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Bühnen-Szene aus Mayenburgs "Stück Plastik".

© Arno Declair

"Stück Plastik" an der Schaubühne Berlin: Pastawerfen in Prenzlauer Berg

Marius von Mayenburg nimmt in seinem "Stück Plastik" die politisch hyperkorrekte, mega-hippe, bio-fanatische Prenzlauer-Berg-Welt auf die Schippe. An der Berliner Schaubühne wurde seine Boulevardkomödie uraufgeführt - und zeigte sich treffsicher.

Ulrike und Michael sind ein politisch hyperkorrektes Prenzlauer-Berg-Elternpaar. Er (Robert Beyer) arbeitet als Arzt, sie (Marie Burchard) als Assistentin eines angesagten Künstlers mit dezidiert zynischem Marken-Image. Man verwirklicht sich selbst, und zwar durchgehend bio, bringt abgetragene Klamotten in den Altkleider-Container „Ecke Wörther Straße“, und diskriminiert wird schon mal gar nicht. „Jeder soll seine Chance bekommen“, eifert Ulrike beflissen, während sie auf ihrer schneeweißen Designer-Sitzgruppe hockt. „Auch die Polen.“ Logisch, dass die Konjunktion „auch“ dabei klingt wie „sogar“ und auch so gemeint ist.

Und weil wir uns im Theater befinden, namentlich in der neuen Edelboulevard- Komödie von Marius von Mayenburg an der Berliner Schaubühne, wird dieses Fettnäpfchen nicht das einzige bleiben, in das der akademisch-aufgeklärte Wohlstandsbürger hineintritt. Denn das Distinktionsgebaren der vermeintlich Dünkellosen ist das zentrale Thema von Mayenburgs „Stück Plastik“, das der Autor zum Abschluss des internationalen Dramatikfestivals FIND selbst urinszeniert hat.

Deutsches demokratisches Ostobst

Nachdem sie der polnischen Haushaltshilfe Danuta – die, wie gesagt, ihre Chance bekommen soll, nur eben bitte nicht in der eigenen Designer-Bude – wegen orthografisch unkorrekten Deutschs gekündigt haben, engagieren Ulrike und Michael eine neue Putzfrau: Jessica Schmidt aus Halle. „Deutsches demokratisches Ostobst“, wie Ulrikes Künstlerchef Serge Haulupa mit Blick auf die verhuschte Kittelschürzenträgerin (Jenny König) kommentiert. Wie derartige Pointen tatsächlich so zünden, das gehört – von wegen Distinktion – zweifellos zu den aufschlussreichsten Erträgen des Abends. So gesehen: Überraschend klarer Punktsieg für Mayenburg.

Natürlich kommt es im Folgenden genau so, wie es die Komödienmechanik will: Das arme „Fräulein Schmitt“ wird zur diskreten Adressatin hyperpeinlicher Entlarvungsgesten; mithin des gesammelten (Klischee-)Mülls, mit dem der gemeine Wohlstandsbürger abendfüllend sein blütenweißes Loft (Bühne: Nina Wetzel) verdreckt. Ulrike etwa nötigt die Putze mit altruistischem Gestus in ihre abgetragenen schweinchenrosa Wurstpellenkleider hinein: „Behalt’s einfach, siehst toll darin aus! Mir hat dieses leicht Ordinäre eh nie jemand abgenommen.“

Szene aus Marius von Mayenburgs "Stück Plastik".
Jenny König, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Marie Burchard schmeißen auf der Bühne mit Pasta.

© Arno Declair

Mayenburgs "Stück Plastik" ist Yasmina-Reza-Kunst 2.0.

Michael weint sich unterdessen bei Jessica Schmitt am Küchentisch aus, weil er glaubt, dass seine Frau „jeden Respekt“ vor ihm verloren hat. Was man ihr einerseits nicht verübeln kann angesichts der genüsslich-gekonnten Schmierigkeit, in der Robert Beyer diesen Arzt mit Grenzen an die Rampe glitscht. Andererseits fragt man sich natürlich auch, was den Typen überhaupt hält bei einer Gattin, die ihm abendfüllend schnippisch den Klischeesatz „Du übernimmst keine Verantwortung, du Arschloch“ an den Blondhaarperücken-Kopf knallt.

Gut möglich allerdings, dass wir uns einfach längst in einer Hyper-Stereotypen-Installation des Konzeptkünstlers Serge Haulupa befinden, den Sebastian Schwarz mit treffsicherem (selbst-)ironischen Überspitzungsfuror auf die Szene gnatzt. Denn Mayenburgs „Stück Plastik“ ist auch eine Art Yasmina-Reza-„Kunst“ 2.0. Unter dem Motto „Wo ich bin, ist Kunst“ jazzt der Zeitgenosse seine tendenziell ereignisarme Existenz zum (Video-)Kreativprodukt hoch, das botschaftsmäßig mit der ungefähr dritten Ableitung der handelsüblichen Kapitalismuskritik um die Ecke kommt. Die allerdings wird bei Mayenburg – wie alles andere an diesem pausenlosen 130-minütigen Abend – nicht nur deutlich, sondern über-über-deutlich ausgesprochen.

Krachlederne Dialoge und Stereotypen

Als sein eigener Uraufführungsregisseur tut der Autor daher gut daran, die Dialoge und Stereotypen, die auf dem Papier gelegentlich arge Schleifen drehen, auf der Bühne noch weiter ins Krachlederne zu schrauben. Da wird ironisch mit Kunstkanon-Zitaten auf überdimensionalen Videowänden geklotzt, mit Pasta geworfen, zwangsenthemmt abgehottet und auf die mal mehr, mal weniger gehobene Boulevard-Tube gedrückt, was das Zeug hält.

Dafür gibt’s stehende Ovationen am oberen Kudamm.

Wieder am 20. Mai, um 20.45 Uhr, sowie vom 23.–25. Mai, jeweils 20 Uhr.

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