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Die chilenische Künstlerin Manuela Infante und ihre One-Woman-Show „Estado Vegetal“.

© Fundación Teatro a Mil

Stückemarkt des Theatertreffens: Sumpfblüten, sprechende Berge und andere fossile Freuden

Von den USA bis in den Iran: Der Stückemarkt des Theatertreffens hat sich internationalisiert und fragt: "Was kommt nach dem Protest?".

Nur mal angenommen, die Afroamerikaner in den USA bekämen, was ihnen versprochen wurde – dann könnte es für den Staat ziemlich teuer werden. Es war General Sherman, der nach dem Bürgerkrieg allen schwarzen Familien an der Südostküste 40 Morgen Land und ein Maultier zusicherte. Bloß kassierte Präsident Johnson den Feldbefehl Nr. 15 später stillschweigend wieder ein. 40 Morgen Land und ein Maultier, das entspräche heute einem Wert von 6,4 Billionen Dollar.

Die Rechnung macht der Dramatiker Nazareth Hassan in seinem Stück „Vantablack“ auf. Plötzlich sitzen die Afroamerikaner auf gigantischen Geldbergen, sind Großgrundbesitzer. Das Problem ist nur: Eigentum allein macht auch nicht glücklich. Die Reinigungskraft Sharon zum Beispiel, der jetzt New York City gehört, kann partout nicht mit dem Putzen aufhören. Für ihre große Passion, die Sauberkeit, ist sie sogar bereit, über Leichen zu gehen.

„Vantablack“ ist einer von drei Texten, die für den diesjährigen Stückemarkt des Theatertreffens auserkoren wurden. Junge Autorinnen und Autoren versuchen sich an neuen Texten für die Bühne.

Es gab 361 Einsendungen aus 65 Ländern, die Jury um Mette Ingvartsen, Branden Jacob-Jenkins, Amir Reza Koohestani, Wiebke Puls sowie die neue Stückemarkt-Leiterin Maria Nübling hatte also zu tun. Zum ersten Mal hat sich der Stückemarkt der ganzen Welt geöffnet. Etwas fraglich bleibt, mit welchem Ziel. Sollen Fachkräfte für die schwächelnde Branche der deutschsprachigen Dramatik angeworben werden? Oder will man einfach zeigen, dass rund um den Globus auch nur mit Wasser gekocht wird?

Ein schwarzer Faust mit weißen Teufeln

Das 124-seitige wilde Szenen-Epos von Nazareth Hassan aus Atlanta, Georgia ist dabei keine schlechte Wahl: Ein schwarzer „Faust II“ mit weißen Teufeln, so angekotzt vom irdischen, rassistischen Jammertal mit seinen ewigen Abhängigkeitsverhältnissen, dass zwischendrin mal die ganze Welt angehalten werden muss. Schon schön. Bloß ist das Stück, das gerne mal in derben Südstaaten-Slang verfällt, unübersetzbar. Sollte Berlin sich allerdings weiter zur Weltmetropole mausern, spielt das natürlich keine Rolle mehr.

Gespannt sein darf man auch, ob sich in näherer Zukunft beziehungsweise im näheren Umkreis ein Theater findet, das gerne „Pussy Sludge“ der jungen Dramatikern Gracie Gardner aufführen möchte, derzeit in Los Angeles beheimatet. Die hat eine Titelheldin erfunden, „aus deren Muschi Öl fließt“. Pussy Sludge steht in einem Sumpf und bekommt, während es schwarz aus ihr heraussprudelt, allerlei Besuch. Von ihrer Mutti, wechselnden Parkaufsehern, einer Geliebten, einem retardierten Konservendosenfabrikanten mit Propeller-Hut. Zum Glück gibt es ein Programmheft, in dem steht, dass es sich dabei um „lustvolle Kritik an patriarchalen Systemen“ handelt. Also nicht um das neue Genre des Fossile-Brennstoffe-Pornos.

„Was kommt nach dem Protest?“ lautet die Leitfrage des Stückemarkts 2019. Es gab dazu auch eine Diskussion gleichen Titels, die zu dem eindeutigen Schluss gelangte: schwer zu beantworten. So ganz klar wird es auch nicht im Stück „Die Burg der Assassinen“ des iranischen Autors Amir Gudarzi, der schweres historisches Geschütz auffährt, um eine Fluchtgeschichte aus dem Europa der Gegenwart zu erzählen. Nizariten und Christen auf Kreuzzug, sprechende Berge und grollende Mongolen, ein Chor aus Sphinxen und Sexarbeiterinnen an der Autobahn werden aufgefahren. Und können allesamt nicht verhindern, dass „Die Burg der Assassinen“ mit ihren mehrspurigen gedanklichen Transitrouten zwischen Syrien und Europa unter einem angestrengt wirkenden Bedeutungswillen ächzt.

Verbindung zwischen Mensch und Pflanze

Bleiben die Performances. Die sind ja seit vielen Jahren akzeptiert als eigene Form von Autorschaft und dürfen also nicht fehlen. Der ukrainische Regisseur Sashko Brama und sein Ensemble erzählen in „Fall on Pluto“ von alten Menschen, die man auf den fernen Planeten abgeschoben hat. Das Ganze wird mit toll gestalteten Puppen performt und basiert auf Recherchen in Seniorenresidenzen: ein Zukunftsthema also.

Die chilenische Künstlerin Manuela Infante wiederum erzählt in ihrer One-Woman-Show „Estado Vegetal“ von einem Baum, der einen Zusammenprall mit einem Motorrad hatte. Eigentlich geht es um tiefere vegetative Verbindungen zwischen Mensch und Pflanze, wofür viel Grünzeug auf der Seitenbühne des Hauses der Berliner Festspiele aufgefahren wird. Genug, um Manuela Infante den „Werkauftrag des Stückemarkts“ zu verschaffen. Sie darf fürs Schauspielhaus Bochum eine neue Arbeit entwickeln. Mal sehen, welche Blüten der Stückemarkt noch so treibt.

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