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Autor und Übersetzer Jürg Laederach.

© Gaetan Bally/dpa

Jürg Laederach gestorben: Durch die Prosa flanieren

Er verdichtete in seinen Büchern aberwitzige Begebenheiten bis ins Groteske: Zum Tod des Schweizer Schriftstellers Jürg Laederach. Ein Nachruf

Schon als Jürg Laederach Mitte der siebziger Jahre mit dem Prosaband „Einfall der Dämmerung“ sein Debüt veröffentlichte, ließ sich erahnen, was für eine vielfältige Begabung, ein Sprachabenteurer war. In dem schmalen Buch finden sich keine konventionellen Erzählungen, sondern eine Vielzahl unterschiedlichster Textsorten, Grotesken, Märchen, Parabeln, Satiren und Aktennotizen, zusammengehalten von einem gewissen Hirse. Diese Figur wurde von Laederach ganz bewusst nicht zum Leben erweckt, sondern besteht nur aus Sprache, eine Figur, die alles kann, alles ist, aber stets vor der Auflösung steht.

Hirse ist der Prototyp vieler Figuren in Laederachs folgendem, umfangreichen Werk – und „Einfall der Dämmerung“ die Blaupause für das verschlungene, mal komplexe, mal schnipselhafte, mal assoziativ wuchernde Erzählen, das Laederach in dann so genannten Romanen wie „Das ganze Leben“ oder „Emanuel: Wörterbuch des hingerissenen Flaneurs“ und in vielen Erzählbänden wie „Schattenmänner“, „69 Arten den Blues zu spielen“ und zuletzt „Harmfuls Hölle“ durchexzeriert hat. So ist er denn stets als Avantgardist, als Experimentalschriftsteller bezeichnet und wahrgenommen worden, als ein Autor, den man nie auf einen einzelnen literarischen Begriff zu bringen vermochte. Aber auch als Autor, der nicht nur schwierig, sondern gleichermaßen amüsant wie hintersinnig war.

Wegen Handkes Serbien-Sympathie verließ er 1996 den Suhrkamp Verlag

Überdies schrieb er nicht nur Prosa, sondern auch Theaterstücke und Hörspiele (ausdrücklich aber keine Gedichte), spielte in einer Jazzband und übersetzte viel und leidenschaftlich, etwa die Werke von Maurice Blanchot ins Deutsche oder auch die einiger amerikanischen Autoren wie Walter Abish oder Wilhelm H. Gass. „Ich denke, das ist ein Nachteil, den man mir vorwerfen kann.“, hat er einmal gesagt. „Ich habe mich nie entschieden. Ich habe eben alles gleichmäßig interessant gefunden. Es ist sicher ein Stück Pragmatismus, dass man einfach sagt: Anstatt dass ich das alles bekämpfe oder schlecht finde, als interessiere ich mich dafür.“

1945 in Basel geboren, begann Laederach nach der Matura ein Studium der Mathematik an der ETH Zürich, kehrte jedoch wieder zurück in seine Heimatstadt, um hier Romanistik, Anglistik und Musikwissenschaft zu studieren. Bevor er mit „Einfall der Dämmerung“ debütierte, arbeitete er als Deutschlehrer unter anderem in Paris und als Werbetexter. Obwohl er ein typischer Suhrkamp-Autor war (getreu der der Unseld-Devise keine einzelnen Bücher, sondern Autoren und ihre Werke zu verlegen), verließ Laederach 1996 den Verlag aus Protest gegen Peter Handkes Essays und Einstellungen zum Bosnienkrieg: „Zusätzliche Distanz zwischen mich und solchen Erzeugnissen zu legen, scheint mir angebracht".

Mit einer Art improvisierten E-Mail-Buch, den „Depeschen nach Mailand“, die er an seinen Schweizer Kollegen Michael Mettler geschrieben hatte, kehrte Laederach 2009 zu Suhrkamp zurück. Und antwortete hier vor kurzem, ganz in der ihm eigenen, lockeren Einstellung zu Fragen einer literarischen Ewigkeit, im Logbuch des Verlags auf die Frage, wer einmal seine Bücher bekommen sollte:„Ist noch nicht entschieden. Wenn es geht, nehme ich sie mit und lasse sie auf dem Weg fallen“. Nun ist Jürg Laederach nach langer Krankheit am Montag in Basel gestorben.

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