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Sturm Storm

© ddp

''Sturm'': Die einzige Zeugin

Dealen um die Gerechtigkeit:  Hans-Christian Schmid schildert in „Sturm“ die Arbeit des UN-Tribunals in Den Haag. Der Film geht als erster deutscher Beitrag ins Rennen um den Goldenen Bären.

Wütende Filme sind sonst nicht so kalt, nicht so desillusioniert. Die Farben: blau und grau, nachtdunkelschwarz. Die Kamera: schön und still, erlesen kadriert. Das Thema: groß und wichtig – und vielleicht noch zu roh, zu schmerzhaft unabgeschlossen.

Zwei deutsche Regisseure, zwei internationale Großproduktionen, zweimal ein höchst aktuelles, komplexes und filmisch nicht unbedingt dankbares Thema. Der deutsche Film wird offenbar erwachsen. Hinzu kommt: Mehr noch als Tom Tykwer mit seinem Banken film „The International“ ist Hans -Christian Schmid mit „Sturm“ das Wagnis einer eindeutigen Positionierung eingegangen. Er klagt einen politischen Missstand an – mit den Mitteln eines Thrillers.

Politisch ist seine Geschichte fast schon zu Ende, bevor sie beginnt. 2010 wird das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag seine Arbeit einstellen, noch sind 45 Verfahren offen. Die Richter drängen auf Beschleunigung und schnellen Verfahrensabschluss. Gleichzeitig laufen EU-Verhandlungen für die jugoslawischen Nachfolgestaaten, die Lobbyisten in Brüssel wollen keine neuen Konflikte. Kriegsverbrecher werden in der Republika Srpska als Nationalhelden gefeiert und kandidieren dort für die Wahlen. Und längst geht es im Strafverfahren mehr um Absprachen und Deals als um Gerechtigkeit.

Gegen diese Praxis, gegen die tickende Zeit, gegen die Schlussstrich-Mentalität und den zynischen Pragmatismus der Verhandlungsführer, die die eigentlichen Hauptfiguren, die Opfer der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, längst aus den Augen verloren haben, läuft Hans-Christian Schmid mit seinem Film Sturm. Er läuft allerdings ähnlich vergeblich und idealistisch dagegen an wie seine Protagonistin, die Anklägerin Hannah Maynard. Kerry Fox spielt diese Frau, die in den langen Jahren der Verfahren müde geworden ist, aufgerieben, abgestumpft, die längst auf dem Abstellgleis steht, auch wenn sie formal noch die Anklage führt – gerade ist ein Kollege bei der Beförderung vorgezogen worden. Man kann das nach der Logik des Systems den zuständigen Stellen noch nicht einmal vorwerfen: Hannah agiert zu emotional, zu fahrig, zu engagiert für einen reibungslosen Prozess.

Eine Idealistin, unter Realisten. „Ich mache keine Politik“, herrscht sie ihren Geliebten, einen EU-Lobbyisten (Rolf Lassgard) an, als der ihr einen Deal vorschlagen will. Doch etwas mehr politisches Wissen um die Auswirkungen ihres Tuns müsste auch die Anklägerin eines Kriegsverbrechertribunals haben. Etwas mehr Härte auch, etwas mehr Stahl, und eine etwas realistischere Einschätzung von Chancen und Gefahren. Kerry Fox, die in Patrice Chéreaus „Intimacy“ so mutig und kompromisslos den Sex und die Verletzlichkeit des Körpers auf der Leinwand gezeigt hat, ist als Hannah Maynard zu mütterlich, zu weich. So läuft es doch wieder auf die alte Rollenverteilung heraus: Die Männer machen die Politik, die Frauen sind für Gerechtigkeit, Ideale und Menschlichkeit zuständig. Eine Welt, in der diese emotionale Intelligenz politisch regiert, gibt es nicht, solange es Kriege gibt und Frauen, die im Krieg immer die Opfer, die Verlierer sind.

Wie schmerzhaft aktuell das Thema fünfzehn Jahre nach den damaligen Verbrechen im Bosnien von heute ist, hat vor zwei Jahren Jasmila Žbaniks „Grbavica“ gezeigt und dafür den Goldenen Bären gewonnen. Aber auch ein Film wie der in der Jugendreihe Generation 14 plus und auch im Kulinarischen Kino (!) völlig fehlprogrammierte „Snijeg“ von Aida Begik, in dem einige kriegstraumatisierte Frauen in einem bosnischen Dorf mit den Dämonen der Erinnerung und des Wissens um die nicht zur Rechenschaft gezogenen Täter kämpfen, hat eine ganz andere Dringlichkeit und Nähe.

Mira Arendt hingegen, die entscheidende Belastungszeugin im Prozess, wird mit ihrem schmalen Gesicht zwar kameratechnisch eindrucksvoll zur Dreyer’schen Jeanne-d’Arc-Figur stilisiert und von der wunderbaren Anamaria Marinca („Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage“) zart und verletzlich dargestellt. Dramaturgisch aber bleiben Fragen über Fragen. Eine aussagewillige Zeugin, die genügend Belastungsmaterial für gleich mehrere Prozesse hat und offenbar permanent von serbischen Nationalisten bedroht wird, spielt mit ihrem Sohn einfach so am Strand? Geht mit ihrem Mann allein im Diner essen? Und wird danach einfach nach Berlin zurückgeschickt, wo sie wahrscheinlich keine Woche überleben dürfte? Und in all den Jahren einer anscheinend glücklichen Ehe hat ihr Ehemann nicht ein einziges Mal nach ihrer Vergangenheit gefragt?

Stark ist der Film immer da, wo er fast dokumentarisch die komplexen Prozessabläufe in Den Haag schildert, die trostlose Hotelexistenz aller Beteiligten, die mühsame Erstellung von Protokollen, den strenge Zeugenschutz im Hotel und das formalisierte Verfahren. Doch der Schluss, der kleine Sieg gegen das System, den er Hannah Maynard schenkt, ist so wünschenswert wie unrealistisch. Noch einmal ähnelt die Protagonistin ihrem Film: Auch ihm hätte man von Herzen Erfolg und ein Happy End gewünscht – doch die Absicht allein genügt nicht.

Das Dilemma bleibt: Dass ein Prozess, auch ein Kriegsverbrecherprozess, nicht unbedingt mit dem gerechten Urteil endet, löst ein Unbehagen aus, das man von vielen juristischen Auseinandersetzungen kennt. Im Falle von Den Haag ist es noch quälender. „Ein Prozess ist keine Therapie“, heißt es in „Sturm“ einmal. Ein Film leider auch nicht.

8. 2., 12 und 22 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17.30 Uhr (Urania), 15. 2., 20 Uhr (Berlinale-Palast)

Zwei deutsche Regisseure, zwei Polit-Thriller: „Sturm“

und „The International“

Christina Tilmann

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