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Eine junge Tänzerin (Agathe Bonitzer) spürt der Trauer in Isadora Duncans Choreografie „La mère“ nach.

© Eksystent

Streaming fürs Kino: Der Tanzfilm "Isodoras Kinder" ist ein Zeichen der Solidarität

Wer profitiert vom Streaming ? Der Verleih Eksystent beteiligt Programmkinos an den Einnahmen aus dem Tanzfilm „Isadoras Kinder“.

Eine junge Frau, gespielt von Agathe Bonitzer, sitzt in einem Café und liest in der Biografie Isadora Duncans, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich die Entstehung des modernen Tanzes prägte.

Später studiert sie in der Bibliothek die Choreografie eines von Duncans Tänzen. „Isadoras Kinder“ ist ein Tanzfilm, doch zunächst ist Tanz hier Geschichte und Theorie.

Trauer um ihre Kinder

1913 ertranken Duncans zwei kleine Kinder in der Seine, erklärt zu Beginn eine Texttafel. Duncan hat sich von diesem Trauma nie erholt, nur die Choreografie „La mère“ deutet auf einen Verarbeitungsprozess hin.

Der Tanz ist der Fixpunkt von Damien Manivels Film, der in drei Episoden vier Menschen folgt. Sie nähern sich dem Stück auf ihre Weise an: eine Tanzstudentin, eine Lehrerin, mit ihrer Schülerin für eine Aufführung probt, und eine alte Frau, die dieser Aufführung sichtlich bewegt beiwohnt.

Weil für Duncan und für Manivel, der früher professionell tanzte, hinter jeder noch so kleinen Bewegung eine Geschichte steckte, sind Bewegungen etwas Kostbares in diesem Film.

Ein Film für die Leinwand

Wenn „Isadoras Kinder“ sich Zeit nimmt, den Vorbereitungen ebenso viel Aufmerksamkeit schenkt wie dem Tanz selbst, dann nicht, um sich in den Einstellungen zu suhlen, sondern weil jedes Bild genug in sich trägt, um nicht direkt gegen das nächste ausgetauscht werden zu müssen.

„Isadoras Kinder“ ist ein Film fürs Kino. Weil Kinos aber gerade geschlossen sind, hat sich der Münchner Verleih Eksystent, der den Film am 23. April herausbringen wollte, für einen ungewöhnlichen Schritt entschieden: Statt den Start in den Herbst zu schieben, ist Manivels Film ab sofort für den Preis einer Kinokarte im Internet zu sehen.

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Anders als das Hollywood-Studio Universal, das vergangene Woche ankündigte, seine aktuellen Kinofilme direkt über VoD-Portale anzubieten, lässt Eksystent die Einnahmen direkt den Kinos zukommen. Nach der Filmauswahl kann man selbst entscheiden, welches Programmkino man unterstützen möchte.

Die Plattform „Kino on Demand“, über die bislang ausschließlich bereits im Kino gelaufene Filme angeboten wurden, hat mit „Isadoras Kinder“ jetzt also ihre erste Deutschlandpremiere.

Innerhalb der Branche ist eine solche Entscheidung nicht unumstritten, haben es gerade kleine Kinos schwer genug, der zunehmenden Konkurrenz von Streaming-Angeboten zu trotzen. Sie fürchten um die exklusive Erstauswertung. Der Verleih Grandfilm schränkt seine eigene Soli-Aktion für Kinos in der Krise ausdrücklich auf Filme aus dem Repertoire ein.

Eine ungewöhnliche Maßnahme für ungewöhnliche Zeiten

Für Eksystent-Gründer Jakob Kijas ist deshalb klar, dass die Online-Premiere von „Isadoras Kinder“ eine ungewöhnliche Maßnahme für ungewöhnliche Zeiten ist – und kein Zukunftsmodell. „Das Kino muss immer die Nummer eins bei der Auswertung von Filmen bleiben“, betont er.

Aber dafür müssten die Kinos die nächsten Monate überleben; ob und wie das gelingen kann, sei derzeit völlig unklar. Seine Entscheidung bezeichnet Kijas als einen Akt der Solidarität, denn für einen kleinen Verleih wie Eksytent bedeutet sie auch ein finanzielles Risiko. Außerdem sei ungewiss, in welchem Maße das Angebot angenommen wird.

Nach der Aufführung am Krückstock nach Hause

Rasches Handeln in ungewissen Zeiten anstatt ohnmächtigem Zusehen, das scheint nicht nur für das Corona-Krisenmanagement derzeit Gebot der Stunde. „Es hilft nichts, den Kopf in den Sand zu stecken oder auf die Politik zu warten, lasst uns weiterdenken und zusammenarbeiten“, appelliert Kijas an alle, denen die Kinokultur am Herzen liegt.

Die Protagonistin der letzten Episode von „Isadoras Kinder“ wird von der 74-jährige jamaikanischen Schauspielerin und Tänzerin Elsa Wolliaston gespielt. Geduldig begleitet der Film sie, wenn sie nach der Aufführung von „La mère“ an einem Krückstock nach Hause geht und dort ein ein paar der Bewegungen nachzuempfinden versucht.

Die Berliner Clubszene geht ebenfalls kreativ mit der Situation um

Manivels Film verfolgt weniger einzelne Menschen als dem Tanz selbst, der sich einen Weg durch verschiedene Körper bahnt. Wie Wolliaston da so alleine vor sich hintanzt, denkt man noch an einen anderen Akt der Solidarität in diesen Zeiten.

„United We Stream“ heißt die Initiative, in der Berliner Clubs Live-Auftritte ihrer DJs Abend für Abend ins Netz streamen und dafür um Spenden zum Erhalt der Clubkultur bitten. Was wir gerade erleben, sind also nicht einfach nur verzweifelte Anpassungen an eine neue Situation.

Die Kinos, die Clubs, sie spielen Zukunftsmusik – auf dass es irgendwann, wenn sich alle wieder uneingeschränkt bewegen dürfen, noch Kinos und Clubs gibt. Und wir nicht für immer alleine tanzen müssen.

Till Kadritzke

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