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Zweite Hand. „The Green Fog“ besteht aus lauter Filmschnipseln.

© Berlinale

„The Green Fog“ im Berlinale Forum: Atmen, Räuspern, Küssen

Hitchcock als Remix: „The Green Fog“ von Guy Maddin im Forum ist ein visuelles Archiv, eine Raum und Zeit abbildende Karte San Franciscos.

Guy Maddins Film „The Green Fog“ bildet die Antithese zu seinem Vorgänger. „The Forbidden Room“ mutete an wie aus Filmmaterialien aus der Übergangszeit zur Tonfilmära zusammengesetzt, bestand aber aus eigens neu gedrehten Aufnahmen. Nun ist Maddin wieder im Forum der Berlinale vertreten, mit seiner Interpretation von Alfred Hitchcocks Klassiker „Vertigo“ von 1958.

„The Green Fog“ hat er aus Ausschnitten aus im Laufe des vergangenen Jahrhunderts in San Francisco gedrehten Film- und Fernsehschnipseln montiert, begleitet von Musik des Kronos Quartets. So wirkt der Film wie das Kino-Äquivalent zu einem Erpresserbrief aus ausgeschnittenen und neu miteinander verbundenen Zeitungsbuchstaben. Verfolgungsjagden aus einem schwarz-weißen Film noir treffen auf Momente existenzieller Ausweglosigkeit in der Science-Fiction der siebziger Jahre und seifenopernhafte Dinnerpartys. Michael Douglas folgt auf Doris Day auf Dean Martin auf Meg Ryan auf Donald Sutherland auf Gina Lollobrigida.

Oft schneidet Maddin die Dialoge aus den Szenen, sodass nur die Sprechpausen der Figuren übrig bleiben, Räuspern, Atmen, Kussgeräusche. Was dabei entsteht, ist genauso unfreiwillig komisch wie erstaunlich, denn trotz der fehlenden Worte lassen sich die grundlegenden emotionalen Register der Gespräche problemlos nachvollziehen. Seine Magie, das wird demonstriert, entwickelt das Kino nicht in erster Linie aus Dialogzeilen. Wichtiger ist die Montage: eine einfache Autofahrt in „The Green Fog“ besteht aus unzähligen Einstellungen verschiedener Wagen.

Man muss nur die passenden Bilder aneinandereihen

So lässt „The Green Fog“ nicht nur ein visuelles Archiv, eine Raum und Zeit abbildende Karte San Franciscos entstehen. Er erinnert auch an ein Herbarium, das verschiedene pflanzliche Exemplare einer Art zum Zweck des direkten Vergleichs nebeneinanderstellt. Nur werden hier eben Filmausschnitte gesammelt: einhundertundeine Methode, eine Autofahrt zu filmen.

Als Klammer fungieren Szenen aus Episoden der von 1971 bis 1977 ausgestrahlten Polizeiserie „McMillan and Wife“, in denen Rock Hudson als Kommissar Stuart McMillan denselben Film zu sehen scheint wie das Publikum im Saal. Ständig starrt er wissenden Blickes in einen Fernseher oder auf Leinwände. „Hast du Ärger mit dem alten Streifen?“, fragt er, als in einer Szene dem Vorführer das Filmmaterial vom Projektor rutscht, eine der wenigen Dialogzeilen in „The Green Fog“.

Seit einer Umfrage des britischen „Sight and Sound“-Magazins von 2012 gilt „Vertigo“ als bester Film aller Zeiten. Vertigo heißt Schwindel. Legendär ist Hitchcocks Thriller sowieso, und Guy Maddins Hommage zementiert diesen Status noch. Indem er alles von Hitchcocks Film abstreift – die Darsteller, die Dialoge, den berühmten Zoom-Effekt –, reduziert er das Drama auf den Kern der Geschichte. Eine Geschichte, die in Variationen wieder und wieder erzählt wurde, sodass wir sie beliebig oft aus dem Nebel unserer Erinnerungen, Kenntnisse und Assoziationen rekonstruieren können. Man muss nur die passenden Bilder aneinanderreihen. Das ist die Magie des Kinos.

25.2., 16 Uhr (Delphi)

Katrin Doerksen

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