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Caspar David Friedrichs „Watzmann“ wurde restitutiert, bleibt aber nach Ankauf in der Alten Nationalgalerie.

© bpk / Nationalgalerie, SMB/DeKaBank

Tagung zu NS-Raubkunst: Es bleibt viel zu tun bei der Restitution

Moral und Verjährung: Vor 20 Jahren wurden die Washingtoner Prinzipien verabschiedet. Eine Berliner Tagung hat jetzt Bilanz gezogen.

Achthundert Menschen, drei Tage lang Vorträge, Workshops, Gespräche – und doch gibt es immer den Moment, an dem sich alles magisch auf einen Punkt zusammenzieht, sich womöglich die Sicht umkehrt. Der britische Schriftsteller und Keramikkünstler Edmund de Waal stellte bei der internationalen Konferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt diesen besonderen Augenblick her, indem er davon berichtete, wie er die eine Hälfte der legendären Netsukesammlung aus dem Besitz seiner Familie, der vor den Nationalsozialisten gerettet werden konnte, kürzlich zugunsten der Flüchtlingshilfe in London verkaufte und die andere dem Jüdischen Museum in Wien als Dauerleihgabe überließ.

Für ihn ist Wien heute „ein Ort des Verlustes, weil er Familien verlor“. Durch seine Leihgabe der kleinen, in Japan geschnitzten Figuren kehrt ein Teil der jüdischen Ringstraßenfamilie Ephrussi zurück, von deren Zerstreuung auch sein berührendes Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ handelt. „Nicht mir, sondern umgekehrt Wien wird etwas restituiert“, erklärte de Waal dem verblüfften Publikum. Ähnlich will er es mit den Büchern aus der Bibliothek seines Urgroßvaters halten, die jüngst in Wien wiederaufgetaucht sind, und sie in Form einer Installation im Ghetto von Venedig ebenfalls zum Sprechen bringen. „Wir sind am Vorabend des Abschieds angekommen“, so de Waal bezugnehmend auf seinen 90jährigen Vater, der als Kind aus Österreich floh und als Letzter noch von früher erzählen kann. „Es ist schon sehr spät.“

Wie spät und wie viel zu tun bleibt, um die Geschichten der verfolgten Familien zu hören, vor allem ihnen durch Rückgabe geraubter Kunst eine gewisse Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, darum ging es auch bei der internationalen Konferenz zum Jubiläum der Washingtoner Konferenz. Eingeladen hatte das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste als offizielle Anlaufstelle des Bundes. „Wege in die Zukunft“ war die Konferenz überschrieben und doch vielmehr der Rückschau gewidmet: den Erfolgen vor allem der Bundesrepublik, wo das Auftauchen der Gurlitt-Sammlung den Behörden Beine gemacht hat, aber auch den Versäumnissen seit Unterzeichnung der „Washingtoner Prinzipien“ vor 20 Jahren als freiwilliges Regelwerk für 44 Staaten.

Viel zu späte Entschädigungen

Eigentlich müsste man erschrecken, wie wenig dieses Manual, das damals ein Durchbruch war, bisher Anwendung gefunden hat. Kulturstaatsministerin Monika Grütters kündigte deshalb an, dass sie fortan beherzt Bundesmittel kürzen werde, sollte ein dem Bund unterstehendes Museum den Empfehlungen zur Restitution nicht Folge leisten. „Ja, es kann auch Sanktionen geben“, erklärte sie streng und musste doch ihre Machtlosigkeit gegenüber den Museen auf Länder- und kommunaler Ebene eingestehen. Warum dann nicht NS-Raubkunst in die Zuständigkeit des Bundes heben?, schlug deshalb Rüdiger Mahlo vor, Vertreter der Conference on Jewish Material Claims Against Germany.

Selbstkritisch gestand auch die französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes ein, dass in ihrem Land viel zu spät die Entschädigungen in die Wege geleitet wurden, beginnend erst 1995 mit dem Schuldbekenntnis von Jacques Chirac, der nun erst eine systematische Recherche in den Museen folgt. Noch immer fehlen Listen. Anlass zur Hoffnung gibt immerhin die neu eingerichtete Dienststelle im Pariser Kulturministerium, hier macht der französische Staatspräsident Emmanuel Macron offensichtlich Dampf wie bei der Raubkunst aus kolonialem Kontext. Nur kurz streifte Descôtes den spektakulären Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, der die bedingungslose Rückgabe von 90 000 afrikanischen Kulturobjekten aus empfiehlt und damit Frankreich in ein neues Zeitalter der Restitution katapultiert. Ja, es könnte da einen Transfer von Knowhow geben, äußerte sich dazu die Diplomatin vage, aber die Themen seien voneinander zu trennen.

"Gerecht und fair" müsste für alle Geschädigten gelten

Caspar David Friedrichs „Watzmann“ wurde restitutiert, bleibt aber nach Ankauf in der Alten Nationalgalerie.
Caspar David Friedrichs „Watzmann“ wurde restitutiert, bleibt aber nach Ankauf in der Alten Nationalgalerie.

© bpk / Nationalgalerie, SMB/DeKaBank

Was für eine Enttäuschung! Auch sonst blieb auf der Tagung der Bericht unkommentiert, sogar von Savoy selbst als Gastrednerin, obwohl „gerecht und fair“, die berühmteste Formulierung der Prinzipien, doch für alle Geschädigten gelten müsste. Aus Rücksicht gegenüber den Nachfahren der NS-Verfolgten im Saal blieb das Thema erstaunlich unberührt. Die aus dem Publikum geforderten „Washingtoner Prinzipien 2.0“ fanden keinen Widerhall auf dem Podium.

Ähnlich vehement machte die polnische Kunsthistorikerin Nawojka Cieslinska-Lobkowicz aus dem Saal heraus auf eine andere Leerstelle der Tagung aufmerksam: Was ist mit den osteuropäischen Ländern? In Polen, Russland, Ungarn zeigen die Museen ohne Gewissensbisse jüdischen Familien geraubte Kunst, teilweise sogar als von den Nationalsozialisten erbeutete Trophäen. Cieslinska-Lobkowicz bat eindringlich darum, nicht nur gen Westen zu schauen.

Und noch jemand fehlte auf dem Podium: ein Vertreter des Kunsthandels. Die von Kulturstaatsministerin Grütters und Stuart Eizenstat als Berater des US-Außenministeriums für Angelegenheiten der Zeit des Holocaust am Rande der Tagung unterzeichnete gemeinsame Erklärung fordert zwar ausdrücklich Auktionshäuser und private Kunsthändler auf, sich ebenfalls den Washingtoner Prinzipien zu unterwerfen und NS-Raubkunst als Ware abzulehnen, ihre Position in Sachen Restitution blieb jedoch merkwürdig unterbelichtet bei einem so großen Treffen aller Player.

Hermann Parzinger tastet sich vorsichtig heran

Mögen Christie’s und Sotheby’s auch mit gutem Beispiel vorangehen und leistet das Münchner Auktionshaus Neumeister eine vorbildliche Aufarbeitung seiner Geschichte während der NS-Zeit, so fehlte es doch an einem Ehrenkodex für den Handel, ähnlich wie er den Museen mit den „Principles“ auferlegt ist. Müssen also andere Gesetze her? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, tastete sich vorsichtig heran. „Wir investieren Geld, um an Informationen zu kommen, die im Handel schon vorhanden sind,“ beschrieb er den Frust der Museen und forderte eine Öffnung der Archive. Unverändert wahren die Auktionshäuser Stillschweigen über Einlieferer und Käufer. Deutlicher wurde er für das Procedere bei Restitutionen. Bislang hat die Limbach-Kommission bei Streitigkeiten zwischen Museen und Anspruchstellern nur Empfehlungen ausgesprochen. Gerichte aber hätten einen anderen Status, ihr Wort sei verbindlich, so Parzinger. Über eine veränderte Gesetzgebung hätte nicht nur der einstige Gurlitt-Anwalt Hannes Hartung gerne mehr gehört. Er mahnte aus dem Publikum heraus die Aufhebung der Verjährungsfrist für Privatbesitzer an, die in Bayern vom Justizministerium zwar angeregt, vom Finanzministerium aber abgeschmettert worden sei. Restitution bleibt jenseits der öffentlichen Hand ein Akt des guten Willens, eine Frage der Moral. Oder eine „Black Box“, wie es Rüdiger Mahlo nannte.

Wie kompliziert die Gemengelage für die Erben ist, machte Tony Baumgartner, Vorstand des Spoliation Advisory Panel in Großbritannien deutlich, indem er auf die voneinander abweichenden Regelungen in den verschiedenen Ländern verwies. „Wir müssen das Verfahren auf europäischer Ebene vereinheitlichen“, schlug er vor, schließlich sei es reiner Zufall, wohin die geraubte Kunst gelangte. „International Advisory board“, „die „Unesco“ schallte es als Vorschlag aus dem Publikum zurück. „Hinter jedem entzogenen Kunstwerk steht das Schicksal der Opfer“, hatte Monika Grütters noch in ihrer Rede gesagt. Auch das zeigte die Konferenz: dass sich die Kämpfer für die Sache manchmal selbst daran erinnern müssen. Durch einen wie Edmund de Waal.

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