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„Mad Men“-Star Elisabeth Moss wurde für ihre Rolle der Offred mit einem Emmy ausgezeichnet.

© Hulu

The Handmaid's Tale: Das System Gilead

Die preisgekrönte Vorzeigeserie „The Handmaid’s Tale“ ist das Porträt eines totalitären Männerregimes.

Von Andreas Busche

Der tägliche Weg zum Einkaufen führt vorbei an einer grauen Steinwand, vor der die Körper dreier Gehenkter baumeln. „Ein Priester, ein Arzt und ein Schwuler“, sagt die junge Frau in der roten Robe aus dem Off. „Ich glaube, ich kenne den Witz. Aber das hier ist nicht die Pointe.” Offred (Elisabeth Moss) spricht die Sätze nicht aus. Sie entstammen einem inneren Monolog. Dieses Stilmittel setzt den ausgebleichten, visuell stark kontrollierten Bildern der zehnteiligen Streamingserie „The Handmaid’s Tale“ eine widerständige Kraft entgegen.

Denn in der Gesellschaft, in der Offred – für „of Fred“, d.h. Besitz des Commanders Fred (Joseph Fiennes) – lebt, besteht eine Diskrepanz zwischen den Worten und deren Bedeutung. Die totalitäre Regierung der neuen Republik Gilead hat die Sprache genauso brutalisiert wie die Bevölkerung. Die Menschen grüßen sich auf der Straße mit „Under his Eyes“ und „Blessed Be the Fruit”, bewacht von bewaffneten Milizen. So klingt die Sprache eines theokratischen Systems, das die Trennung von Staat und Kirche de facto aufgehoben hat. Im post-idyllischen Gilead, den ehemaligen Vereinigten Staaten von Amerika, treibt nach einer Umweltkatastrophe ein radikaler Puritanismus seine Blüten.

Erfolg dank der Politik alter, weißer Männer

Als „The Handmaid’s Tale“ im April in den USA Premiere feierte, dürften sich die Programmmacher der Streamingplattform Hulu, die die Produktion in Auftrag gegeben hatte, erst einmal gekniffen haben. Margaret Atwoods Roman „Der Report der Magd“ stammt von 1985, dem Jahr nach dem berühmten Orwell-Jahr -Volker Schlöndorff hat ihn 1990 verfilmt. In den Achtzigern schien die Vorstellung eines Patriarchats, das die letzten fruchtbaren Frauen zu Gebärmaschinen versklavt („Gebärmutter auf zwei Beinen“, heißt es einmal), weit hergeholt. Aber wie so vieles, was vor US-Präsident Donald Trump eigentlich für unmöglich gehalten wurde, erhielt auch „The Handmaid’s Tale“ dank der Politik alter, weißer Männer eine neue Aktualität.

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Plötzlich protestierten in amerikanischen Großstädten Frauen gegen das geplante „Planned Parenthood“-Gesetz, das unter anderem ein verschärftes Abtreibungsrecht vorsieht. Die Demonstrantinnen traten in denselben Kostümen auf (rote Roben, weiße Hauben), die die „Mägde“ von Gilead tragen müssen, auf Plakaten stand „,Handmaid’s Tale‘ war nicht als Handbuch gemeint“. Von einer überholten Dystopie zur popkulturellen Gesellschaftsparabel, so schnell kann’s gehen. Trump hatte schon Atwoods Roman zur Rückkehr in die Bestsellerlisten verholfen.

Dass „The Handmaid’s Tale“ gerade auch bei den Emmys abräumte (acht Auszeichnungen gab es, u.a. als beste Dramaserie und für Elisabeth Moss als beste Darstellerin), hat natürlich viel mit der Stimmung im Land zu tun – die Wahl Trumps hat eine neue Faszination an pessimistischen Gesellschaftsentwürfen geweckt. Die Qualitätsserie kommt aber gerade zur rechten Zeit, um wieder frischen Wind in das Genre zu bringen.

Türöffner für den umkämpften Serienmarkt

Hulu, die sich in den USA neben Netflix und Amazon als dritte Größe unter den produzierenden Streaminganbietern profilieren wollen, sondieren mit dem Prestigeprojekt das Feld neu. Die acht Auszeichnungen sind eine kleine Revolution auf dem Serienmarkt, der immer noch von den Networks und Bezahlsendern dominiert wird. Nur folgerichtig, dass sich in Deutschland die Telekom die Rechte an „The Handmaid’s Tale“ für ihre Unterhaltungsplattform EntertainTV gesichert hat, um sich mit exklusivem Material auf dem deutschen Streamingmarkt zu behaupten. Hier wird die Serie von Showrunner Bruce Miller vorerst nur einem kleinen Publikum vorbehalten bleiben. Ein kluger Schachzug, aber auch ärgerlich für alle Nicht-Kunden der Telekom. Es zeigt, wie umkämpft der Markt inzwischen ist.

Elisabeth Moss hat in den USA viel Kritik einstecken müssen, weil sie sich – wie auch Atwood, die am Drehbuch beteiligt war – weigerte, ihre Figur feministisch zu nennen. Man kann sich an dem Wort aufhängen, aber tatsächlich ist „The Handmaid’s Tale“ - eher noch als eine bloße Trump-Allegorie – das psychologisch nuancierte, stark pointierte Porträt einer männlichen Gesellschaft, die Sexualität als Machtinstrument missbraucht. Die „Mägde“ werden ihrer Identität beraubt, in Rückblenden erzählt die Serie aus dem (Vor-)Leben von June mit ihrem Mann Luke und ihrer gemeinsamen Tochter – bevor sie von ihrem neuen Herren Offred getauft wurde. Die Kontrolle über die Frauen wird in Ritualen ausgeübt: in gemeinschaftlichem Steinigen oder den ehelichen „Zeremonien“, in der der Commander seine „Magd“ vergewaltigt, während diese im Schoß der unfruchtbaren Ehefrau liegt.

In diesem Bild steckt die ganze Ambivalenz der Machtstrukturen, die „The Handmaid’s Tale“ so skrupulös beschreibt. Die Frauen werden gegeneinander ausgespielt. „Sie sorgen dafür, dass wir uns misstrauen“ sagt eine der „Mägde“ einmal zu Offred. Die mütterliche Erzieherin Tante Lydia (Ann Dowd) ist eine ausgemachte Sadistin. Das ist das Perfide am System Gilead, das die Frauen zwingt, sich gegenseitig zu Opfern zu degradieren.

Ab sofort abrufbar auf dem Portal EntertainTV

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