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Kultur: Tausend Jahre Leben

Warschau eröffnet sein Jüdisches Museum.

Gegenüber dem schwarzen Denkmal, das an den Aufstand im Warschauer Ghetto erinnert, steht seit kurzem ein avantgardistischer Glaspalast – das Museum der Geschichte der Polnischen Juden. Am heutigen Freitag, zum 70. Jahrestag des Aufstandes, öffnet es erstmals seine Pforten für Besucher. In die Glasfassade sind lateinische und hebräische Buchstaben eingeritzt, die tausendfach das jiddische Wort „Polin“ („Ort der Ruhe“ ) und das polnische „Polska“ wiederholen.

Im lichtdurchfluteten Eingangsbereich stehen Metalldetektoren. Überall wird noch geputzt und geschraubt. Ein wellenförmiger Flur, so hoch wie das Gebäude, symbolisiert die Furt im Roten Meer, durch die Moses das jüdische Volk aus der Sklaverei in die Freiheit führte – eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. 50 Millionen Euro hat der Bau gekostet, Deutschland beteiligte sich mit fünf Millionen Euro. Die Hauptlast trugen allerdings die Stadt Warschau und das polnische Kulturministerium. An der Hauptausstellung haben 120 internationale Wissenschaftler mitgearbeitet, sie wird größtenteils finanziert von zwei privaten Einzelspendern. Da sich das Museum als öffentliche Einrichtung vor allem an Polen richtet, hat es im Unterschied zu vielen jüdischen Museen auch am Samstag, an Sabbat, geöffnet.

Seine Errichtung geht zurück auf eine Initiative Warschauer Juden Mitte der 90er Jahre. Die Stadt schenkte ein Grundstück neben dem Ghetto-Aufstandsdenkmal, doch es fehlte lange an Geld. 2005 schlossen Stadt, Ministerium und die „Vereinigung des Jüdischen Historischen Instituts“ einen Vertrag, in einem Wettbewerb siegte das finnische Architekturbüro Lahdelma & Mahlamäki. 2009 begannen die Bauarbeiten.

Das Haus ist mehr als ein Museum, es ist ein Kulturzentrum. In Betrieb sind ein riesiger Hörsaal für Konzerte und Filmvorführungen, kleinere Auditorien, Büroräume, Informationszentrum, Kulturcafé und etwas später auch ein koscheres Restaurant sowie eine betreute Kinderspielecke. Mitte 2014 soll die Hauptausstellung und mit ihr das ganze Museum noch einmal offiziell eröffnet werden, auch US-Präsident Barack Obama wird zu diesem Anlass erwartet. Bis dahin steht nur ein kleiner zweistöckiger Raum für Wanderausstellungen zur Verfügung. Hier sollen ab 17. Mai, also genau 70 Jahre nach der Niederschlagung des Ghetto-Aufstandes, Amateurfilme über den jüdischen Alltag im Polen der Zwischenkriegszeit gezeigt werden.

Dem Holocaust wird weniger als ein Viertel der Hauptausstellungsfläche von rund 4000 Quadratmetern gewidmet. „Denn die Geschichte der polnischen Juden ist nicht nur die Geschichte der Holocaustopfer. Was das Museum erzählt, begann vor tausend Jahren und dauert immer noch an“, heißt es dazu in einem Museumsprospekt. Die rund 30 000 israelischen Schüler, die jährlich nach Polen reisen, sollen neben Krakau und Auschwitz auch das Museum der Geschichte der Polnischen Juden besuchen und dort interaktiv die Geschichte der polnischen Juden seit dem Mittelalter entdecken. „Wir wollen keine fertigen Antworten liefern, sondern den Besucher zum Denken anregen und die Vielfalt jüdischen Lebens in all den Jahrhunderten zeigen“, erzählt die für die Hauptausstellung verantwortliche New Yorkerin Kirshenblatt-Gimblett. Ihr Konzept gleiche der Dekonstruktion der Klezmer-Musik eines Michal Trzaska und anderer avantgardistischer jüdischer Musiker, allerdings würden in jedem der acht Ausstellungsräume immer ein paar klar erkennbare Hauptaussagen präsentiert. Je nach Interessenslage soll der Besucher tiefer schürfen können oder es eben dabei belassen. Die Ausstellung endet nicht in einem bestimmten Jahr, vielmehr öffnet sie die jüdische Geschichte in die Zukunft. Paul Flückiger

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