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Der U-Bahnhof Mohrenstraße in Berlin-Mitte. Soll man ihn umbenennen?

© Thilo Rückeis

Straßennamen, Denkmäler, Reliefs: Wenn Geschichte nervt und schmerzt

Sklavenhalter, Antisemiten, Rassisten: Ihre Denkmäler provozieren Streit, in den USA wie bei uns. Soll man sie abreißen - oder wäre das eine Art Schlussstrich?

Bilder sind magisch. Sie wirken auf eine Weise, die mit der Vernunft allein kaum zu verstehen ist. Es gibt einen Test, der das illustriert. Jemand wird gebeten, mit einer spitzen Nadel auf dem Foto eines Familienangehörigen dessen Augen auszustechen. Was spricht dagegen? Es ist doch nur ein Bild auf einem Stück Pappe. Trotzdem überwiegt bei den meisten Menschen der Skrupel. Sie haben das Gefühl, dem Abgebildeten Unrecht anzutun.

Der Effekt beschränkt sich nicht auf Bilder, er umfasst auch Figürliches – Puppen, Denkmäler, Statuen, Reliefs. Anhänger der Voodoo-Religion glauben, dass sie Menschen, die als Puppen dargestellt werden, durch Nadeln heilen oder Schmerzen zufügen können. Im Bewusstsein klar trennen lässt sich Repräsentation von Repräsentiertem oft nicht. Zum Symbol gehört, dass es die Eigenschaften des Symbolisierten transportiert. Es sendet Botschaften, kommuniziert stumm, aber wirkmächtig in seine Umgebung hinein.

Die Taliban zerstörten Buddha-Statuen

Das ist die psychologische Folie, die hinter dem Furor vieler Bilderstürmer steckt. Für die Reformatoren im 16. Jahrhundert waren christliche Skulpturen und Gemälde eine Art Götzendienst, der lediglich die sinnliche, fleischliche Begierde der Menschen befriedigt. Sie beriefen sich auf das Bildnis-Verbot – „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen“ – und zerstörten Tausende von Kunstwerken. Martin Luther verurteilte zwar diesen Vandalismus, in seiner Schrift „Von den guten Werken“ (1520) heißt es aber, Gott erwarte nicht Fasten, Wallfahrten und protzigen Kirchenschmuck, sondern einzig den Glauben an Jesus Christus.

Im März 2001 zerstörten die Taliban zwei der bis dahin größten stehenden Buddha-Statuen der Welt im Tal von Bamiyan im Zentrum Afghanistans. Auch sie wetterten gegen die Darstellung menschlicher Figuren, wollten aber auch die Erinnerung an die jahrhundertealte buddhistische Tradition tilgen. Sechs Jahre später sprengten Islamisten in Pakistan eine 40 Meter hohe, etwa 1300 Jahre alte Buddha-Skulptur. Im syrischen Palmyra wüteten die Terrormilizen des „Islamischen Staates“ gegen antike Tempel und Theater. Im Nachbarland Irak waren nach dem Sturz Saddam Husseins riesige Denkmäler, die den Diktator abbildeten, gestürmt worden.

Aus Karl-Marx-Stadt wurde flugs wieder Chemnitz

Und wer weder so weit zurück noch so weit weg schauen will, hat vielleicht noch die Bilderstürmer in der DDR im Kopf, als nach der friedlichen Revolution 1989 aus Karl-Marx-Stadt wieder Chemnitz wurde und das 19 Meter hohe Lenin-Denkmal auf dem Leninplatz in Ost-Berlin abgerissen wurde. Im Westteil Berlins dagegen stört sich bis heute keiner an der Karl-Marx-Straße in Neukölln oder dem sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni, wo ein acht Meter hoher Rotarmist den siegreichen Kampf gegen das faschistische Deutschland feiert.

In Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia marschierten vor drei Wochen mehrere ultrarechte Gruppen auf, die zum Teil antisemitisch, zum Teil rassistisch sind und für eine „Dominanz der weißen Rasse“ in Amerika kämpfen. Es kam zu Ausschreitungen, ein Teilnehmer fuhr mit seinem Wagen in eine Gruppe von Gegendemonstranten und tötete eine junge Frau. Der Anlass des Protestaufmarsches waren Pläne der Stadtverwaltung, eine Reiterstatue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee (1807 bis 1870) abzureißen, der die Sklaverei zwar selbst „ein moralisches und politisches Übel“ genannt, aber im Bürgerkrieg aufseiten der Konföderation gestanden hatte, die für ein Recht auf Sklavenhaltung stritt.

Robert E. Lee ist eine historisch widersprüchliche Person. Einmal im Jahr trifft sich die gesellschaftliche Elite von Washington D.C., um im „Alfalfa Club“ zu Ehren des Geburtstags dieses Generals zu dinieren. Im Jahre 2009 hielt kein anderer als der damalige Präsident Barack Obama die Festansprache. Keiner protestierte.

Trump schlug sich auf die Seite Rechtsextremen

Im Lied „The Night They Drove Old Dixie Down“ schildert die Rockgruppe The Band mitfühlend den Schmerz vieler Südstaatler über ihre Niederlage im Sezessionskrieg. Erzählt wird die Geschichte von Virgil Caine, einem Soldaten der Armee von Robert E. Lee. Levon Helm, der Lead-Sänger von The Band, singt das Lied mit wütend-anklagendem Unterton bei einem gemeinsamen Auftritt mit Bob Dylan. Joan Baez kam mit ihrer Fassung unter die Top Ten. In Deutschland wurde die Melodie durch Juliane Werdings „Am Tag, als Conny Kramer starb“ bekannt.

Donald Trump schlug sich nach den brutalen Übergriffen von Charlottesville inhaltlich auf die Seite der Rechtsextremen, die den Abriss der Lee-Statue verhindern wollen. „Ist es nächste Woche George Washington? Und eine Woche später Thomas Jefferson? Jeder sollte sich fragen, wo das enden soll“, sagte der amtierende Präsident. Prompt hagelte es Kritik. Washington und Jefferson in einem Atemzug mit Lee zu nennen, sei grotesk. Die historischen Verdienste der Gründerväter der Vereinigten Staaten wögen weitaus schwerer als der Umstand, dass sie selbst auch Sklaven hielten.

In Wittenberg gibt es ein antisemitisches Relief

Allerdings diente Trump-Anhängern eine Bemerkung der CNN-Kommentatorin Angela Rye als Bestätigung ihrer Ängste. „Meine Vorfahren galten ihnen alle nicht als menschliche Wesen“, sagte sie, „ob es eine George-Washington-Statue ist oder eine Thomas-Jefferson-Statue oder eine Robert-E.-Lee-Statue – sie müssen alle abgerissen werden.“

Wo anfangen, wo aufhören, und was sind die Kriterien? Überraschenderweise gibt es nur wenige klare Fälle. Eine Hitler-Statue in Deutschland etwa wäre undenkbar. Aber in Russland wird weiter Stalin verehrt und in China Mao Tse-tung. Und selbst in Deutschland gibt es bis heute eine extrem antisemitische Skulptur, die sogenannte „Judensau“ an der Sankt-Marien-Kirche in Wittenberg, wo einst Martin Luther predigte. Zu sehen sind Juden, die an den Zitzen einer großen Sau saugen, ein Rabbiner hält den Schwanz der Sau hoch und schaut ihr in den Po. Anfang des 14. Jahrhunderts, wurde diese Skulptur in acht Meter Höhe angebracht, 1988 wurde sie durch ein Mahnmal, das an die Shoah erinnern soll, ergänzt. Aber sämtliche Forderungen nach einer Demontage des Schmähreliefs liefen ins Leere. Selbst die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, sagt, die Skulptur müsse als „Erinnerungs- und Mahnzeichen“ bleiben.

Der Berliner Straßennamenstreit

In Berlin tobt der Streit um Straßennamen im Afrikanischen Viertel in Wedding und um die Mohrenstraße in Mitte. Aktivisten fordern eine Umbenennung, Anwohner setzen sich für eine Beibehaltung der gewohnten Namen ein. Heinz Buschkowsky, dem Ex-Bezirksbürgermeister von Neukölln, ist nun der Kragen geplatzt. „Geschichte ist nun einmal gewesen, wie sie war“, schreibt er, „Straßenbenennungen schreiben das Geschichtsbuch nicht um und eignen sich nicht für Klugscheißer mit Wikipedia-Wissen. Sie sind in erster Linie Ordnungsmerkmal und Orientierungshilfe im Alltagsraum.“

Das aber stimmt nicht. Straßennamen weisen, ebenso wie Statuen und Denkmäler, über ihren Zweck als Orientierungshilfen hinaus. Der Begriff „nach ihm oder ihr wird eine Straße benannt“ ist ein Synonym für „er oder sie wird geehrt“. Allerdings sind die Faktoren Zeit und Dauer durchaus relevant, wenn es um die Beibehaltung historischer Zeugnisse geht. Keiner käme auf die Idee, heute eine Straße noch Mohrenstraße zu nennen oder an einer Kirche ein „Judensau“-Relief zu installieren oder in den USA eine Robert-E.-Lee-Statue zu bauen. Das würde zu Recht als reiner Akt des ehrenden Gedenkens nicht ehrwürdiger Dinge oder Personen verstanden.

Die Dauer des Falschen macht es nicht richtig

Nach Martin Luther sind viele Plätze in deutschen Städten benannt. Das regt niemanden auf. Aber das Vorhaben, pünktlich zum 31. Oktober, dem 500. Jahrestag der Reformation, einen Platz in Trier nach dem Reformator zu benennen, stößt auf Widerstand. Die „Evolutionären Humanisten“ der Stadt haben wegen dessen Antijudaismus einen Aufruf dagegen gestartet.

Je länger eine Straße den Namen eines Menschen trägt, der dessen unwürdig ist, desto stärker wird sie als überliefertes Zeugnis der Geschichte wahrgenommen. Die Dauer des Falschen macht es zwar nicht richtig, aber gewohnt. Dessen Demontage gerät dann leicht in den Verdacht der Geschichtsklitterung. Aus diesem Dilemma führt kein gerader Weg heraus. Andererseits ist auch klar: Gäbe es in Wittenberg eine große jüdische Gemeinde und würde die „Judensau“ zum Wallfahrtsort für Antisemiten, wäre sie längst entfernt worden.

Das englische Wort monument lässt sich im Deutschen mit Denkmal und Mahnmal übersetzen. Kommt zum bloßen Gedenken das ehrende Gedenken hinzu, entsteht im Falle, dass der Geehrte dessen unwürdig ist, die Pflicht zur Kontextualisierung. Anstatt die Statue von Robert E. Lee abzureißen, sollte überlegt werden, sie durch eine Tafel zu ergänzen, auf der das Wirken des Generals in seiner Zwiespältigkeit geschildert wird. Alle missliebigen Artefakte der Geschichte in Museen zu entsorgen, würde auch bedeuten, sie der öffentlich jederzeit zugänglichen Konfrontation zu entziehen. Bilderstürmerei ist manchmal auch der Versuch, sich von historisch fatalen Epochen reinzuwaschen.

In Deutschland heißt es aufgrund seiner eigenen Geschichte, ein Volk müsse die Erinnerung an die dunklen Seiten seiner Vergangenheit wachhalten. Antisemitismus ist ebenso ein Teil davon wie Rassismus und Kolonialismus. Viele Zeugnisse davon bedürfen einer kommentierenden Einordnung. Sie zu entfernen, käme einem Schlussstrich gleich.

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