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Glücklicher Übergang. Der Erweiterungsbau der Tate St. Ives von Jamie Fobert Architects am Porthmeor Beach.

© Hufton+Crow

Tate St. Ives in Großbritannien: Im Licht von Cornwall

Wo die britische Insel endet, hört die Lust auf zeitgenössische Kunst nicht auf. Die Tate St. Ives eröffnet jetzt einen Erweiterungsbau am Meer.

Grau ziehen die Wolken am Strand von St. Ives vorbei. Das Meer hat an diesem äußersten Zipfel der britischen Insel eine besondere Farbe. Es leuchtet türkis. Die weißen Granitsteinchen im Sand reflektieren das Sonnenlicht auf besondere Weise. Die Farben von St. Ives lockten Maler und Bildhauer schon im 19. Jahrhundert hierher. Künstler wie Ben Nicholson, Alfred Wallis, Christopher Wood und Barbara Hepworth machten den kleinen Ort seit den 1920er Jahren zum Labor für eine radikale, moderne Kunst, die sich von traditionellen Formen verabschiedete. Die Kunst, die hier entstand, wird seit 1993 in einem regionalen Ableger der Londoner Tate Galerie gezeigt, in der Tate St. Ives. Der postmodern-neoklassizistische Bau von Eldred Evans und David Shalev mit seinen markanten Rotunden und spektakulären Austritten liegt direkt am Porthmeor Beach. Nun wurde ein Neubau hinzugefügt – der erstaunlicherweise kaum zu sehen ist.

Rechts hinter dem bestehenden Museum mit seinem runden Eingangsportal erhebt sich ein schlanker Bau mit blau-grün schimmernder Fassade. Die zweifach glasierten und speziell gebrannten Keramikfliesen der Außenhülle greifen die Farben der Landschaft auf und sind auch eine Hommage an Bernard Leach, den berühmten Keramikkünstler, der die Töpferei in St. Ives zur Kunstform erhob. Der britische Architekt Jamie Fobert hat mit dem Neubau die Ausstellungsfläche der Tate St. Ives verdoppelt, einen Verwaltungstrakt mit herrlichen Büros samt Kunstanlieferungszone und riesigem Lastenaufzug angefügt und sogar eine neue, öffentlich zugängliche Aussichtsterrasse auf dem Dach der Galerie geschaffen. Dabei verzichtete er bewusst auf den Kathedralen-Effekt, den etwa Herzog & de Meuron beim Neubau der Tate Modern in London zelebrierten. Fobert katapultierte die „Tate auf dem Lande“ stattdessen mit funktionalen Erweiterungen in eine neue Liga und legte unendlich viel Empathie für die Umgebung an den Tag: Niemand wollte hier eine weitere Museumsikone am Strand.

Fischer und Künstler arbeiten Tür an Tür

11 500 Einwohner leben permanent in St. Ives. Im Sommer ist die Stadt voll mit Besuchern, 1,5 Millionen Touristen kommen pro Jahr, Surfer und sehr viele Familien. Die Tate St. Ives ist ein willkommenes Ausflugsziel nicht nur an Schlechtwettertagen. Und sie bringt Geld in die strukturschwache Region. St. Ives lebte einst von Fischöl, von Sardinen und vom Bergbau. Die Zeiten sind vorbei. Allerdings besteht die einzigartige Symbiose aus Fischerei und Kunst, die sich Ende des 19. Jahrhunderts zu entwickeln begann, bis heute. In den Porthmeor-Studios, die nicht weit von der Tate entfernt liegen und in denen das Museum einige Ateliers unterhält, arbeiten Fischer und Künstler auch heute noch Tür an Tür.

Eine Viertelmillion Besucher zählt die Tate St. Ives pro Jahr, damit platzte das Haus aus allen Nähten. Auch weil das Museum für jeden Ausstellungsumbau für einige Wochen geschlossen werden musste, dachten die Verantwortlichen in St. Ives und London schon lange über einen Ausbau der Zweigstelle nach. Bei einem ersten Entwurf sollte ein markantes Gebäude am Kliff aufragen. Nur hätte dafür ein Parkplatz weichen müssen auf den die Anwohner nicht verzichten wollten. Schließlich wurden sogar Standorte außerhalb von St. Ives geprüft.

Ein Gefühl von Weite und Großzügigkeit

Am vergangenen Wochenende eröffnete der neue Bau nach vierjähriger Bauzeit mit Party und Feuerwerk am Strand. Für nur fünf Pfund pro Jahr können heimische Besucher künftig beliebig oft ins Museum. Und in dem werden ab jetzt neben Werken der Moderne-Sammlung wechselnde Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst zu sehen sein. Werke, die man vorher gar nicht durch die kurvigen Treppenaufgänge bekommen hätte.

Vom alten Gebäude mit seinen runden Fenstern und zahllosen spektakulären Ausblicken aufs Meer kann man nahtlos in das neue Haus gelangen, ohne dass man das im Innern überhaupt wahrnimmt. Jamie Fobert wollte die neue Ausstellungsfläche auf derselben Ebene ansiedeln wie die alte, so dass Besucher weder Treppen erklimmen noch nach draußen wechseln müssen, um von der modernen zur zeitgenössischen Kunst zu gelangen.

Wegen der Wohnbebauung rund um das Museum, musste Platz im Fels geschaffen werden. Alleine das Gestein abzutragen hat ein Jahr gedauert. Im Ergebnis hat Fobert die Flucht der bestehenden, kabinettartigen Ausstellungsäume so an die neue Vorhalle und den neuen Ausstellungsraum angegliedert, dass man von vorne bis hinten durchblicken kann. So entsteht Weite und Großzügigkeit. Man fühlt sich fast wie in den Enfilades von Versailles. Und das obwohl Alt- und Neubau nur an einer einzigen Stelle miteinander verbunden sind.

Bildhauerin Rebecca Warren zeigt als Erste eine Ausstellung

Die neue 600 Quadratmeter große Halle ist säulenlos, fünf Meter hoch und wird von einer massiven Betondecke zusammengehalten. Mehrere Meter hohe Lichtschächte im Dach lassen das kornische Sonnenlicht herein und streuen es in optimaler Luxzahl auf die Kunst. Die erste Künstlerin, die diesen Raum bespielen darf ist die britische Bildhauerin Rebecca Warren, die 2006 für den Turner-Preis nominiert war. Eine perfekte Wahl. Warrens expressive Ton- und Bronzeskulpturen referieren mit explizit weiblichem Unterton sowohl auf die Kunstgeschichte der Moderne als auch auf Pop- und Comickultur. Damit steht Warren in bester Tradition mit den selbstbewussten, weiblichen Bildhauerinnen von St. Ives, allen voran Barbara Hepworth. Warren, die müde aber glücklich zur Eröffnung kam, hat neue Arbeiten geschaffen, die in Dimension und Ausmaß auf die neuen Räumlichkeiten zugeschnitten sind. Eine Gruppe von kleineren Bronzen – dünne, anthropomorphe Gebilde – sind hintereinander aufgereiht, mehrere drei Meter hoch aufragende, totemähnliche Skulpturen verteilen sich geschickt über den Raum. Den Eingangsbereich blockiert eine schwarze Stahlplatte, die den Zuschauer zwingt sich erst mal neu zu orientieren.

Für den Direktor der Tate St. Ives, Mark Osterfield, fühlt sich der Eröffnungstag an, wie das Ende eines langen Marathons. In großen Veranstaltungshallen wurden die Bewohner des Ortes in den vergangenen Jahren über die jeweils neuen Pläne für die Tate informiert. Es gab viel Gegenwind. Viele wünschten das Museum zwischendurch zum Teufel. Aber mit dem neuen Haus scheinen alle gewonnen zu haben. Und die aus New York stammende künstlerische Direktorin Anne Barlow hat Platz, um junge, internationale Künstler nach St. Ives einzuladen, ans Meer.

Tate St. Ives, Porthmeor Beach, St. Ives, Cornwall, Mo-So 10-17.20 Uhr. Der Besuch wurde ermöglicht durch Visit Britain.

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