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Seid umschlungen. Medhat Aldaabal, Moufak Aldoabl und Amr Karkout in Nir de Volffs Choreografie.

© Bernhard Musil

Tanzperformance von Nir de Volff: Mein Geist ist flexibel, aber der Körper braucht Zeit

Dock 11 Berlin: Der israelische Choreograf Nir de Volff inszeniert ein Stück mit drei syrischen Tänzern.

Von Sandra Luzina

742 Tage. Medhat Aldaabal hat die Tage gezählt, seit er in Berlin ist. Im Juli 2015 kam der syrische Tänzer hier an. Nun steht er auf der Bühne des Dock 11, holt tief Luft und sagt: „Mein Geist ist flexibel, aber mein Körper, der braucht Zeit, viel Zeit.“ Medhat ist einer von drei syrischen Flüchtlingen, mit denen der aus Israel stammende Choreograf Nir de Volff das Projekt „Come as you are # Berlin“ erarbeitet hat. Der gleichnamige Nirvana-Song (ohne Berlin-Zusatz) liefert das Motto: Die drei jungen Syrer stehen mit allem, was sie an Erfahrungen mitgebracht haben, vor dem Publikum und schildern ihre Versuche, in der Berliner Tanzszene anzukommen.

Wie Medhat Aldaabal haben auch sein Cousin Mouafak Aldoabl, seit September 2015 in Berlin, und Amr Karkout, der vor einem halben Jahr hierherkam, in Damaskus Tanz studiert, hauptsächlich Folklore und Ballett. In ihrer Heimat traten sie schon mal in Tanzshows wie „Aladin“ oder „Tausendundeine Nacht“ auf. In Berlin mussten die drei bald erkennen, dass ihr Verständnis von Tanz sich radikal von den künstlerischen Praktiken der Freien Szene unterscheidet. „Es war ein Kulturschock“, so Nir de Volff. Keuchende, schwitzende Körper auf der Bühne, Männer und Frauen oder Männer und Männer, die sich berühren – das ist in Syrien tabu. Und dann dieses ständige Herumreiten auf dem „Konzept“!

Es wird eine Aufführung mit Hindernissen. Amr Karkout hat gerade sein Solo begonnen, als eine deutsche Frau auf die Bühne stürmt und „Männerkultur!“ ruft. Die empörte Frau wird des Saals verwiesen, und Nir de Volff bittet die Zuschauer, sich weitere Überraschungen zu verkneifen. Männerkultur? Aber ja doch! Was keineswegs mit arabischem Machismo zu verwechseln ist. Amr Karkout legt noch mal los. Die moralischen Codes seien in seinem Körper verwurzelt, erzählt er. „Ich muss lernen loslassen“, ruft er. Den Jargon der freien Szene hat er schon drauf. Er zieht sein schwarzes T-Shirt aus und beginnt, sich ungestüm zu bewegen. Medhat und Mouafak assistieren ihm. „Stell dir vor, du hast einen flexiblen Körper. Einen friedlichen Geist“, flüstern sie ihm zu. Und zitieren aus John Lennons „Imagine“: Stell dir vor, es gibt „nichts, wofür es sich zu töten oder sterben lohnt“.

Reise zu sich selbst

Der Abend handelt von einer Reise zu sich selbst. Die Texte bewegen sich zwischen Selbsterforschung und Selbstermächtigung. Die drei erzählen von ihren Hoffnungen und Träumen, vom Gefühl des Fremdseins – und dem Wunsch, alle schmerzhaften Erfahrungen hinter sich zu lassen. Manches klingt ein bisschen naiv. Doch die syrischen Tänzer haben etwas Gewinnendes; man spürt, wie ihnen die Sympathien zufliegen. Medhat hat sich kurz vor der Premiere verletzt und kann keine großen Sprünge machen - das wurde noch schnell eingearbeitet. Sein Handicap steht für alle Beschädigungen durch Krieg und Flucht.

In den Tanzszenen geht es darum, sich von allen Fesseln zu befreien und im eigenen Körper anzukommen. Auch Humor blitzt auf. Amr macht sich über unsere Vorstellungen von Syrien lustig und tritt als Bauchtänzerin auf. Das Trio gegen Ende zeigt eine zarte Annäherung. Die drei Männer fassen sich an den Händen und bilden ein verschlungenes Muster.

Ihnen ist bewusst, dass es auf der Bühne einen Flüchtlingsbonus gibt: Geflüchteten Syrern wird eine besondere Glaubwürdigkeit zugesprochen. Die drei wollen aber nicht darauf reduziert werden, sondern als Amr, Medhat und Mouafak wahrgenommen werden. Auch wenn sie mit den Gedanken noch oft in Syrien sind, richtet sich ihr Blick nach vorn. Zum Schluss erzählen sie, wo sie sich in zehn Jahren sehen: am Berliner Maxim-Gorki-Theater oder am Strand von Miami, in einem Amerika ohne Trump.

Die ersten drei Vorstellungen von „Come Berlin“ waren ausverkauft, deswegen wird das „work in progress“ im September nochmals gezeigt. Nir de Volff bezeichnet sein Projekt scherzhaft als „Integrationskurs“. Die Aufführung sei ein erster Schritt, meint er. De Volff will unbedingt weiterarbeiten mit den drei Syrern. Und auch er hat eine Utopie: Er träumt von einer Kompanie, in der Israelis, Syrer, Deutsche und andere Nationalitäten zusammen tanzen – natürlich im Schmelztiegel Berlin. Sandra Luzina

Wieder 8.–10.9., jeweils 19 Uhr

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