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Rollenspiele. Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer sind The Knife.

© Cooperative

The Knife: Schütteln und schaukeln

Vertonte Theorie: Das schwedische Duo The Knife testet in seinem neuen Album "Shaking the Habitual" die Grenzen des Synthie-Pop.

Der prunkvolle Stockholmer Salon liegt im Dunkeln. Das Publikum jubelt, während die ersten Töne aus dem Synthesizer den Raum erfüllen. Dann strahlt ein schwaches, blaues Licht zwei Figuren auf der Bühne an. Beide stecken in schwarzen Ganzkörperanzügen, nur Ohren, Augen, Nase und Mund sind frei, über den Händen tragen sie weiße Handschuhe. Um sie herum entsteht ein Lichtermeer wie ein Sternenhimmel, später ein Netz aus Linien, ein Meer aus Wellen. Das Publikum ist längst verstummt und staunt.

Es ist März 2006, die schwedischen Band The Knife gibt ihr erstes Konzert und beginnt die Tournee zu ihrem erfolgreichen zweiten Album „Silent Shout“. Die Konzerte sind sowohl in Europa als auch in den USA schnell ausverkauft. Die Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer machen bereits seit sieben Jahren zusammen Musik. Und ein anderer Schwede, José Gonzales, sorgt etwa zur gleichen Zeit mit seiner Coverversion ihres Songs „Heartbeats“ vom 2003er-Album „Deep Cuts“ dafür, das Duo auch einem breiten Publikum nahezubringen.

Wieder sieben Jahre später veröffentlichen The Knife nun „Shaking The Habitual“. Die Aufregung ist groß. Die Tour zum Album, das am Freitag erscheint, war schon Mitte Januar ausverkauft. Vorab stellten die Geschwister einen Clip ins Netz, der sie wieder in einheitlicher Aufmachung zeigt: in blauen Anzügen, beide mit langen Haaren auf Schaukeln, beide mit hohen Schuhen und lackierten Fingernägeln. Zu hören sind wenige Sounds, die nichts Konkretes erahnen lassen – und doch genug andeuten: The Knife machen dort weiter, wo sie aufgehört haben, und gehen noch ein paar Schritte weiter. Bei früheren Konzerten und Pressefotos war meist nicht genau zu sehen, wer Mann und wer Frau ist. Durch die geschlechtslose Inszenierung wirkten beide gleich. „Gender Bender“ – so hieß auch eine EP der Schweden.

Jetzt erscheinen The Knife nicht wie geschlechtslose Wesen. Sie spielen mit den Kategorien, wenn sie sich etwa beide als Frauen verkleiden. In der Single „Full of Fire“ heißt es: „Keine Vagina, es ist eine Option.“ Das dazugehörige Video von Marit Östberg ist ein queeres Manifest im Kurzfilmformat. Es zeigt alte Menschen in Frauenkörpern, die sich wie Männer kleiden, ein lesbisches Paar beim SM-Spiel, später auch eine kleine Demonstration vor dem Königsschloss in Stockholm: Occupy the Castle! Die Musik dazu klingt verstörend, brutal. Die Snaredrum rattert wie ein Maschinengewehr, nach und nach brechen Töne in die Höhe aus, um dann wieder herabzufallen, als würde man beim Stimmen eines unbekannten Instrumentes zuhören.

Düster war schon „Silent Shout“, doch bewegten sich The Knife darauf noch innerhalb der Grenzen des Synthie-Pop- Genres. Von dessen Konventionen haben sie sich nun weit entfernt. Ein wabernder 20-Minüter wie „Old Dreams Waiting To Be Realized“ wäre vor sieben Jahren undenkbar gewesen. Wer das musikalische Treiben der Geschwister in der Zwischenzeit verfolgt hat, den dürfte die neue Sperrigkeit nicht wundern. Während Karin Dreijer Andersson, 37, erfolgreich mit ihrem Soloprojekt Fever Ray war, bastelte Olof Dreijer, 31, unter dem Namen Oni Ayhun an tanzbaren Rhythmen, getragen von dem elektronischen Piepsen und Wummern, das auch bei The Knife immer zu hören ist.

Ein gemeinsames Projekt in dieser Zeit war die Oper „Tomorrow, in a Year“, die 2010 uraufgeführt wurde. The Knife vertonten darin Charles Darwins „Der Ursprung der Arten“. Olof Dreijer hörte stundenlang verschiedenen Vögeln zu, um deren Gesang schließlich elektronisch umzusetzen – ohne den Anspruch zu haben, einen vogelgleichen Ton erzeugen zu wollen. Die Tiere wie auch Darwins Texte dienten als Ideengeber für eine teils höchst abstrakte Sound-Collage.

Auch „Shaking The Habitual“ ging ausgiebige Lektüre voraus. The Knife haben sich mit Gender und Queer Studies beschäftigt, Texte zum Postkolonialismus und zur Critical Whiteness gelesen. Dadurch sind sie grundsätzlicher geworden, feministisch waren sie ohnehin schon. So ließen sie sich 2003 bei der Verleihung eines schwedischen Musikpreises von Schauspielern in Gorillakostümen vertreten, um gegen die Männerdominanz des Popgeschäfts zu protestieren, und schenkten vor drei Jahren der Feministischen Partei Schwedens 50 000 Kronen. Doch erst jetzt wenden sie ihre Erkenntnisse auch konsequent auf die eigene Arbeit an. Ihre Musikvideos etwa lassen sie nicht mehr nur von Männern gestalten. Das Ergebnis sind Filme wie der von Marit Östberg oder der von Roxy Farhat und Kakan Hermansson zur zweiten Single „A Tooth For An Eye“. Ein faszinierendes Spiel mit Erwartungen: In einer Umkleide zieht sich eine Gruppe von Männern um, betritt die Sporthalle und die Person, nach deren Choreografie sie tanzen und auf die sich alle Blicke richten, ist ein kleines Mädchen mit geflochtenen Haaren.

„Shaking The Habitual“ – der Titel des Albums ist einem Text des französischen Philosophen Michel Foucault entnommen, der genau dies als die Aufgabe des Intellektuellen betrachtet: Das gewöhnliche Denken durchzuschütteln. Nach den etwa 100 Albumminuten bleibt die Hörerin einigermaßen durchgeschüttelt, gleichzeitig starr und atemlos zurück. Es entsteht ein seltsames Gefühl zwischen absoluter Überraschung und der Ahnung, dass ein neues Album von The Knife gar nicht hätte anders klingen können. Diese Musik ist ein schöner Wahnsinn.

„Shaking The Habitual“ erscheint am 5.4. bei Cooperative Music. Konzert: 11.5. Columbiahalle Berlin (ausverkauft)

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