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Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das städtische Gesicht. Szene im Nirgendwo des Berliner Westens.

© Eric-Jan Ouwerkerk aus dem besprochenen Band

Stadtarchitektur: Die Anmut der Kanaldeckel

Bedeutsame Belanglosigkeiten: Ein Sammelband widmet sich den Details im städtischen Raum.

Wie die Stadt von morgen aussieht, weiß im Augenblick kein Mensch. Wie viele Läden und Lokale müssen schließen? Werden neue nachwachsen, die Räume anders genutzt werden – oder stehen die Zentren bald leer? Wird Corona das Ende der Innenstädte bedeuten oder einen Neuanfang?

Die Welt steht kopf, jeden Tag von Neuem, da lassen sich keine Prognosen treffen. Doch wenn man schon den Wald nicht sehen kann, dann umso besser die Bäume. Jetzt, da alle Homeofficearbeiter sich die Beine vertreten, ist es Zeit, sich den Details der urbanen Welt zu widmen. Plötzlich haben die Stadtbewohner Bürgersteige und Laternen, Gullys, Gitter und Bäume im Blick.

Wer mehr über diese wissen möchte, als man mit dem bloßen Auge sehen kann, ist mit „StadtRaumDetail“ gut beraten. Auch wenn die Texte aus der Zeit vor der Pandemie stammen – sie gehen auf ein Symposium von 2017 zurück.

[Konstanze Sylvia Domhardt u.a. (Hg.): StadtRaumDetail. Die Ausstattung des öffentlichen Raums vom Bordstein zur Straßenlaterne. DOM Publishers, Berlin 2020.168 Seiten, 38 €.]

Der mit zahlreichen Fotos und Zeichnungen illustrierte Band über die Ausstattung des öffentlichen Raums bietet einen Streifzug durch Länder und Jahrhunderte, reicht vom alten Rom – natürlich – bis zum Berlin der Nachwendezeit. Man erfährt, wie das Pflaster auf den Sand kommt, warum der Osten Berlins bis ins All hinein auch drei Jahrzehnte nach der Wende noch eher gelblich, der Westen dagegen weißlich leuchtet.

Aufmerksamkeit für Zwischenräume

Und warum die Laternen im Osten so hoch sind. Man entdeckt, welche Schönheit in Kanaldeckeln stecken kann: In Japan lässt man sie sich Tausende kosten. Selbst Le Corbusier hat sich mit ihnen befasst.

Das Buch schärft nicht nur die Aufmerksamkeit für den Zwischenraum, sondern auch das historische Bewusstsein. Nicht jeder wird wissen, dass Hitler mit Beginn des Kriegs sämtliche Laternen der Hauptstadt ausschalten ließ. Sechs Jahre lang, schreibt Dietrich Neumann, blieben sie dunkel. Und wie glücklich die Berliner sein können, dass sie bei ihren ausgedehnten Spaziergängen heute so sanft treten!

Früher lief man immer wieder über spitze Steine, die das Flanieren zu einem schmerzhaften Vergnügen machten. In seinem Aufsatz über den Berliner Gehweg erzählt Frank Peter Jäger zudem, dass Berlin seine großen Granitplatten dem Weinlokal Lutter und Wegner zu verdanken hat.

Architektur, das machen Texte und Bilder deutlich, sind nicht nur große Gebäude. Es können auch Kioske, U-Bahneingänge und Haltestellen sein. „Bedeutsame Belanglosigkeiten“ nennt Vittorio Magnago Lampugnani sie in seinem einführenden Text. Unter diesem Titel hat der Architekturhistoriker, dem der Band gewidmet ist, ein eigenes lesenswertes Buch veröffentlicht. Straßenschilder und Uhren beschäftigen ihn, zu Recht. ( Die Frage, warum Letztere in Berlin so oft und ausdauernd falsch gehen und Passanten irritieren, beantwortet allerdings auch er nicht.)

Den Blick senken und heben

Es gilt, den Blick zu heben und zu senken, die Stadt zu lesen. „Ein Bürgersteig, der die gleichen Maße aufweist, aber einmal aus großen Granitplatten zusammengefügt ist und einmal in Asphalt gegossen, macht aus einer Straße eine andere“, schreibt Lampugnani. Und tatsächlich gibt es einiges zu lesen, in Gullydeckeln ebenso wie in Bänken: Zeichen und Buchstaben geben Auskunft über ihre Geschichte.

Eins wird bei der Lektüre und beim Betrachten der Bilder auch klar: Stadt braucht Planung. Und Gestaltungswillen. Erst wenn fast alles zu ist, wird einem klar, wie wichtig die Einrichtung des öffentlichen Raumes ist. So hat der Schauspieler Ottfried Fischer sich gerade darüber beschwert, dass es in ganz Bayern kein Klo mehr gebe, da die Wirtshäuser geschlossen sind. Eine Bedürfnisanstalt sei eine kleine Sache, „die sehr wichtig wird, wenn sie fehlt“.

In der Theorie freilich spielen diese offenbar eine wichtige Rolle. Über Toilettenhäuschen gibt es ganze Bibliotheken – über öffentliche Bänke dagegen fast gar nichts. Dabei gibt es doch allerlei von ihnen zu erzählen, wie Axel Sowa in Paris entdeckt hat, der die Geschichte des gusseisernen Fortschritts ausführt – und von den Flaubert’schen Romanfiguren erzählt, die sich auf einer solchen Bank begegnen. Sie würden sich auch heute auf ihr gleich zu Hause fühlen. Denn im Prinzip, so der Architekturtheoretiker, werden sie genauso gestaltet wie zu Flauberts Zeiten.

Neidisch auf den Berliner Baumbestand

Über Stadtmöblierung wird gern gespottet. Aber, das ist eine der wichtigen Erkenntnisse der Lektüre: Für die kollektive Identität einer Stadt spielen sie eine zentrale Rolle. So wie die Straßenbäume, mit denen Berlin so reich gesegnet ist, dass ausländische Besucher ganz neidisch werden.

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Wie meistens bei Sammelbänden, ist die Qualität der einzelnen Texte unterschiedlich. Nicht jeder schreibt so elegant wie Lampugnani, und mancher Aufsatz enthält dann doch mehr Details als der interessierte Laie wissen möchte. Und so faszinierend die Historie ist – ein bisschen mehr Gegenwart hätte das Buch auch vertragen.

Umso schöner der Schluss. Nach all den gelehrten Texten endet der Band nämlich mit einem optischen Highlight: den Bildern des Berliner Architekturfotografen Erik-Jan Ouwerkerk, der absurde Situationen einfängt. Er braucht keine Worte mehr, um zu zeigen, wie wichtig die Gestaltung des Zwischenraums ist. Zugleich versöhnt Ouwerkerk mit dem Irrsinn und Unsinn der Großstadt. Denn wenn alles nur glatt, funktional und vernünftig wäre, würde dieser genau das fehlen, was die Stadt neben aller Architektur ausmacht: das Menschliche.

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