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Die US-Sängerin Ariana Grande, U

© Paul Buck/dpa

"Sweetener" von Ariana Grande: Tränen können auch echt sein

Königin des Teenie-Pop: Ariana Grande gibt sich mit ihrem neuen Album „Sweetener“ ein bisschen feministisch – und arbeitet ihr Manchester-Trauma auf.

Die Welt von Ariana Grande steht inzwischen öfter mal Kopf. So sieht man sie selbst, nachdenklichen Blickes und mit silberschimmerndem Haar, kopfunter auf dem Cover ihres am Freitag veröffentlichten neuen Albums „Sweetener“ (Republic/Universal). Auch in dem Video zu der Monate zuvor veröffentlichten Single „No Tears Left To Cry“, das inzwischen knapp eine halbe Milliarde mal angeklickt wurde: Nach einem Zoom auf eine düstere urbane Hochhauswelt läuft Grande durch einen langen, von Fenstern, Türen und Zimmern gesäumten Gang, wogt hin, wogt her, als sei sie im Inneren der sinkenden „Titanic“, um dann in ein Reich voller Lichter-Schlieren zu fallen und von eben jenen Tränen zu singen, die sie nicht mehr weinen kann.

Das ist kein Wunder in der hybriden, posthumanen Welt, in der Ariana Grande sich bewegt. Auf den Kanälen der sozialen Medien sind die fluiden Absonderungen des Körpers nur noch etwas Abstraktes, Behauptetes. Doch kann man die auf dem Kopf stehende Welt und die Tränenlosigkeit auch als Kommentar auf das Ereignis verstehen, das Ariana Grande so brutal aus ihrer Instagram-Blase (125 Millionen Follower) ins reale Leben zurückkatapultiert hat. Am 22. Mai des vergangenen Jahres sprengte sich ein Selbstmordattentäter auf einem Konzert der 25-Jährigen in Manchester in die Luft. Er riss 22 Menschen mit in den Tod, darunter viele Kinder und Jugendliche, hunderte wurden zum Teil schwer verletzt. Grande reagierte naturgemäß geschockt, organisierte zwei Wochen später in der nordenglischen Stadt ein Benefiz-Konzert („One Love Manchester“) und gestand ein Jahr darauf dem „Time“-Magazin, dass „mir noch immer jeden einzelnen Tag schwer ums Herz ist“ und sie sich wünschte, „mehr wiedergutmachen“ zu können als mit diesem einen Benefiz-Konzert.

Ist Gott wirklich eine Frau?

Als Popkünstlerin hat sie diese Möglichkeit zumindest in Form von Musik. „Sweetener“ lässt sich auch dahingehend hören. Zumal es mit „Get Well Soon“ ein Stück gibt, das letzte des Albums, das sich relativ direkt mit dem Anschlag auseinandersetzt, mit ihren Ängsten im Anschluss daran, ihrem Gefühl des Fließens, des irritierend Körperlosen, das sie an sich festgestellt und als pathologisch ausgemacht hat, wie sie auf Twitter mitteilte. In dem Song gibt es Zeilen wie „Girl what’s wrong with you? Come back down“ oder „Where are you? Are you home? Call me right on the phone“, und er endet mit vierzig Sekunden Stille zum Gedenken an die Opfer von Manchester.

Das Album handelt in seiner Gesamtheit jedoch vor allem von den Ambivalenzen und der Zerrissenheit, die das Leben von Ariana Grande und ihrer Teen-Anhängerinnenschaft prägen. Das beginnt mit dem Titelstück „Sweetener“ für künstlichen Süßstoff, geht über „Borderline“, dessen Titel schon für sich selbst spricht, bis hin zu dem aktuellen Hit „God Is A Woman“, der im Video doch nicht so feministisch rüberkommt, wie der Titel verspricht. In einem schön schimmernden Uterus-Gewaber liegt Grande darin zunächst, irgendwann wölbt sich mal ein schwangerer Bauch vor, ein selbstredend am Computer animierter, und den Stahlhelm der Power-Grande mit Hammer in den Händen zieren wieder ihre berühmten Katzenohren.

Pharrell Williams hat das Album produziert

Zu streng, zu verstörend darf der Feminismus eines Popstars dieser Dimension eben auch nicht sein. Andeutungen müssen reichen, vielerlei Projektionen wollen bedient, Offenheit in alle Richtungen muss demonstriert werden.</SB> Und so gibt es mit dem Stück „Pete Davidson“ nicht zuletzt eine Liebeserklärung an ihren Verlobten, den gleichaltrigen Schauspieler und Comedy-Star Pete Davidson, und darin ist von nichts anderem die Rede als von Glück.

Musikalisch ist das Album genauso wenig streng oder verstörend. Was durchaus positiv auffällt. Die diversen Produzenten von „Sweetener“, allen voran Pharrell Williams, haben sich zurückgehalten, der tollen Stimme von Ariana Grande den gebührenden Raum gelassen und Gastauftritte wohldosiert. Manchmal lechzt man zwar bei so viel Überdosis Grande nach ein bisschen mehr Missy-Elliott-Rap-Einlagen wie bei „Borderline“, auch solchen von Nicki Minaj, die sich bei „The Light Is Coming“ mit Grande darüber streitet, wer schöner singen kann. Oder selbst von Pharrell Williams, der aus „Blazed“ ein lupenrein federndes Williams-Stück macht, das Grande lediglich begleitet.

Doch hat das schon seine Ordnung. Denn es scheint, als sei sich Ariana Grande seit Manchester ihrer Stimme und ihres Körpers, also ihrer Realness, bewusster denn je zuvor. So groß die Zielgruppe bereits sein mag, so global Ariana Grande schon agiert, mit „Sweetener“ gibt sie ein Versprechen ab: dass sie eines Tage in die Fußstapfen einer Beyoncé oder Madonna treten könnte.

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