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Tänzer in "The Nature of Us"

© Dorothea Tuch / HAU

„The Nature of Us“ im HAU 2: Tanz der Blumenkinder 2.0

Wenn Stadtgewächse anfangen zu schwärmen:  „The Nature of Us“ von den Choreografen Angela Schubot und Jared Gradinger im HAU 2.

Von Sandra Luzina

Sie sind die neuen Blumenkinder: Die Choreografen Angela Schubot und Jared Gradinger haben schon in ihrem Duett „Yew“ (deutsch für „Eibe“) mit einem neuen Subgenre experimentiert: dem Tanzen mit Pflanzen. Sie betrachten Pflanzen als ihre „Verbündeten“ und Quelle der Inspiration. Deshalb reklamieren sie auch nicht die alleinige Urheberschaft für ihr Stück, die gebühre, sagen sie, genauso Beifuß, Brennnessel, Buche, Eibe, Eiche, Echivarea, Farn, Klee und Moos.

Vergangenen Juni zeigten Schubot und Gradinger eine Outdoor-Variante von „Yew“ im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow. Die botanische Leidenschaft lässt beide nicht los. In „The Nature of Us“, dritter Teil des Werkzyklus’, kamen nun fünf weitere menschliche Protagonisten dazu. Und auch weitere vegetabilische Influencer werden im Programmheft genannt, darunter Beinwell, Goldrute, Lavendel und Stechapfel.

Auf der leeren Bühne des HAU 2 sieht man natürlich keine choreografischen Zierbeete, hier regiert der Wildwuchs. Die Performer kriechen in malerisch zerlöcherten Klamotten zunächst ausgiebig auf allen vieren über die Bühne, murmeln unverständliche Formeln vor sich hin. Das Publikum streunt umher – keiner schlägt hier Wurzeln. Zwei Tänzer pressen dann ihre Körper aneinander, beginnen im gleichen Rhythmus zu atmen. Das stoßweise Ausatmen, wie man es vom Yoga kennt, wird schneller und heftiger. Dazu stoßen die Frauen spitze Laute aus oder verfallen in einen enervierenden Singsang. Als Zuschauer fühlt man sich, als ob man in bei einem Selbsterfahrungstrip gelandet ist oder in einem antiautoritären Kindergarten.

Am Ende eine wärmende Gemeinschaftserfahrung

Wirklich orgiastisch geht es bei den Blumenkindern 2.0 aber nicht zu. Sie streichen sich schon mal sanft über den Rücken oder lassen sich andere Behandlungen angedeihen. Ganz spontan ihren inneren Impulsen folgend, schleudert Angela Schubot die Bewegungen heraus, stürzt sich auf wechselnde Partner, mal Mann, mal Frau. Die Duette haben bisweilen etwas Überrumpelndes. Vielleicht schlagen hier ja die junge Triebe aus. Später sitzen die sieben Tänzer im Kreis, versenken sich in die innere Stille. Doch das mutet an wie Schau-Meditieren als Ausweis der eigenen Achtsamkeit und Empfindsamkeit.

Soundgärtner Stefan Rusconi hat wie schon in „Yew“ die elektromagnetischen Impulse von Pflanzen aufgezeichnet und in Klänge verwandelt. Damals versetzte der akustische Garten die Zuschauer in meditative Stimmung. Hier wechseln die Stimmungen abrupt, brauen sich schon mal Klanggewitter zusammen. Während alle anderen still halten, verdreht und verbiegt sich Andreea David in sparsamen Bewegungen, umarmt dann eine Leuchtstoffröhre. Ein platinblonder Jüngling greift sich auffallend oft ans Herz, während Liz Rosenfeld hier Mutter Erde zu verkörpern scheint. Am Ende: kein Brenesseltee, sondern eine wärmende Gemeinschaftserfahrung. Einige der Zuschauer werden aufgefordert, sich eng aneinander gedrängt in einem Kreis aufzustellen, zu einem Kollektiv zusammenzuwachsen. Eine Leuchtstoffröhre senkt sich herab und scheint auf diesen Garten aus Leibern.

Schubot und Gradinger bezeichnen ihre Choreografie als „posthuman“. Die Denker des sogenannten Posthumanismus begreifen den Menschen nicht mehr als überlegenes Wesen und lehnen daher jede Artenhierarchie ab. Für sie ist er nur eine unter vielen natürlichen Spezies. Solche Konzepte fallen derzeit auf fruchtbaren Boden in der Tanzszene. Doch „The Nature of Us“ ist naiv in seiner Behauptung, dass wir in einen Naturzustand zurückkehren könnten. Und auch künstlerisch ist die Naturschwärmerei der Stadtgewächse nicht ertragreich. Die erratischen Aktionen der Performer lassen kaum an natürliche Zyklen, an wachsen, blühen, welken denken. Mit der Kraft der Pflanzen – das gilt nicht für diesen Abend, der bald ins Esoterische abdriftet.

„The Nature of Us“, HAU2, wieder 2. März, 19 Uhr und 3. März, 17 Uhr

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