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Stefan Moses’ „Hauer der Zeche Amalie“, 1962/1964.Foto: DHM, Elsa Bechteler-Moses

© DHM/ Else Bechteler-Moses

Stefan Moses im DHM: Exotik des Alltags

Das Werk eines Menschenfreundes: Das Deutsche Historische Museum zeigt die Porträtfotografie von Stefan Moses.

In Budapest tobt 1956 der Volksaufstand. Menschen drängen sich um einen Revoluzzer mit Maschinengewehr, und Stefan Moses ist mittendrin. Er hält die Anspannung und Angst in ihren Gesichtern fest. Einige Fotos weiter umgarnt seine Kamera ein spielendes Kind auf den Straßen Jerusalems. Es antwortet mit einem Lachen, aus dem die Lebensfreude strahlt. Auf einem anderen Bild fliegen die Fäuste: „Streitende Händler auf dem Straßenmarkt in Florenz“. Eine Frau im Hintergrund hebt die Hand zum Mund und schaut erschrocken auf die Kontrahenten, deren Züge vor lauter Kampfeslust verwischen.

Der Blick des Fotografen Stefan Moses ist ein besonderer: intuitiv, unbestechlich, zugewandt. Mit der Kamera wiederum fängt er Blicke ein, die intensiver kaum sein könnten. Einen Eindruck davon vermittelt die Ausstellung „Das exotische Land“, die derzeit im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Mehr als 200 Schwarz-Weiß-Arbeiten versammelt sie, die erste Hälfte auf roten, die zweite auf grau gestrichenen Wänden. Der Farbunterschied markiert den Perspektivwechsel des Fotografen: Zunächst schaute er mit wachem Auge auf die Befremdlichkeiten in der Ferne, um schließlich mit der gleichen Genauigkeit die skurrilen Seiten der heimischen „Normalität“ festzuhalten.

Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die Aufnahmen, die den 1928 im schlesischen Liegnitz geborenen Fotografen berühmt gemacht haben: die Porträtserien und Milieustudien, die vom Staunen über die Eigenheiten seiner deutschen Landsleute zeugen. Für seine Reihen „Nachbarn“ und „Die Deutschen“ reist er in den sechziger Jahren durch die BRD. Er durchmisst das Land sowohl geografisch als auch gesellschaftlich – ähnlich wie es August Sander vierzig Jahre zuvor getan hat.

Prägende Jahre im Exil

Der Unterschied: Stefan Moses nimmt eine Leinwand mit, hängt sie irgendwo in die Landschaft und fotografiert davor Vertreter verschiedener Berufsstände und Schichten. Von den rußgeschwärzten Zechenarbeitern aus dem Ruhrpott bis zu den fröhlichen Rollmopspackerinnen aus Büsum an der Nordsee. Die Leinwand schneidet die Menschen förmlich aus ihrem Umfeld. Sie macht sie zu Prototypen und markiert gleichzeitig eine Bühne, die ihnen auch Raum zur Selbstinszenierung lässt. Mal spricht Unsicherheit, mal eine schnippische Lust am Posieren aus Gesichtern und Haltung.

Doch nicht nur dem „einfachen Volk“ widmet Moses seine Fotoserien, auch den Künstlern, Denkern und Politikern. Sie stellt er wiederum in ein erkennbares Umfeld: gern in ein Waldstück – zum Beispiel Willy Brandt, der 1983 im Anzug mit übergeworfenem Jackett im Unterholz posiert –, mal auch in ein schlicht wohnliches Setting. Theodor Adorno betätigt 1969 den Selbstauslöser vor einem Spiegel, der auch die Kamera des Fotografen noch ins Bild rückt. Dem Zufall überlassen ist an diesen Aufnahmen nichts mehr.

Adorno und Brandt eint, dass sie prägende Jahre im Exil durchlebt haben. Die Ausstellung führt die Porträts deswegen in dem Kapitel „Emigranten“ zusammen, einem Thema, dem sich Moses über Jahrzehnte hinweg gewidmet hat. Aus persönlichem Antrieb: Seiner jüdischen Wurzeln wegen wurde er von den Nazis als „Mischling“ verfolgt und in ein Arbeitslager gesteckt. Er konnte fliehen. Über Erfurt verschlug es ihn nach Weimar. Dort arbeitete er als Theaterfotograf, bevor er 1950 nach München übersiedelte, in die Stadt, die seine Heimat bleiben sollte bis zu seinem Tod 2018.

Gespür für leise Komik

Ein Jahr später nun zeigt das Deutsche Historische Museum mit „Das exotische Land“ einen Querschnitt durch sein Schaffen, wobei die Schau – ihrem Titel zum Trotz – seiner frühen Phase viel Platz einräumt. Der junge Stefan Moses hat für Magazine wie die „Revue“ und später vor allem für den „Stern“, seinem wichtigsten Arbeitgeber, die Welt bereist: Quer durch Europa ging es, nach Israel, Nord- und Südamerika, noch bevor er Deutschland in den Blick nahm.

Anhand der weitgehend chronologisch angeordneten Fotoreportagen lässt sich verfolgen, wie Moses dabei seine Handschrift findet. Etwa die Vorliebe für kontrastreiche Bilder mit pechschwarzen Partien, die die hellen Akzente umso mehr zum Leuchten bringen. So versinken die „Kartenspielenden Frauen“ seiner England-Serie von 1962 fast im Dunkel, das ihren Tisch umgibt.

Doch auch sein Gespür für leise Komik ist bereits unübersehbar, etwa als er eine Gruppe von Nonnen fotografiert, die 1955 in einem Brügger Beginenhof miteinander lachen – winzig klein vor gewaltigen Bäumen. Stefan Moses blickt mit ironischer Sympathie auf die Menschen. Der Lächerlichkeit hat er sie nie preisgegeben.

bis 12. Mai, Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, tgl. 10-18 Uhr

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