich Kunst und Leben miteinander vereinbaren? Die Regisseurin Joanna Hoggs sucht in dem Beziehungsdrama "The Souvenir" nach Antworten.

Von Andreas Busche

Plüschtiere markieren die Grenze, die Julie für ihre Privatsphäre zieht. Sie legt sie im Bett zwischen sich und ihrem Freund Anthony aus, die kindliche Demarkationslinie in einer Beziehung, die einfach passiert zu sein scheint. Sie hat keinen richtigen Anfang und später ganz viele Enden, immer wieder. Irgendwann stand er in ihrer Wohnung, zunächst für ein paar Tage – und blieb dann einfach.

„Du bist so zerbrechlich“, meint er zu Beginn bewundernd, „deine Haut ist so weiß.“ Mit vergifteten Komplimenten weiß die 24-Jährige nicht umzugehen, sie befindet sich noch in einer Findungsphase: künstlerisch und mehr noch fürs Leben.

Honor Swinton Byrne hat tatsächlich die Alabasterhaut ihrer Mutter Tilda geerbt. Ihre noble Blässe lässt Julie fast transparent erscheinen. Sprachlos gewährt Byrne so Einblicke in das Seelenleben ihrer Figur; Worte für die emotionalen Verletzungen zu finden, fällt ihr schwer.

Joanna Hoggs vierter Film „The Souvenir“, der Mitte der achtziger Jahre spielt, trägt autobiografische Züge. Ob sich die Ähnlichkeiten nur auf die künstlerische Arbeit ihrer Protagonistin beziehen oder auch auf die toxische Beziehung Julies mit Anthony (Tom Burke), bleibt eher nebensächlich.

Die körnigen 16-mm-Bilder lassen Intimität zu

Julie schneidet gerade ihren ersten Film an der Kunsthochschule, einen Dokumentarfilm über die Industriestadt Sunderland mit ihren brachen Hafenanlagen: ein Milieu, das kaum weiter von ihrer eigenen Herkunft entfernt sein könnte. „Ich möchte nicht mein ganzes Leben in einer Blase leben“, erklärt Julie einmal ihrem Dozenten.

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Schon in ihrem letzten Film, dem formal sehr konzeptuellen  „Exhibition“ von 2014, hat Hoggs die Kunst im Lebensentwurf ihrer Hauptfigur gespiegelt (damals dem ihrer Hauptdarstellerin, der Slits-Sängerin Viv Albertine). In „The Souvenir“ verzichtet sie auf stilistische Manierismen, schon die weichen, leicht körnigen 16-mm-Bilder lassen einen Hauch von Intimität zu. Dafür, dass mit Anthony etwas nicht stimmt, gibt Hoggs frühe Hinweise.

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Spätestens als Julie ihn nach seinen blauen Flecken am Arm fragt, sollten ihre Alarmglocken schrillen. Sie bleibt gutgläubig. Hinter seinem weltmännischen Auftreten, meist im Nadelstreifenanzug (angeblich arbeitet er für das Außenministerium), kommen bald Brüche zum Vorschein. Anthony verschwindet tageweise, pumpt sie um Geld an. Als ein Bekannter (Richard Ayoade) Julie auf das Offensichtliche anspricht, bricht ihre Welt zusammen: „Und du nimmst keine Drogen? Ich frage mich die ganze Zeit, wie ihr zwei zusammenpasst.“

Tilda Swinton mit grauen Haaren

Solche emotionalen Erschütterungen registriert „The Souvenir“ fast beiläufig, Hoggs erzählt Anthonys langsamen Zerfall in Ellipsen. Nach jedem Zeitsprung fällt es Julie schwerer, ihre Ohnmacht zu verbergen. Sie vernachlässigt ihr Filmprojekt, als könnte sie durch die Rettung Anthonys eine Perspektive für ihr eigenes Leben finden, die sie in der Arbeit vergeblich sucht.

Ihre Mutter, Typ englischer Landadel (Tilda Swinton mit grauen Seniorinnenfrisur), ist auch keine Stütze, hilflos steckt sie Julie immer wieder Geld zu, das umgehend in Anthonys Taschen landet.

David Raedeker filmt Julies schmerzvolles Erwachen nicht als Akt der Ermächtigung, sondern als Aufblühen. Die stille Präsenz Byrnes trägt jede Einstellung, auch wenn ihr Spiel ausweichend bleibt. Erst am Ende hält sie dem Blick der Kamera stand.
Im Kino fsk

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