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Selbstvergewisserung. Khalifas Roman „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“ musste im Libanon erscheinen.

© Rolf Brockschmidt

Syrischer Autor Khaled Khalifa: Von Hasenfüßen und kranken Herzen

Alle Mächte spielen bei uns in Syrien ihr Spiel, sagt Khaled Khalifa. Eine Begegnung mit dem in Damaskus lebenden Erzähler.

Was für eine ernüchternde Geschichte. Der syrische Dichter und Drehbuchautor Khaled Khalifa erzählt in seinem Roman „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“, wie Bulbul und seine Geschwister Fatima und Hussain den Wunsch ihres Vaters Abdellatif erfüllen wollen, ihn in seinem Heimatdorf nördlich von Aleppo neben seiner Lieblingsschwester Laila zu begraben. Das Versprechen, das der hasenfüßige Bulbul dem Sterbenden gegeben hat, so stellt sich schnell heraus, ist kühn. Im Land tobt der Bürgerkrieg.

„Der Tod war kein Karneval mehr, um Status zu markieren“, heißt es im Roman. „Ein paar Blumen, ein paar Trauergäste, die zwei Stunden lang in einem fast leeren Raum gähnen, ein Koranrezitator, der mit gedämpfter Stimme ein paar Suren aus dem Heiligen Buch spricht. Und das war’s dann. … Zum ersten Mal sind im Tod alle gleich. Die Rituale bedeuten nichts mehr … Der Tod … ist eher eine Erlösung, die den Neid der Lebenden weckt.“

Khalifa, 1964 in Aleppo geboren, hat seinen Roman 2016 im libanesischen Beirut veröffentlicht, in Syrien darf er nicht erscheinen. Der Plot hat unmittelbaren Bezug zu seinem Leben. Als er nach einem Herzinfarkt in Damaskus im Krankenhaus lag, fragte er sich: Was werden sie mit dir eines Tages tun? Was geschieht, wenn du tot bist? Wirst du in deiner Heimatstadt begraben?

Khalifa schloss sich 2011 dem Aufstand gegen das Regime an

„Ich wollte schon vor zehn Jahren über einen Charakter wie Bulbul schreiben“, sagt er bei einem Treffen im Berliner Hotel Savoy. „Bulbul ist ein bisschen wie Syrien. Bulbul fürchtet sich vor allem, Bulbul hat Angst vor dem Leben, vor der Zukunft, vor der Liebe.“ Dieser Bulbul ist ein tragischer Held. Bruder Hussain baut seinen Taxi-Service-Minibus zur Ambulanz um, um den Leichnam zu transportieren. Aber zunächst muss die Leiche aus der Pathologie abgeholt werden: „Hunderte von Toten lagen vergessen und verloren in diesem Chaos herum … Soldaten in voller Kriegsmontur saßen herum, sie rochen nach Kampf. Ihre verwundeten oder gefallenen Kameraden hierherzubegleiten, gab ihnen Gelegenheit zu fliehen oder die Rückkehr in den Kampf zu verzögern, wo sie der Tod erwartete.“ Khalifa schildert die Anarchie in einem Land, in dem das Regime umso härter zuschlägt, je mehr es sich auflöst. Immer wieder kommt das Trio an Checkpoints, wird kontrolliert, muss Passiergeld bezahlen, um mit dem toten Vater weiterfahren zu dürfen – eine fast rührende Aktion inmitten des Chaos. Die Ersparnisse schmelzen dahin wie das Eis, mit dem der tote Abdellatif gekühlt wird.

Nach einer lethargischen Zeit als Lehrer schloss er sich 2011 dem Aufstand gegen das Regime an. Bulbul hingegen wägt ab, will nicht anecken, arrangiert sich zur Not auch mit dem Regime. „In den 50er und 60er Jahren hatten die Syrer, so wie Abdellatif, noch Träume vom besseren Leben“, sagt Khalifa. „Seine Generation träumte von Demokratie und Bildung nach der französischen Besatzungszeit 1946, sie hingen der Idee des arabischen Nationalismus an, doch der Traum zerbrach, es kam die Diktatur.“ Sein Vater und dessen Kollegen hätten auch so geredet. „Aber was kam? Nichts. Sie hatten keine Antwort. Auch nicht in Algerien, Ägypten und dem Irak.“ Und so wurden die Bulbuls in Syrien immer mehr.

Die Geschwister im Roman begeben sich auf eine bürokratische Odyssee. Denn für den Staat ist der Mensch „ein Packen Dokumente und Unterlagen, kein Wesen aus Leib und Seele“, wie ein Soldat erklärt. Khalifa schildert die kriegerische Situation links und rechts der Straßen, er beschreibt den abenteuerlichen Umweg, den sie nehmen müssen, weil die Autobahn zwischen Damaskus und Aleppo seit Jahren gesperrt ist. Aber er erzählt auch das Leben der drei Geschwister, die vor dem Tod des Vaters keinen Kontakt mehr miteinander hatten.

„Die Revolution ist kein syrisches Projekt mehr“

„Wir müssen auf unsere syrische Geschichte und Kultur achten“, sagt Khalifa. Er erinnert an das Aramäische, das vor den Arabern in Syrien dominant war, die Sprache von Jesus, die heute noch eine Minderheit spricht. „Die islamische Welt und die der Baath-Partei bringen keine Lösung und der Krieg auch nicht“, sagt er. „Wir haben viele Identitäten, und wir sind ein sehr reiches Land. Die Revolution war ein syrisches Projekt für mehr Demokratie, aber jetzt ist sie kein syrisches Projekt mehr.“ Er fragt sich: „Wo kommt der radikale Islam her? Wer zahlt? Alle Mächte spielen bei uns ihr Spiel, aber wer sind wir? Wir sind für eine syrische Demokratie auf die Straße gegangen, doch das Regime hat eine klare Botschaft: Es gibt keinen Weg zur Demokratie, nur Tod und Gefängnis.“

Das zeigt sich am System der Checkpoints überall im Land, auch in Damaskus. Manchmal braucht er nun zwei Stunden für einen Weg von zehn Minuten. Er wisse nie, was ihn erwarte. Mitunter spielen sich skurrile Szenen ab. So müssen sich die Geschwister bei den Islamisten im Norden vor der Weiterfahrt einer religiösen Prüfung unterziehen.

Hat er keine Angst, so offen von den Absurditäten in seinem Land zu schreiben und zu sprechen? „Meine Probleme sind eher klein. Ein Freund, der geredet hat, saß 15 Jahre im Gefängnis, ich zahle meinen Preis“, winkt er ab. „Aber wir haben Fragen an die Welt: Warum habt ihr das zugelassen?“ In der Vergangenheit hätten westliche Regierungen gerne Geschäfte gemacht, aber es waren immer Geschäfte mit mächtigen Clans und Familien. Davon erzählt auch der Roman, wo oft die Herkunft und die Familie über das eigene Wohl und Wehe entscheiden.

Momentan sammelt der Autor Stoff für einen historischen Roman

Wie die Zukunft aussieht, weiß Khalifa so wenig wie die Helden seines Romans. Immerhin gibt es darin auch Menschen, die Binnenflüchtlingen selbstlos helfen. Für Khalifa ist die Literatur jedenfalls lebenswichtig: „Wenn ich an einem Buch arbeite, bin ich glücklich. Wir haben Kontakt miteinander, ich verbessere es, schaue mir wieder und wieder die Sprache an. Seit 25 Jahren schreibe ich außer freitags sechs Stunden am Tag“, sagt er und muss lachen: „Nach der Veröffentlichung eines Buches fühle ich mich erst einmal leer.“

Momentan sammelt er Stoff für einen historischen Roman über eine Familie aus Aleppo, der im 19. Jahrhundert spielt und sich über drei Generationen hinweg entfaltet. Eine Selbstvergewisserung seiner geliebten Stadt, die so reich an Kultur ist. „Jedes Haus dort hat eine Geschichte und erinnert mich an meine Kindheit“, sagt er. Und so sammelt er Bücher und Geschichten über Aleppo und hat immer noch nicht genug.

Khalifa hängt am syrischen Kulturerbe und bedauert seine Zerstörung und den Raub. Und daher hat er eine radikale Einstellung zur Archäologie: „Wir können nicht noch mehr ausgraben, denn wir können diese wertvollen Funde nicht sichern. Schon vor dem Krieg wurden Antiquitäten ins Ausland verkauft Vielleicht müssen wir abwarten, bis wir ein demokratischer Staat sind. Vielleicht können wir dann besser auf unser Kulturerbe aufpassen. Wir brauchen für unsere Zukunft weniger Geld, sondern politischen Willen.“ Man kann nur hoffen, dass die Bulbuls nicht obsiegen.

Khaled Khalifa: Der Tod ist ein mühseliges Geschäft. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Rowohlt, Reinbek 2018. 220 Seiten, 20 €.

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