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Raus damit. „Speaking about the Ghost“ von Alexandre Achour.

© Anja Beutler

Tanznacht Berlin: Quasselstrippen und Diskurshengste

Performen, was das Zeug hält: die „Tanznacht Berlin“ in den Uferstudios.

Von Sandra Luzina

Munter sprießt das Unkraut und umwuchert die Installation aus abgestorbenen Baumästen. „Impossible Forrest“ nennt der Choreograf Jared Gradinger die grüne Oase, die er auf dem asphaltierten Gelände der Weddinger Uferstudios angelegt hat. Wenn sich bei brütender Hitze die Prozession der „Flower Children“ auf den Weg macht, mutet das wie ein Revival der Flower-Power-Bewegung an. Die mit Laubkränzen geschmückten Kids singen nicht nur. Sie sollen den Erwachsenen auch eine Botschaft übermitteln: „Kinder und Pflanzen – beide sind klug!“

Das Festival „Tanz im August“ läuft noch, doch ergänzend hat nun die Tanzfabrik zur „Tanznacht Berlin“ eingeladen. Die hat zwar einen gewissen Graswurzel-Charme, doch die Künstler für den dreitägigen Marathon wurden ausgewählt. Die Kuratorin Silke Bake hat das Motto „Gefährten“ ausgegeben und beschwört damit gleich mal das Gefühl künstlerischer Komplizenschaft, dass die freie Szene so hochhält. Zudem will sie den Blick auf das Miteinander von Tanz und Sprache, von Performern und Zuschauern richten. Bei all den Verflechtungen und Entgrenzungen, die am ersten Abend propagiert wurden, geriet aber die Kunst aus den Augen.

Auffallend viele Tänzer ergreifen bei der „Tanznacht“ das Wort, aber nicht alle haben etwas zu sagen. So fühlte man sich oft wie in einer Quasselbude. In „Speaking about the ghost“ beschwört Alexandre Achour die Geister von künstlerischen Wegbereitern der partizipativen Performance. Sie lassen das Publikum in dem stickigen Studio lange im Dunkeln schmoren. Nacherzählt werden etwa Aktionen von Christoph Schlingensief oder Marina Abramovic, ohne dass die Namen der Künstler genannt werden. Mit ihren radikalen Aktionen stellten diese Vorreiter die Zuschauer vor die Frage, ob sie eingreifen sollen oder nicht. Die Performer hier versuchen zwar, etwas von der damaligen Erregung einzufangen, szenisch fällt ihnen aber nichts ein. So hat es etwas von Nachsitzen für all jene, die nicht „Performance Studies“ belegt haben.

Melodramatische Inspiration von Douglas Sirk

Hanna Hegenscheidt hat sich von Douglas Sirks Film „Imitation of Life“ zu ihrem Stück „Don't recognize me“ anregen lassen. Sie zerlegt das Melodram in winzige Partikel aus Text, Bewegung und Musik, um sie neu zu arrangieren und zu verfremden. Trotz der guten Performer wirkt die Aufführung doch etwas trocken.

Der Aufforderung „Say Something“ sind Antonia Baehr, Agata Siniarska, Jeremy Wade und Siegmar Zacharias nachgekommen. Die Auftritte sind weder politische Sprechakte noch durchchoreografierte Sprechpartituren. Zacharias bewegt erst mal eine Wange, um Spucke zu sammeln. Sie habe genug vom Runterschlucken, erklärt sie, was eine kritische Haltung suggerieren soll. Spucke als Gleitmittel für Wörter? Zacharias propagiert ein „fluides Wissen“ und imaginiert den Austausch von Körperflüssigkeiten. Auf „dirty talk“ versteht sich auch Jeremy Wade, der ebenfalls Körperfunktionen und Kapitalismuskritik kombiniert. Antonia Baehr hat sich vorgenommen, ohne Pause zu sprechen und sich dabei nicht vom Fleck zu rühren. Ihre Quasselstrippen-Nummer, die zwischen Sinn und Unsinn schwankt, hat Witz. In der Tat, es gibt sie bei der „Tanznacht“: Performer, die es gut mit den Zuschauern meinen. Es heißt, dass Juan Dominguez, ein intellektueller Plauderer, dem schwitzenden Publikum sogar Eis serviert, bevor er die Geschichte von seinen drei Nichten erzählt. Und doch treibt die Diskurswut seltsame Blüten. Viel Halbverdautes wird einem um die Ohren gehauen. Besonders die neue Geschwätzigkeit nervt, vor allem, wenn sie sich mit formalem Analphabetismus paart.

Uferstudios, Montag, 29.8. ab 16 Uhr

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