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Eine Kolumbus-Statue in Miami wurde mit Farbe übergossen. Der italienische Entdecker in spanischen Diensten steht jetzt in der Reihe der Kolonisatoren.

© dpa/Sladsky

„Symbol einer brutalen Vergangenheit“: Wo überall Kolonialismus-Denkmäler gestürzt werden

Mit Farbe übergossen oder im Hafen versenkt - in Europa und den USA wird Sturm auf Denkmäler gemacht. Ein Zeichen gegen Sklaverei und Rassismus.

Von Amerika bis Belgien gibt es Aktionen gegen falsche Geschichtsbilder. Ein Überblick:

USA: DIE TRADITION DER SÜDSTAATEN

Die Massenproteste gegen Polizeigewalt, Rassismus und eine strukturelle Diskriminierung der Afroamerikaner entladen ihre Energie in den USA auch im Sturm auf Denkmäler. Und in Angriffen auf eine Erinnerungskultur, die weiße Männer ehrt, die von der Sklaverei lebten und ein Wirtschaftssystem, das auf Sklaverei basierte, mit Gewalt verteidigten.

In Richmond, Virginia, der Hauptstadt der Südstaaten im Bürgerkrieg (1861–1865), wurde in dieser Woche die Statue ihres damaligen Präsidenten Jefferson Davies gestürzt. In Montgomery, Alabama, traf es ein Denkmal für den Südstaaten-General Robert Lee. Von Boston, Massachusetts, bis Miami, Florida, wurden selbst Denkmäler für Christoph Kolumbus beschädigt, der über Jahrhunderte als „Entdecker“ Amerikas geehrt wurde.

Die „Washington Post“ fühlt sich an den Sturm auf Lenin-Statuen beim Untergang der Sowjetunion erinnert. Entledigen sich die USA in einem politischen Aufruhr der Monumente, die für eine Gedenkpolitik stehen, die sich durch den Fortgang der Geschichte überholt hat?

Der Bruch ist weder so scharf noch so plötzlich und umfassend wie beim Auseinanderbrechen des Ostblocks. In den USA stehen die Denkmäler, Symbole und Namen, die mit der Sklaverei, dem Rassismus und der Verteidigung der Plantagenwirtschaft im Bürgerkrieg verbunden sind, seit Jahrzehnten unter Rechtfertigungsdruck.

Sie fallen aber weder überall gleichzeitig noch fallen sie schnell. Anhänger wie Gegner können Massenbewegungen mobilisieren.

Stützpunkte mit Namen von Südstaaten-Generalen umbenennen

Ob neuer Blick oder Beharren, hängt oft von einzelnen Personen und von lokalen Ereignissen ab, die nationale Aufmerksamkeit erregen, manchmal an Orten, die dafür wenig prädestiniert schienen. South Carolina ist einer der konservativsten Staaten der USA; dort ehrt man das Andenken an die Konföderation und ihre Helden. Nachdem ein weißer Rassist dort 2015 neun Afroamerikaner in einer Kirche erschossen hatte, verbot die republikanische Gouverneurin Nikki Haley die konföderierte Flagge auf staatlichen Gebäuden. Sie sei „das Symbol einer brutalen Vergangenheit, das viele Menschen tief verletzt“.

Nascar-Autorennen sind in den Südstaaten der Identität stiftende Herzenssport der Weißen. Nun verbietet Nascar die Konföderiertenfahne, nachdem der einzige schwarze Fahrer der Serie, Bubba Wallace, diesen Schritt als Reaktion auf den Tod George Floyds gefordert hatte.

Im August 2017 hatte der Beschluss des Universitätsstädtchens Charlottesville, Virginia, ein Reiterdenkmal des Südstaaten-Generals Robert Lee abzubauen, gewalttätige Proteste Rechter mit einer Toten provoziert. Präsident Donald Trump verteidigte den Protest der Rechten. Er sagt auch jetzt Nein zu Forderungen, US-Militärstützpunkte, die den Namen von Südstaaten-Generalen wie Lee oder „Stonewall“ Jackson tragen, umzubenennen.

Die das fordern, sehen in den Namen einen Affront für schwarze Soldaten; die stellten 17 Prozent in den Streitkräften, anderthalbmal so viel wie ihr Bevölkerungsanteil.

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In den Südstaaten stehen laut Experten noch etwa 700 Statuen von Menschen, die Südstaatler als Helden betrachten, die Emanzipationsbewegung hingegen als Provokation begreift. Florida und Virginia denken über eine Neubewertung nach. Alabama hat das Entfernen solcher Denkmäler per Gesetz verboten.

Was ist der richtige Weg: Denkmäler stürzen oder Monumente mit einer anderen Botschaft hervorheben oder neu errichten? In vielen Orten im Süden stehen noch „Slave Trees“ oder wird mit Fotos an sie erinnert: Bäume mit breiten Kronen, die Schatten spenden, und mit mächtigem Wurzelwerk, an denen Sklaven bei den Auktionen festgekettet wurden.

In der Hauptstadt Washington hat es lange gedauert, bis aus der Idee eines Denkmals gegen die Sklaverei ein konkreter Bau wurde: das 2016 eröffnete National Museum for African American History.

Im Capitol, das mit zahlreichen Statuen wichtiger Figuren aus der US-Geschichte geschmückt ist, bleiben die Statuen der Südstaaten-Helden bisher stehen. Sie werden aber um Personen ergänzt, die für die schwarze Emanzipation stehen und so die Geschichtsbilder korrigieren. (Christoph von Marschall)

In Berlin wird die Mohrenstraße umbenannt.
In Berlin wird die Mohrenstraße umbenannt.

© AFP

DEUTSCHLAND: BRANDENBURGS SKLAVENHANDEL

Heute ist nichts mehr zu sehen von der Statue. Der Platz vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg ist leer. Bis 1968 thronte dort auf einem mehr als zwei Meter hohen Sockel aus Sandstein eine überlebensgroße Bronzefigur: das Wissmann-Denkmal.

Es zeigte den einstigen Gouverneur der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“, Hermann von Wissmann, in Feldherren-Pose. Zu seinen Füßen ein Löwe, dazu ein Askari, ein ostafrikanischer Kolonialsoldat, der zu dem Deutschen ehrfürchtig emporblickt.

Studenten stießen das Denkmal 1967 erstmals um, ein Jahr später verschwand es im Keller der Hamburger Sternwarte, heute ist es musealisiert. Wissmanns Name steht für die Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen in Afrika, für die brutale Niederschlagung des antikolonialen Widerstands, für den rassistischen Geist Deutschlands.

Lange Zeit war die Kolonialgeschichte ein blinder Fleck in der deutschen Erinnerungskultur. Bis heute herrsche in weiten Teilen der Gesellschaft eine „koloniale Amnesie“, sagt der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer. Seit einigen Jahren jedoch bemühen sich postkoloniale Bürgerinitiativen um die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte.

Hitzig geführte Debatte über die Mohrenstraße

Sie wollen Straßen und Plätze umbenennen, die bis heute Kolonialverbrechern gewidmet sind. Deren Denkmäler wollen sie entweder abbauen oder ihnen zumindest Gedenktafeln für die Opfer deutscher Kolonialverbrechen zur Seite und damit symbolisch entgegenstellen, kontextualisieren, wie es heißt.

In Zeiten von Neonazi-Terror und alltäglicher Diskriminierung mag das ein Nebenschauplatz sein im Kampf gegen den Rassismus. Das gestehen auch Vereine wie die „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“ oder „Berlin Postkolonial“ ein.

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Doch die oft hitzig geführte öffentliche Debatte über Namen wie den der Mohrenstraße in Berlin-Mitte, vermutlich im 17. Jahrhundert zur Zeit des brandenburgisch-preußischen Sklavenhandels so benannt, schaffe ein Bewusstsein für die Wurzeln des Rassismus, sagen die Aktivisten.

Ohne den Blick zurück in die deutsche Kolonialgeschichte sei der heutige Kampf gegen Diskriminierung und Menschenverachtung nicht zu gewinnen. Wer weiß schon, dass die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (1682–1711) 17 000 Afrikaner in die Karibik verschleppte. (Paul Starzmann)

GROSSBRITANNIEN: IM HAFEN VERSENKT

Die Bergungsaktion begann im Morgengrauen. Wenig später hievte ein Kran der Stadtverwaltung die Bronzestatue von Edward Colston aus dem Hafen der Metropole Bristol im Westen von Großbritannien. Jetzt wird das Denkmal abgespritzt, „und dann sehen wir weiter“, hieß es vonseiten der städtischen Sammlungen.

Eines steht schon fest: Anstatt wie bisher buchstäblich im Zentrum der Industrie- und Universitätsstadt wird die Skulptur des prominenten Bristolians (1636–1721) künftig zum Museumsstück – Hinweis auf lokale und nationale Geschichte, in der ungeniert Sklavenhändler und Kolonialisten geehrt, ja gefeiert wurden.

In Bristol werfen Demonstranten die Statue des Sklavenhändlers Colston ins Wasser.
In Bristol werfen Demonstranten die Statue des Sklavenhändlers Colston ins Wasser.

© dpa

In Bristol beendeten einige Dutzend Aktivisten kurzerhand eine seit Jahren andauernde Debatte, zerrten die Colston-Statue vom Podest, rollten sie zum Hafen und warfen sie in die Wogen. Von Sachbeschädigung und krimineller Randale sprach die konservative Regierung in London.

Der örtliche Bürgermeister Marvin Rees aber, selbst Abkömmling jamaikanischer Sklaven, gab sich entspannt: Er spüre keinen Verlust. Der schwarze Historiker David Olusoga begegnete dem Vorwurf der Geschichtsvergessenheit mit der Feststellung, die Demonstranten hätten selbst Geschichte gemacht.

Eine Statue eines karibischen Plantagenbesitzers verschwand

Colstons Vermögen stammte aus dem Massenmord und der Versklavung von Schwarzafrikanern, die von seinen Schiffen in die Karibik transportiert wurden. Bis vor Kurzem waren der größte Konzertsaal Bristols und mehrere Schulen nach ihm benannt, die Colston Avenue gibt es immer noch.

Eine Neubesinnung gibt es auch anderswo: Londons Bürgermeister Sadiq Khan hat eilends eine Kommission zur Überprüfung von Denkmälern und Straßennamen eingerichtet. Aus den Docklands verschwand zu Wochenbeginn eine Statue des karibischen Plantagenbesitzers Robert Milligan (1746–1809); in Edinburgh gibt es Proteste gegen ein Denkmal für Henry Dundas (1742–1811), der jahrelang das Verbot des Menschenhandels in britischen Territorien hintertrieb.

Das mörderische Erbe des Kolonialismus ist auf der Insel bisher kaum thematisiert worden. Manches deutet darauf hin, dass sich dies nach George Floyds Tod jetzt ändert. (Sebastian Borger)

NIEDERLANDE: DER ZUCKERPALAST

Ihren Wohlstand verdankte die Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert dem Handel mit Gewürzen, Sklaven und Zuckerrohr. Lange Zeit stand das nicht zur Debatte, doch nun fragt man sich, warum schon im 17. Jahrhundert das Mauritshuis, heute die Königliche Gemäldegalerie, Zuckerpalast genannt wurde. Zur Klärung der Hintergründe wurde 2018 ein internationales Forschungsprojekt gestartet, um die Finanzierung aus dem Sklavenhandel zu untersuchen.

In der Gedenkkultur der Niederlande spielen Denkmäler längst keine so große Rolle wie Gemälde, aber dennoch gibt es Denkmäler niederländischer „Helden“, die nun in neuem Licht betrachtet werden. In Hoorn steht Jan Pieterszoon Coen stolz auf einem Sockel auf dem Marktplatz.

Denkmal zur Abschaffung der Sklaverei in Amsterdam

Tausende von Toten und Deportierte auf den Banda-Inseln im heutigen Indonesien hat er 1621 zu verantworten. Bei der Neugestaltung des Platzes 2011 hat man eine Tafel an dem Denkmal angebracht, das diese Geschichte erzählt.

In Amsterdam ist man schon in den 1960er Jahren dem Denkmal von Johannes van Heutsz mit Sprengstoff zu Leibe gerückt, er war verantwortlich für die blutigen Aceh-Kriege Ende des 19. Jahrhunderts im heutigen Indonesien.

Schließlich wurde das Denkmal 2004 entfernt. In den Niederlanden zieht man die Debatte und das Anbringen von Informationen der Entfernung vor. Ein Denkmal zur Abschaffung der Sklaverei gibt es seit 2002 in Amsterdam. (Rolf Brockschmidt)

BELGIEN: BLUTIGE HÄNDE

Nachts rücken die Denkmal- und Bilderstürmer an. Sie sprühen „Moordenaar“ (Mörder) auf die Denkmäler. Sie pinseln die Hände von Leopold II. mit leuchtend roter Farbe an, die das Blut der getöteten Kongolesen symbolisiert. Sie verdecken das Gesicht des belgischen Monarchen mit Tüchern, der seinen „Privatbesitz“ Kongo zwischen 1885 und 1908 gnadenlos ausgepresst und den Tod von bis zu fünf Millionen Menschen in Kauf genommen hat.

Die Belgier stoßen den Vorfahren des jetzigen Königs Philipp buchstäblich vom Sockel. In Antwerpen, Mons und Leuven haben die Stadtverwaltungen die Statuen bereits in die Asservatenkammer in Sicherheit gebracht. In Brüssel, wo es allein 70 Statuen, Denkmäler und Bilder von Leopold II. im öffentlichen Raum gibt, ruft der Staatssekretär Pascal Smet dazu auf, zusammen mit der belgo-kongolesischen Gemeinde das erste Denkmal für die Dekolonialisierung anzugehen.

Später als andere ehemalige Kolonialmächte stellt sich Belgien der Debatte um die koloniale Vergangenheit. Dies hängt auch damit zusammen, dass Belgien anders als die Niederlande, Frankreich und England die junge Generation aus den ehemaligen Kolonien erst sehr spät und nicht besonders zahlreich ins Land gelassen hat. Seit Jahren fordern allerdings Aktivisten eine Entkolonialisierung der belgischen Denkmalkultur.

Aktivisten fordern eine Entkolonialisierung der belgischen Denkmalkultur

Ende des Monats jährt sich die Unabhängigkeit des Kongo zum 60. Mal. König Philipp, offizielles Regierungsoberhaupt, hat bislang nicht ein einziges Mal Stellung genommen zur Kolonialgeschichte. Als das Afrika-Museum in Tervuren vor anderthalb Jahren mit einer komplett überarbeiteten Schau wiedereröffnet wurde, ist er den Eröffnungsfeierlichkeiten ferngeblieben. Eine Entschuldigung des belgischen Staates steht bis heute aus.

Dabei hatten zwei Könige, die Leopold auf den belgischen Thron folgten, Anfang des 20. Jahrhunderts bereits deutliche Kritik an den Grausamkeiten im Kolonialregime unter ihrem Onkel beziehungsweise Großonkel geübt. Mit den Profiten, die der Monarch aus Afrika gezogen hat, hat er in Belgien Bahnlinien und Prachtbauten errichtet, die bis heute zu sehen sind. Lange wurde er in Belgien vor allem als der „Baumeister“ wahrgenommen. (Markus Grabitz)

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