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Die spanische Choreografin Salva Sanchis zeigt das Stück "Radical Light".

© Bart Grietens

Tanzfestival „Radikal": Neue belgische Welle

Das Festival „Radikal“ im Berliner Radialsystem präsentiert die junge Tanzszene aus Brüssel.

Von Sandra Luzina

Das Image von Berlin und Brüssel könnte nicht unterschiedlicher sein. Die deutsche Hauptstadt wird als aufregende Kulturmetropole wahrgenommen, die belgische Kapitale dagegen verbinden viele zuerst mit der überbordenden Bürokratie der EU. Was die beiden Städte gemeinsam haben: Wie Berlin ist auch Brüssel ein Mekka des zeitgenössischen Tanzes. Das Festival „Radikal“ im Radialsystem stellt nun Brüssels junge kosmopolitische Tanzszene vor. Präsentiert werden acht Choreografen, deren Mehrzahl bisher noch nicht in Berlin gastierte.

„Brüssel hat sich zu einem Labor für den zeitgenössischen Tanz entwickelt“, erklärt Minister Rachid Madrane, der unter anderem für die Promotion von Brüssel zuständig ist. Er hat schon verschiedene Initiativen gestartet, um die lokale Kunstszene international bekannt zu machen – so präsentierten sich 2016 in Paris etwa bildende Künstler. Für Berlin empfahl sich ein Tanzprogramm.

Bewegung statt Konzepttanz

Die Choreografen im Radialsystem sind fast alle Absolventen von P.A.R.T.S. (Performing Arts Research and Training Studios). Die private Schule wurde 1995 von der flämischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker zusammen mit dem Théâtre Royal de la Monnaie gegründet. Sie wollten eine Lücke füllen. Denn als Maurice Béjart 1987 von Brüssel nach Lausanne wechselte, machte er bald seine École Mudra dicht. „Es war eine seltsame Situation“, erinnert sich Theo van Rompay, der P.A.R.T.S. seit 1995 leitet.

„Der Tanz in Belgien hatte in den achtziger Jahren einen großen Schritt nach vorn gemacht, aber plötzlich gab es keine Schule mehr.“ P.A.R.T.S. avanciert rasch zur maßgeblichen Ausbildungsstätte, die Studenten aus aller Welt anzieht. Der Lehrplan umfasst neben Tanztechnik auch Musik und Theater. „Unser Programm ist sehr an der künstlerischen Praxis orientiert“, sagt van Rompay. Im Gegensatz zu Berlin, wo der Konzepttanz dominiert, steht hier die Bewegung im Vordergrund. „Wir konzentrieren uns auf das Tanzen“, so van Rompay, „und betrachten Choreografie als eine Methode, Zeit, Raum und Bewegung zu organisieren.“

Das Kaaitheater ist auch in Berlin präsent

45 Studenten absolvieren derzeit ihre Ausbildung hier, ausgewählt aus mehr als 1200 Bewerbern. Zusätzlich zum dreijährigen Studiengang „Performing Arts Training“ gibt es die „Research Studios“: Zwölf Studierende können sich zwei Semester lang ganz auf ihre künstlerische Forschung konzentrieren. Ein Unterschied zwischen den Studenten wird nicht gemacht, ob sie nun Tänzer oder Choreograf werden. „Warum sollte das, was für einen Choreografen wichtig ist, nicht auch für einen Tänzer wichtig sein – und vice versa?“ Von Rompays Leitbild ist der denkende Tänzer, was auch der Philosophie von De Keersmaeker entspricht.

Guy Gypens, der künstlerische Leiter des Brüsseler Kaaitheaters, ist ein guter Kenner der Berliner Theater- und Tanzszene. Er verfolgt die Kontroverse um den neuen Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon. Er sei fast ein wenig neidisch, dass in Berlin so heftig über Theater gestritten wird, meint er lachend. Das Kaaitheater spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung der lokalen Szene, geprägt wurde es von der Künstlergeneration der 80er Jahre. De Keersmaeker, Wim Vandekeybus, Jan Fabre, die alle zur „flämischen Welle“ gehören, machten international von sich reden. „Die Idee, dass wir mit Künstlern längerfristig zusammenarbeiten, hat sich nie geändert,“ so Guypens. Von den sechs Artists in Residence, die in nächster Zeit vom Kaaitheater unterstützt werden, sind vier Choreografen. Meg Stuart und Mette Ingvartsen, die in Berlin sehr präsent sind, haben im Kaaitheater immer noch Büros.

Die Jüngeren drängen nach

Gypens sieht Parallelen zwischen Brüssel und Berlin. Beide seien offene, liberale Städte, die Künstler aus aller Welt anziehen – gemeinsam konkurrieren sie um die Fördergelder. „Wir kreieren unseren eigenen Stau“, seufzt er. Ältere Künstler sind noch produktiv, zugleich drängen die Jüngeren nach. „Der Druck ist stark gestiegen. Wir haben das erste Mal seit 40 Jahren einen Generationskonflikt.“

Dass die Lage der freien Choreografen prekär ist, bestätigt Louise Vanneste, die in Berlin das Frauenquartett „Gone in a Heartbeat“ zeigt. „Es geht mir vor allem darum, radikal gegenüber mir selbst zu sein“, kommentiert sie den Titel. Ihr gefällt, dass Choreografen hier auftreten, die von der flämischen und der frankophonen Seite gefördert werden. Die Brüsseler Künstler suchen den Austausch mit Berlin – und präsentieren sich in ungewohnter Einigkeit. Sandra Luzina

Fr 3.11. ab 19 Uhr, Sa 4.11. ab 16 Uhr Infos: www.radialsystem.de

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