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Die Akram Khan Company performt "Outwitting the Devil" in Stuttgart.

© Jean-Louis Fernandez

Tanzfestival: Gefallene Götzen

Die Uraufführung von Akram Khans Tanzstück „Outwitting the Devil“ überzeugte beim Tanzfestival „Colours“ in Stuttgart.

Von Sandra Luzina

Das internationale Tanzfestival „Colours“ in Stuttgart hatte gerade begonnen, da ging Eric Gauthier, der Festivalbegründer und Leiter der Tanzkompanie Gauthier Dance, erst mal demonstrieren. Zusammen mit 40 Ballettdirektoren aus ganz Deutschland, die nach Stuttgart gekommen waren, um über kulturpolitische Fragen zu beraten, schloss er sich den Protesten gegen die AdD an. Die Oppositionspartei wollte in einer kleinen Anfrage an die Landesregierung wissen, welche Nationalität die Balletttänzer und Orchestermusiker an den staatlichen Theatern Baden-Württembergs haben. Eine gezielte Provokation, die große Teile der Stuttgarter Kulturszene empörte.

Farbe bekennen – das gelingt Eric Gauthier auf andere Weise auch mit „Colours“. Das Festival präsentierte in seiner dritten Ausgabe wieder die Vielfalt des Tanzes: 20 Produktionen aus aller Welt wurden eingeladen, darunter viel Hochkarätiges. Zum Finale konnte das Festival sogar mit der Uraufführung „Outwitting the Devil“ von Akram Khan, einem Star der internationalen Tanzszene, aufwarten. Die Produktion läuft momentan beim Theaterfestival in Avignon.

Khan vertieft sich in alte Mythen

Der britisch-bengalische Choreograf wird als großer Erneuerer gefeiert. Einen Namen hat er sich damit gemacht, dass er den traditionellen indischen Kathak mit zeitgenössischen Tanzformen verbindet. Khan hat sich immer schon in die alten Mythen vertieft, die er aus heutiger Sicht interpretiert. Zu „Outwitting the Devil“ hat ihn das babylonische Gilgamesch-Epos, eine der ältesten überlieferten Dichtungen, inspiriert. 2011 wurde ein bislang unbekanntes Fragment dieses 4000 Jahre alten Werks entdeckt und aus der Keilschrift übersetzt. Es sind Zeilen aus dem fünften Kapitel, in dem erzählt wird, wie Gilgamesch und sein Freund Enkidu den Hüter des Zedernwalds, töten und die Bäume fällen. Der Fund wirft ein neues Licht auf die beiden Hauptfiguren: Gilgamesch und Enkidu erkennen schließlich, dass sie einen Frevel  begannen haben. Khan liest diese Episode als düstere Prophezeiung. Mit „Outwitting the Devil“ erzählt er ein Gleichnis für die Zeiten von Klimawandel und Artensterben – und prangert die Hybris des Menschen an, der sich zum Herrscher über die Natur aufschwingt. Die gespenstische Szenerie hat etwas Postapokalyptisches. 

Kraftprotz und alter Mann - die doppelte Hauptfigur

Sechs Tänzer irrlichtern durch ein  Trümmerfeld aus zerbrochenen Steintafeln und und wirken wie gelähmt vor Schreck. Khan wählt einen Kunstgriff: Er verdoppelt die Hauptfigur: Dominique Petit ist der gealterte Gilgamesch, ein vor Reue gebeugter Mann, den die  Erinnerungen an seine unheilvollen Taten verfolgen. Sam Pratt verkörpert breitbeinig den jungen Kraftprotz, der wie die Axt im Wald agiert. Auch um das Erinnern selbst geht es, um das kollektive Gedächtnis, denn wir sind im Begriff, das in den alten Mythen verborgene Wissen zu vergessen. So sieht es jedenfalls Akram Kahn, der seine Tänzer als Götter, Menschen und Tiere auftreten lässt.

Die Musik von Vincenzo Lamagna, die mal illustrativ, mal bombastisch ist, droht den Tanz bisweilen zu erschlagen. Doch die tänzerischen Aktionen in ihrer sinnlichen Schönheit und Ausdruckskraft ziehen den Zuschauer immer wieder in den Bann. Auf geniale Weise verschmilzt Khan asiatische Bewegungsphilosophien mit zeitgenössischen Idiomen.

Ching-Ying Chien wird zur Rachefurie

Ein wichtiges Element ist der Bharatanatyam. Die Amerikanerin Mytilli Prakash gilt als eine der besten Interpretinnen dieses klassischen indischen Tanzstils. In ihrem leuchtend orangefarbenen Kostüm stellt sich dem Berserker Gilgamesch gebieterisch entgegen, doch auch sie kann ihn nicht stoppen. Die zarte Ching-Ying Chien, die schon in der Vorgänger-Produktion „Until the Lions“ mitwirkte, wird zur Rachefurie. Andrew Pan mit seinen meditativen Bewegungen hat anfangs eher etwas von einem Mönch, ehe er zum Krieger und Gehilfen von Gilgamesch wird. Der geschmeidige James Vu Anh Pham vergegenwärtigt mit animalischen Bewegungen die Kreaturen des Waldes. Der Wächter des Waldes wird schließlich von den beiden Öko-Vandalen getötet – was auf äußerst  beklemmende Weise dargestellt wird.

Eine aufrüttelnde Öko-Fabel

Akram Khan hat wieder ein fantastisches multinationales Ensemble zusammengestellt. Den Tänzern, die in ganz unterschiedlichen Stilen zu Hause sind, gelingt es, dem Mythos, der einen frühen Sündenfall schildert, neues dramatisches Leben einzuhauchen. Zum Ende hin werden die Aktionen immer wütender. Gilgamesch hat diesen unbändigen Zorn heraufbeschworen. Er, der einst von der Unsterblichkeit träumte, legt sich nun zum Sterben auf einen steinernen Sarkophag. „Outwitting the Devil“ ist eine aufrüttelnde Öko-Fabel, die den Zuschauern die desaströsen Folgen ihres Tun vor Augen führt.

Mit seinem intelligenten Mythen-Remix ist Khan eine der wichtigsten Stimmen der internationalen Tanzszene. In Berlin waren seine Arbeiten seit sieben Jahren nicht zu sehen. Die Stuttgarter konnten sich nun gleich doppelt an Akram Kahn erfreuen. Das Stuttgarter Ballett hat gerade mit „Kaash“ eines seiner schönsten Stücke übernommen. (Die Berichterstattung wurde vom Festival unterstützt.)

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