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Undurchsichtig. Saad Al Ghefari als Firas, Ramzi Choukair als Amr und Mustafa Kur als Ahmad (v.l.)

© Volksbühne / David Baltzer

„The Factory“ an der Volksbühne: Islamisten vor der Tür

Exil-Theater an der Volksbühne: Mohammad Al Attar und Omar Abusaada untersuchen in „The Factory“, wie ein französischer Konzern vom Syrien-Krieg profitierte.

Es ist kompliziert. Das hört man ja oft, wenn es um die Lage im kriegszerrütteten Syrien geht. Aber mit genau dieser Haltung, findet der Autor Mohammad Al Attar, macht man es sich zu einfach. Sein Exil-Theater, das aus wechselnden Perspektiven auf die Trümmer seiner Heimat blickt, will aufklären, Verstrickungen erhellen, nicht zuletzt Schuldige benennen. Das gilt auch für sein Stück „The Factory“, das als Koproduktion mit der Ruhrtriennale jetzt Premiere an der Volksbühne feierte.

Al Attar arbeitet sich darin an einem realen Fall ab, der das Zeug zum Wirtschaftskrimi hätte. Es geht um eine Fabrik in Jalabiyeh, im Nordosten Syriens. Sie gehört dem heute weltgrößten Zementproduzenten, und sie hält einen Rekord, der aufhorchen lässt: als einziges ausländisches Werk im Land stellte sie den Betrieb selbst dann nicht ein, als 2011 der Krieg losbrach. Noch bis 2014 wurde hier produziert. In einer hochbrisanten Region, in der Assad-Truppen, Nusra-Front, Kurden und der spätere IS um Einfluss kämpften.

Wer „Lafarge Syria“ googelt, der stößt auf eine Vielzahl von Reportagen. Sie handeln von Schutzgeldzahlungen in Millionen-Höhe, von Anklagen gegen frühere Konzernverantwortliche wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, von einer mutmaßlichen Rolle der französischen Geheimdienste. Al Attar und der Regisseur Omar Abusaada, seit vielen Jahren schon ein Arbeitsteam, rollen dieses Kriegsgewinnler-Drama dokumentarisch auf, mit vier Schauspielerinnen und Schauspielern vor kreisrundem, zerschossenem Betonbunker (Bühne: Bissane Al Charif). Lina Murat spielt die französische Journalistin Maryam, die durch die Mail eines verzweifelten syrischen Lafarge-Angestellten auf den Fall aufmerksam wird, schlussendlich allerdings auch nur den üblichen Relevanz- Vampirismus westlicher Medien zustande bringt.

Größerer Zusammenhang wird kaum deutlich

Die Seite des Bösen, beziehungsweise Korrupten verkörpern der undurchsichtige Geschäftsmann Firas (Ramzi Choukair) mit Verbindungen zum Assad-Regime sowie der syrisch-kanadische Unternehmer Amr (Saad Al Ghefari), der sich als Berater ins zweifelhafte Geschäftsgebaren verstrickt. Für die Opfer der Verhältnisse schließlich steht stellvertretend Ahmad (Mustafa Kur), der wie viele Arbeiter die Fabrik auch dann nicht verlassen darf (ohne Job und Gehalt zu verlieren), als die Islamisten schon kurz vorm Werkstor stehen.

„Die Welt soll erfahren, dass die Fabrik eine Miniatur war: von Syrien und allem, was dort geschieht“, heißt es in der Mail, die im Stück den Anstoß zur Erzählung gibt. Bedauerlicherweise wird aber genau dieser größere Zusammenhang kaum deutlich. Al Attar und Abusaada schneiden die Perspektiven ihrer Protagonisten in einer Weise gegeneinander, die eben nicht ein „Rashomon“-artiges Puzzle widerstreitender Wahrheiten und Lügen ergibt. Sondern die letztlich wieder an den Punkt führt: es ist kompliziert.

Allianzen ohne Rücksicht auf Moral

Schon klar, hier wird die Ausbeutung Syriens durch ausländische Wirtschaftsinteressen angeprangert, ein Opportunismus, der sich seine Allianzen ohne Rücksicht auf Moral sucht, natürlich auch der Umgang eines Konzerns mit seinen Schutzbefohlenen, von denen etliche entführt und sich selbst überlassen wurden. Im Stück holt das Amr ein, auf den ein ehemaliger Lafarge-Angestellter ein Attentat verübt. Und was macht der Angeschossene? Knipst ein Selfie. Seltsam plakative Szene. Nicht viel erkenntnisstiftender ist die Rolle des Firas gezeichnet. Solche profitgierigen Machtschranzen mit Einfluss wird es zuhauf geben, sicher. Aber was sagt das wirklich über einen Konflikt mit Weltenbrand-Potenzial?

Wie schon in ihrer Arbeit „Iphigenie“, mit der Al Attar und Abusaada noch zu Dercon-Zeiten den mittlerweile wieder brachliegenden Hangar 5 in Tempelhof eröffneten, vermisst man eine klare Dramaturgie, auch Spannungsaufbau. Einzig der finale Monolog Ahmads kommt dem nahe. Der erzählt von der lebensgefährlichen Flucht seiner Familie in die Türkei. Am Ende stellt ihnen ein Schleuser für 2000 Dollar eine Leiter an die Grenzmauer. So erschreckend einfach ist es manchmal.

wieder am 14. und 19. Oktober um 19.30 Uhr

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