zum Hauptinhalt
Barockmusik für großes Tanzensemble. Die belgische Compagnie Rosas wird vom Orchester B’Rock begleitet.

© Anne Van Aerschot

Tanz an der Volksbühne: Bach auf den Fersen

Saisonstart an der Volksbühne mit der Uraufführung von Anne Teresa De Keersmaekers „Brandenburgischen Konzerten“.

Von Sandra Luzina

Alle sechs! Die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker hat sich an Bachs „Brandenburgische Konzerte“ gewagt. Für alle sechs dieser populären Concerti grossi hat sie Choreografien entworfen – ein kühnes Unterfangen. Der Volksbühne beschert die flämische Tanzikone mit der Uraufführung „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“ einen glanzvollen Start in die neue Saison. Eingefädelt hat dies noch der umstrittene Ex-Intendant Chris Dercon, der demonstrativ gutgelaunt durchs Foyer spaziert. Auch der flämische Ministerpräsident ist angereist, die ganze flämische Kunstszene scheint an diesem Abend in Berlin versammelt zu sein.

Bach hält die Choreografin schon lange die Treue. Als sie während eines New- York-Aufenthalts in den 80er Jahren ihr Solo „Violin Phase“ zur Musik von Steve Reich probte, lief in ihrem Studio neben der Musik von Reich auch eine Aufnahme der „Brandenburgischen Konzerte“. 35 Jahre später knüpft sie daran an. Zuletzt hat sie mit „Mitten wir im Leben sind / Bach 6 Cellosuiten“ im HAU 1 eine Bach- Choreografie für fünf Tänzer gezeigt.

Nun erfüllt sich De Keersmaeker den Wunsch, einmal für ein größeres Ensemble zu choreografieren. In „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“ stehen 16 Tänzerinnen und Tänzer ihrer Compagnie Rosas auf der Bühne. Begleitet werden sie von den Musikern des Genter Barockensembles B’Rock, das von der Geigerin Amandine Beyer geleitet wird. Die Bühne ist ein weißes, in warmes Licht getauchtes Halbrund. Die Tänzer, die elegante schwarze Kostüme mit transparenten Oberteilen tragen, muten wie eine Festgesellschaft an. Anfangs stellen sie sich in einer Reihe auf und schreiten beschwingt von hinten bis an die Rampe, um wieder umzukehren. Die Choreografin greift auf ihr Prinzip „Mein Gehen ist mein Tanzen“ zurück, wobei Bachs Musik die Tänzer euphorisiert.

Die Choreografin ordnet den Tänzern Solo-Instrumente zu

Sie spielen mit dem Rhythmus, verzögern und beschleunigen ihre Schritte, teilen sich in Grüppchen auf. Sehr lange variiert De Keersmaeker diese einfachen Schrittfolgen, mit der Zeit erhält der Tanz den Charakter von monotonen Exerzitien. Der einzige, der aus den Mustern ausbricht, ist der Hund, den einer der Männer an der Leine führt. Das Tier zieht es hin zu den Frauen – ein Überläufer. Die Choreografin mag hier an eine Jagdszene gedacht haben. Später sieht man eine kurze Anspielung an höfische Tänze. Doch meistens verwendet De Keersmaeker abstraktes Bewegungungssmaterial, das immer neu auslegt wird.

Bach hat die Konzerte für die Barockzeit oft ungewöhnlich instrumentiert. Auch die Choreografin spielt verschiedene Konstellationen durch, manchmal ordnet sie die Tänzer den Solo-Instrumenten zu. Oder sie stellt der Gruppe eine Solo-Tänzerin gegenüber. Die zarte Sue Yeon Youn streckt den Arm gen Himmel, als wolle sie über sich hinauswachsen – eine emblematische Geste, die oft wiederholt wird.

An mancher Stelle - eine Feier der männlichen Energie

De Keersmaeker betont den Kontrast von hoch und tief, leicht und schwer, um die Dualität des Menschen zu veranschaulichen. Sie will dem Tanz bei aller physischen Vehemenz auch eine spirituelle Dimension verleihen. Was nicht immer gelingt. Wenn beim dritten Konzert elf Männer auftreten, ist das vor allem eine Feier männlicher Energie. Die schnellen Läufe wirken bisweilen chaotisch wie Schulhof-Getümmel und münden doch wieder in geordnete Bahnen. Bei den Jungen fallen besonders der luftige Jason Respilieux und der ausgelassene Frank Gizycki auf.

Emotional eingefärbt wird der Tanz vor allem in den langsamen Sätzen, wenn die Körper zu Boden sinken, sich abstützen. Dann wieder werden die Frauen von den Männer hochgehoben und getragen. Es sind kurze Momente der Innigkeit. Doch bald schrauben die Tänzer sich wieder in die bekannten Kurven- und Spiral-Muster, setzen zu übermütigen Sprüngen an, gehen in den Handstand. Bach zu tanzen, ist auch eine sportliche Herausforderung. Das 20-köpfige Orchester spielt mitreißend auf und passt die Tempi doch immer den Tänzern an.

Eine neue Stufe der Auseinandersetzung mit Bach

Der Abend lebt von den energetischen Wechseln, doch die unterschiedlichen Stimmungen von Bachs Kompositionen vermag der Tanz nicht einzufangen. Stilistisch bewegt sich De Keersmaeker auf vertrautem Terrain. Dennoch hat sie mit den „Brandenburgischen Konzerten“ eine neue Stufe in ihrer Auseinandersetzung mit Bach erreicht. Wie sie die polyphone Meisterschaft des Komponisten durch den Tanz sichtbar macht, ist fantastisch. Stürmischer Applaus für die Tänzer und Musiker.

wieder heute, 14., und 15.9., 20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false