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Demonstranten im Stadtteil Van Nuys von Los Angeles knien nach der Ermordung von George Floyd nieder zum Protest.

© Imago/Sarah Reingewirtz

Symbol des Protests: Amerika ringt um eine Geste

Donald Trump hat den Kniefall diskreditiert. Nach dem Tod von George Floyd eignen sich die Amerikaner die Geste wieder an.

Von Andreas Busche

Man hat die Bilder schon zu oft gesehen, gewöhnen wird man sich an sie nie. Ein Polizist verhaftet einen Afroamerikaner, er wendet dabei unverhältnismäßige Gewalt an.

In den USA ist für einen Schwarzen die Gefahr, eine Routinekontrolle durch die Polizei („stop-and-frisk“ heißt dieses rassistische Profiling) nicht zu überleben, um ein Vielfaches höher als für einen weißen Amerikaner.

Seit der brutalen Verhaftung Rodney Kings 1992 gehen diese Bilder um die Welt, im Zeitalter der sozialen Medien landen sie – wie im Fall von Philando Castile – manchmal sogar live auf Facebook.

Meist fällt die fatale Entscheidung für den Schuss im Bruchteil einer Sekunde, weshalb die überwiegende Mehrheit der Polizisten am Ende freigesprochen wird. Der Beamte habe um sein Leben gefürchtet, lautet dann die offizielle Version. Von 15.000 Todesfällen im Polizeidienst führten seit 2005 nur 150 zu Urteilen.

Der Fall George Floyd liegt anders. Das Todesvideo, das seit einer Wochen in den sozialen Medien kursiert, dauert neun Minuten. Es ist eine Exekution. Neun Minuten kniet Derek Chauvin auf seinem gefesselten Opfer, der 46-jährige Floyd versucht dem Polizisten zu erklären, dass er keine Luft mehr kriege, irgendwann ruft er verzweifelt nach seiner Mutter.

Der Satz „Ich kann nicht atmen“ ist seit dem Tod von Eric Garner 2014 zum Sinnbild für die Polizeigewalt in den USA und die Alltagsrealität von Afroamerikanerinnen und Amerikanern geworden. Der Polizist bohrt sein Knie noch in das Kreuz des Unterliegenden, als dieser sich schon nicht mehr rührt.

Das ist ein Mensch

Das Knie eines Polizisten im Genick eines hilflosen Mannes. („Das ist ein Mensch“, ruft ein Umstehender den vier Polizisten zu). Gleichzeitig Tausende von Amerikanerinnen und Amerikanern, die im Angesicht bewaffneter Polizisten niederknien, um George Floyd die letzte Ehre zu erweisen. Wäre dies nicht das Amerika Donald Trumps, man würde sich im falschen Film wähnen.

Plötzlich ist eine einfache Geste der Ehrerbietung, des Respekts zur Waffe geworden, die das Gefühl vieler Menschen in diesem zerrissenen Land beschreibt: Sie fühlen sich wie in einer tödlichen Umklammerung. In einigen Bundesstaaten ist die Form der Arretierung mit dem Knie, an der George Floyd starb, längst verboten, weil sie für die Verhafteten gesundheitliche Risiken birgt.

Gegen Polizeigewalt: Football-Star Colin Kaepernick (Mitte) von den San Francisco 49ers.
Gegen Polizeigewalt: Football-Star Colin Kaepernick (Mitte) von den San Francisco 49ers.

© Mabanglo/dpa

Der Kniefall ist in Trumps Amerika zum Politikum geworden, seit sich der Football-Star Colin Kaepernick 2016 dazu entschloss, aus Protest gegen die Polizeigewalt in den USA während der Nationalhymne auf die Knie zu gehen.

Kaepernick verweigerte dem Land, das den Tod unzähliger Unschuldiger akzeptiert, seinen Respekt. Er folgte damit auf den Spuren Muhammad Alis, der fünfzig Jahre zuvor aus demselben Grund den Wehrdienst verweigert hatte und dafür seinen Weltmeistertitel verlor.

Bei Kaepernick reichte schon ein Kniefall, um seine Karriere zu beenden. Er ist bis heute vereinslos, der Verband National Football League (NFL) nahm das Verbot des Kniefalls in seine Regularien auf, so wie es der amtierende Präsident in einem wütenden Tweet gefordert hatte.

Der Comedian Trevor Noah frozzelte damals, dass es für Afroamerikaner keine angemessene Form des Protests gäbe, selbst wenn diese höflich knien und ansonsten schweigen.

Kaepernicks Knie und die Black-Panther-Faust

Kaepernicks Kniefall ist heute so ikonisch wie die Black-Panther-Faust der afroamerikanischen Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968. Man kennt die Geste und ihre Bedeutung weltweit, auch weil es in den vergangenen Jahren noch etliche Anlässe gab, vor Amerika in die Knie zu gehen.

George Floyd ist nur der bekannteste Fall von Polizeigewalt in der jüngeren Vergangenheit. Im März wurde die Krankenpflegerin Breonna Taylor in ihrer Wohnung von Polizisten in Zivil getötet, weil diese sich in der Adresse geirrt hatten. Im Februar wurde Ahmaud Arbery beim Joggen erschossen, das Tatvideo kam Anfang Mai, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, an die Öffentlichkeit.

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Die Krise ist auch der Grund, warum die Proteste in den USA seit einer Woche in dieser Vehemenz die Städte erfassen, noch schwerer als 2014 in Ferguson. Afroamerikaner machen in den USA einen Großteil der Opfer aus, sie sind auch überproportional von der Arbeitslosigkeit betroffen.

Brandts Kniefall war ein Schuldeingeständnis

Dass der Kniefall gerade jetzt zur einigenden Geste wird – während der „Law-and-Order“-Präsident auf Twitter die Gouverneure auffordert, die Nationalgarde einzusetzen –, ist nach Tagen der innerstädtischen Unruhen vielleicht ein Zeichen, dass das Land doch noch nicht so gespalten ist, wie es Trump gerne sähe. Die „New York Times“ schreibt, dass die Zahl der weißen Protestierenden die Teilnehmerzahl aus der afroamerikanischen Community inzwischen übersteige. Aus Miami, Philadelphia, New York, Chicago, Baltimore, Oakland und Dutzenden anderer Städte erreichen uns Bilder von Polizisten, die mit den Demonstranten niederknien.

Der Kniefall von Warschau: Bundeskanzler Willy Brandt 1970 vor dem Mahnmal im einstigen jüdischen Ghetto.
Der Kniefall von Warschau: Bundeskanzler Willy Brandt 1970 vor dem Mahnmal im einstigen jüdischen Ghetto.

© dpa

Als Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos auf die Knie ging, war das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen unterkühlt, Brandts Idee eines gemeinschaftlichen Europas noch eine Utopie. Aber das Bild sendete ein Zeichen in Richtung Osteuropa. Deutschland war über zwanzig Jahre nach dem Krieg bereit, seine Schuld an der Ermordung sechs Millionen jüdischer Mitbürger einzugestehen.

Die Pandemie macht die weißen Privilegien deutlich

Ta-Nehisi Coates schreibt in „We were Eight Years in Power“, seiner Bilanz der Obama-Ära, dass der weiße Suprematismus seit 400 Jahren in die amerikanische Identität eingeschrieben sei. Wenn sich aber in ganz Amerika nun Polizisten den Kniefall, der sich gegen ein strukturelles Problem innerhalb des Polizeiapparats richtet, aneignen, ist das eine nicht zu unterschätzenden Geste. Sie sagt, ich sehe euch und euren Schmerz.

Seit Ferguson war die Standardreaktion auf die Black-Lives-Matter-Bewegung der Kampfruf „Blue Lives Matter“. Die Privilegien weißer Amerikaner wird auch die Pandemie nicht aus der Welt schaffen, aber sie hat sie der Gesellschaft vielleicht nie so klar wie jetzt vor Augen geführt.

Die Polizei wird in afroamerikanischen Communities nicht als Freund gesehen. „Aber die Menschen wollen Vertrauen zur Polizei“, sagte am Wochenende der CNN-Experte Cedric Alexander über die Bilder des New Yorker Polizeichefs Terence Monahan, der mit den Protestierenden kniet. Es gibt nichts Tröstliches am Tod eines Unschuldigen. Aber vielleicht wird nach der Ermordung von George Floyd der Kniefall als verbindende Geste, nicht die einer Spaltung, gerade wiederentdeckt.

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