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Fallsüchtig. Szene aus Hofesh Shechters „Grand Finale“.

© Rahi Rezvani

Tanzkompagnie Hofesh Shechter: Letzte Runde

Der israelische Choreograf Hofesh Shechter und seine Tanzkompagnie rufen im Haus der Berliner Festspiele zum apokalyptischen „Grand Finale“.

Von Sandra Luzina

Seine Choreografien waren schon immer pessimistisch und düster. Aber Hofesh Shechters jüngste Produktion „Grand Finale“, die stärkste seit „Political Mother“, hat etwas geradezu Apokalyptisches. Nachdem sie im September in der Münchner Muffathalle zu sehen war, kommt sie nun ins Haus der Berliner Festspiele. Shechter, einer der aufregendsten Choreografen der Gegenwart, begann nach einem Studium an der Jerusalem Academy of Music and Dance als Tänzer bei der Batsheva Dance Company in Tel Aviv.

Zusätzlich studierte er Schlagzeug und Perkussion. Er komponiert die Musik zu seinen hochenergetischen Stücken immer selbst. Diesmal hat er zusätzlich sechs Live-Musiker engagiert, die immer wieder neu platziert werden: zwei Celli, Geige, Gitarre, Querflöte und Perkussion. Anfangs sind nur elegische Celloklänge zu hören. Aus der Dunkelheit schälen sich die Umrisse eines Mannes, der mit dem Gesicht zur Wand steht. Plötzlich sinkt er zu Boden – wie von einer Gewehrsalve niedergestreckt. Nach diesem bestürzenden Prolog stürmen neun Tänzer auf die Bühne und werfen sich in einen undurchsichtigen Kampf.

Immer wieder steigern sich ihre Aktionen zu einem kollektiven Aufruhr. Mal liefern sie sich einen kurzen Schlagabtausch, dann wieder tanzen sie sich hinein in eine fiebrige Erregung, stampfen, hüpfen, zucken, werfen die Arme hoch – und richten den Blick gen Himmel, als suchten sie nach Erlösung. Blitzschnell wechseln die Tänzer vom Angriffs- zum Verteidigungsmodus, von der Attacke zur Abwehr. Shechter wiegelt sie erst gegeneinander auf, bevor er sie wieder zu einer Gemeinschaft zusammenschweißt.

Frauen, so schlaff wie Puppen

Mal wirken die Bewegungen eruptiv und martialisch, dann wieder schlaksig und biegsam, weich und ausweichend. Die Tänzer versuchen, sich aneinander festzuhalten. In den synchron getanzten Gruppenszenen wirken sie wie eine ferngesteuerte Meute. Dann sprengt es das Kollektiv von Neuem auseinander. Vier Paare bilden sich, die Männer halten die Frauen in ihren Armen, wiegen sie wie kleine Kinder. Doch die Tänzerinnen bleiben schlaff wie Puppen. Die Männer schleifen sie über den Boden, verdrehen und verbiegen sie, spreizen ihnen die Beine zum Spagat. Heben sie hoch und lassen sie fallen. Immer wieder bleibt hier eine auf der Strecke. Doch nicht nur die Frauen werden hier zu Opfern.

Hofesh Shechter arbeitet in „Grand Finale“ mit Schnitten, abrupten Stimmungswechseln und taucht die Tänzer zwischendurch in schwefelgelbes Licht. Der Ausstatter Tom Scutt hat verschiebbare schwarze Raumteiler entworfen. Sie engen den Spielraum der Tänzer immer mehr ein, werden zu veränderlichen Grenzen, bilden einen Tunnel oder einen schmalen Spalt.

Lust am Untergang

Musikalisch wechseln sich druckvolle elektronische Sounds mit arabisch anmutenden Trommelklängen ab, bei Klezmerklängen gibt es für die Tänzer dann kein Halten mehr. Sie brechen in manische Folkloretänze aus. Die Musiker im Frack, die Tschaikowsky spielen, muten zuletzt wie das Salonorchester auf der „Titanic“ an. Der Untergang scheint unabwendbar, doch es wird weitergespielt bis zuletzt.

Shechter lässt dabei auch eine Lust am Untergang mitschwingen. Wenn schon alles den Bach runtergeht, wollen wir uns wenigsten amüsieren, scheint er zu sagen. Vor der Pause schweben Seifenblasen vom Himmel, und dann stimmt die Combo auch noch einen Walzer an: „Lippen schweigen“ aus Franz Léhars „Lustiger Witwe“. Doch von Operettenseligkeit ist hier nichts zu spüren, stattdessen schleudern die Männer ihre Partnerinnen im Kreis herum und schütteln sie rabiat. Das ausgelassene Treiben wirkt auf einmal beängstigend. Es gibt Momente der Zärtlichkeit und Hoffnung, doch dann wird den Tänzern wieder der Boden unter den Füßen entzogen. „Grand Finale“ reißt alle mit in einen kollektiven Taumel, der sich zum Delirium steigert. Shechter zeichnet das Porträt einer Gesellschaft, die weiß, dass sie auf eine Katastrophe zusteuert – und einfach so weitermacht wie bisher.

Haus der Berliner Festspiele, 5./6. 10., jeweils 19.30 Uhr.

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