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Kultur: Steinige Wege

Besser da denn je: Chris Rea im ICC.

In der Rockmusik gibt es kaum einen schlimmeren Terminus als „Kuschelrock“. Diesem Genre zugeschlagen zu werden, hat etwas geradezu Beleidigendes für einen aufrechten Rock’n’Roller. Wer als „Schmuserocker“ abgestempelt wurde, ist bei der ernsthaften Rockgemeinde unten durch, wird dem seichten Mainstream zugeordnet. Wie seit Jahren der vor allem in den 80er-Jahren mächtig erfolgreiche Chris Rea. Doch das völlig zu Unrecht. Wenn auch sein Publikum im fast ausverkauften ICC nicht danach aussieht, der englische Sänger, Gitarrist und Songschreiber aus Middlesbrough ist ein echter Rocker und Bluesmann.

Knochig steht er da in Jeans und dunklem T-Shirt, mit kurzen schwarzen Haaren und gestutztem Bart, lässt seine Italia-Maranello-Gitarre kreischen unterm Bottleneck zum schwer vorwärts achtelnden Boogie, und schottert mit tiefer Stimme: „Come on and take me down that last open road.“ Es klingt roher und lebendiger als auf seinem jüngsten Album „Spirito Santo Blues“. Der 60-jährige Rea lässt die Gitarre flöten und pfeifen mit Slide, Fingerpicking und gleichzeitig gedrehtem Lautstärkeregler – ein exquisiter Gitarrist.

Sandig knarzt er „Where the blues come from“, fällt in einen lässigen Reggaerhythmus und in seinen schwer bejubelten Hit „Josephine“ aus dem Jahr 1985. Flankiert wird er von den Keyboardern Neil Drinkwater und Max Middleton mit tinkelnden Pianoklängen, röhrenden Hammond Sounds und jazzelndem Fender Rhodes. Den Rücken stärken ihm rhythmisch Silvin Marc und Kirt Rust mit Bass und Schlagzeug sowie der irische Gitarrist Anto Drennan. Eine feine, unaufdringliche Band. Es fankt und funkt.

Und dann wird es richtig brillant: „Stony Road“ ist ein langer, düsterer Blues auf einem einzigen monotonen Akkord – voll brütender Angst, schreiendem Schmerz und einem leuchtenden Hoffnungsschimmer am Ende des Tunnels. „Me and Katie we go dancing down the stony road ...“: Der ergreifende Song geht zurück auf Reas Krankenhausaufenthalt wegen einer schweren Krebserkrankung. Eine tapfere jugendliche Leidensgenossin hatte damals zu ihm gesagt: „Wir tanzen jetzt beide auf einer steinigen Straße.“ 2006 ging der gesundheitlich schwer angeschlagene Rea auf Abschiedstour. Doch zwei Jahre später meldete er sich zurück. Er konnte es nicht lassen, musste zurück auf die Bühne, musste spielen, vielleicht seine beste Therapie.

Heute tanzt er sichtlich genesen, wenn auch die Narben der Vergangenheit in seiner Musik hörbar bleiben. Sowie ein paar schöne Erinnerungen an die Gitarristen Peter Green und Ry Cooder und vor allem die Rolling Stones. Der Song „Stainsby Girls“, auch ein Hit von 1985, beginnt als ruhige Ballade, entwickelt sich zu bullerndem Boogie und mündet in knalliges „Brown Sugar“-Geriffe. Ein tänzelnder Chris Rea schießt knatternde Akkorde aus einer roten Stratocaster in den Saal, spielt das „Lied vom Tod“ als Intro zu „Road To Hell“, hängt noch drei leichtere Zugaben dran und verlässt nach knapp zwei Stunden unter tosendem Jubel sichtlich glücklich die Bühne. Doch, er ist ein echter Rocker. H. P. Daniels

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