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Die Sängerin Lena Chamamyan, geboren 1980 in Damaskus.

© Arowa Al Shibane/Promo

Syrische Sängerin Lena Chamamyan: Schmerz des Exils

Lieder über Exil und Flucht: Die syrisch-armenische Sängerin Lena Chamamyan tritt zum ersten Mal in Berlin auf.

Wenn Lena Chamamyan sich auf ein Konzert vorbereitet, macht sie spezielle Stimmübungen, bespricht sich ausführlich mit ihrer Band – und achtet darauf, was sie isst. Die Stimme ist ein empfindliches Instrument. Und: Lena Chamamyan hat etwas zu sagen, sie möchte von ihren Zuhörern verstanden werden.

Die syrisch-armenische Sängerin, die am kommenden Freitag zum ersten Mal in Berlin gastiert, bewegt sich mit ihren Songs zwischen Folk und Jazz. 1980 in Damaskus geboren, studierte sie dort zunächst klassische Musik und wurde bald ein Star. Sie trat in Syrien, in anderen arabischen und europäischen Ländern auf. Ihre Musik lebte von einem Erbe, das arabischen und armenischen Gesang mischt – und weitere Liedtraditionen: Chamamyan singt in fünf Sprachen.

Seit sie wegen des Krieges nicht mehr in ihrer Heimat auftreten kann, versucht sie, etwas von dieser Heimat in ihre Konzerte hinüberzuretten: die Lieder, die Tänze, die Zeit vor dem Terror. Traditionelles, Jazz, Östliches, Westliches, eine utopische Mischung. „Wenn alles um dich herum in Dunkelheit versinkt, suchst du nach einem Licht“, sagt Chamamyan, die seit 2012 in Paris lebt und ihre Karriere fortsetzen konnte. Wenn sie in Dresden, Hamburg oder Köln singt, sitzen auch Menschen aus Syrien im Publikum.

Sich mit der Realität versöhnen

Die Erfahrung des Exils ist für sie nicht neu. Als Syrerin armenischen Ursprungs weiß Lena Chamamyan, was es bedeutet, von vorn zu beginnen, in einem neuen Land, einer neuen Kultur, einer neuen Sprache. Da ist die Härte des Exils, da ist der Schmerz, aber auch die Nostalgie. „Ghazel Al-Banat“, der Titel ihres ersten im Exil entstandenen Albums von 2013, bedeutet „Zuckerwatte“. Es handelt von dem langen Weg, den sie zurückgelegt hat, von ihrer Erfahrung als Frau, der Erfahrung vieler Frauen. „Dieses Land gibt mir die Unabhängigkeit und die Kraft, meine Stimme als Frau zu erheben, ohne vor jemandem Angst zu haben“, erzählt sie im Telefongespräch von ihrem Leben in Frankreich.

„Ghazel Al-Banat“ ist weniger als ihre zwei früheren Alben vom Jazz geprägt als von orientalischen Einflüssen – Lena Chamamyan komponiert ihre Songs selbst. Viele Künstler im Exil kehren zur Vergangenheit zurück, zum Erbe. Ihr jüngstes, gemeinsam mit dem türkischen Komponisten Göksel Baktagir entstandenes Album „Lunan“ („Zwei Farben“) ist wiederum orientalisch-türkisch gefärbt. Es wurde 2016 in Istanbul produziert, es geht darin um „die Menschen, die das Meer überquerten, um diejenigen, die starben, und diejenigen, die ankamen“, sagt die Sängerin. „Es geht um die Idee, die Realität zu akzeptieren, sich mit ihr zu versöhnen. Um die Vorstellung, dass das Leben weitergeht.“ Ein Kraftakt.

Dialog mit Europäern finden

In ihren Liedern reflektiert Lena Chamamyan auch jene persönlichen Erfahrungen, bei denen ihre doppelte Identität als Syrerin und Armenierin, ihre Hautfarbe und ihre Religion eine Rolle spielen. „Das sind drei Dinge, die wir nicht wählen, für die wir nicht verantwortlich sind.“ Und doch werden gerade Menschen aus arabischen Ländern ständig dafür zur Rechenschaft gezogen, bei der Passkontrolle, am Arbeitsplatz, im Alltag. In ihrem Song „Ich bin Syrerin“ erzählt sie, wie sie am Flughafen in Tunis wegen ihres syrischen Passes aus der Maschine geholt wurde und sich rassistischen Übergriffen ausgesetzt sah. Sie schrieb das Lied in nur zwei Tagen, ein Lied über die Wut, die Wut auf die Politik, die Medien und den Flughafenangestellten, ein Lied über die schmerzhafte Realität vieler Syrerinnen und Syrer in aller Welt. Und sie sang es auf einem Konzert in Tunesien.

Wenn sie das Lied anderswo singt, erzählt sie vorher auf Englisch, worum es geht. Damit auch das nicht-arabische Publikum den Sinn ihrer Worte erfasst. „Wir müssen neue Wege des Dialogs mit den Europäern finden, ihnen unsere Welt eröffnen“, sagt sie. Es beginnt schon damit, dass viele Europäer glauben, die arabische Welt sei ein einheitlicher Kulturraum. Dabei kennt sie trotz der gemeinsamen Sprache eine ungeheure Vielfalt der Kulturen und Völker. Schon diese Erkenntnis kann helfen, Vorurteile abzubauen. „Wir sind es wert, entdeckt zu werden“, sagt Lena Chamamyan.

Konzert am Samstag, den 29. September, 20 Uhr, in der Universität der Künste, Hardenbergstraße.

Hiba Obaid

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